# taz.de -- Archäologie für die Ewigkeit: Der digitale Zwilling
       
       > Weltweit sind archäologische Stätten durch Krieg und Grabräuber bedroht.
       > In Irak sichert ein 3D-Scanner die Funde für die Nachwelt.
       
 (IMG) Bild: In diesen Tunneln plünderte Isis Schätze, die bis in die Zeit der Assyrer:innen zurückreichen
       
       Im Sommer 2014 fallen IS-Terroristen in Mossul ein. Drei Jahre dauert es,
       bis die irakische Armee die Stadt zurückerobert. Nach den Kämpfen bleiben
       von der einstigen Metropole vor allem Trümmer. Der Zerstörung zum Opfer
       fallen auch zahlreiche historische Stätten, für die Terroristen sind sie
       „unheilig“.
       
       So wird auch die Moschee mit dem Grab des biblischen Propheten Jona
       gesprengt. Möglicherweise steckt dahinter mehr als nur fanatische
       Zerstörungswut. Unter der Moschee befindet sich nämlich ein Palast aus dem
       spätassyrischen Reich. Bis etwa 612 v. Chr. stand das prächtige Bauwerk in
       der antiken Hauptstadt Ninive und diente als Symbol militärischer Macht.
       
       Auf der Suche nach antiken Schätzen graben die IS-Kämpfer einige hundert
       Meter lange Tunnel durch den Hügel unter der Moschee. Auf dem Schwarzmarkt
       sind solche antiken Stücke heiß begehrt und damit bestens geeignet für die
       Terrorfinanzierung.
       
       Was die IS-Mitglieder innerhalb ihrer dreijährigen Besatzung aus den
       Tunneln geholt haben, weiß niemand genau. „Von dem Palast weiß man schon
       lange. Vor dem IS machten ein Friedhof, die Moschee und ein Wohnviertel
       großflächige Grabungen fast unmöglich. Und nun finden wir vor allem die
       Reste großer Zerstörungswut“, sagt Peter Miglus, Archäologe von der
       Universität Heidelberg. Nach der Rückeroberung bat die irakische
       Antikenbehörde die [1][Heidelberger Fachleute um Hilfe bei der Sicherung
       der Reste].
       
       ## Mit modernster Technik in die Tunnel
       
       Wenn der beteiligte Archäologe Jan Heiler über die Arbeiten berichtet,
       klingt das ziemlich abenteuerlich. Unter dem Schutz der irakischen
       Sicherheitskräfte wurde nicht nur unter freiem Himmel gegraben, sondern vor
       allem auch unter Tage. „Eine der wichtigsten Aufgabe war es eine 3D-Karte
       des Tunnelsystems anzulegen und die Funde von dort unten zu dokumentieren“,
       sagt er.
       
       Keine Arbeit für Menschen mit Platzangst: Die Gänge sind an vielen Stellen
       kaum 1,5 Meter hoch und weniger als einen Meter breit. Sie verlaufen
       entlang der Lehmziegelwände des ehemaligen Palasts. Auf den
       Kalksteinplatten, mit denen die Mauern verkleidet waren, entdecken die
       Forschenden Keilschrifttexte zu assyrischen Herrschern aus dem 7.
       Jahrhundert v. Chr. Außerdem finden sie die Reste des einst 55 Meter langen
       Thronsaals und Reliefs von geflügelten Stieren, die als Torwächter dienten.
       
       Das Heben dieser Funde ist zuerst kaum möglich, die Gefahr einstürzender
       Tunnel wäre zu groß. Um die archäologischen Schätze wenigstens digital für
       die Nach- und Fachwelt zu erhalten, greifen die Forschenden zur Kamera und
       fotografieren den Tunnel, Zentimeter für Zentimeter. Die Methode nennt sich
       „Structure from Motion“ und gehört zur sogenannten Photogrammetrie.
       
       „Einfach gesagt, machen wir möglichst viele Bilder von den Objekten, aus
       verschiedenen Blickwinkeln, aber mit dem immer gleichen Licht. Am Computer
       entsteht aus den teils überlappenden Farbbildern ein virtuelles 3D-Modell“,
       erklärt Heiler. Für ein Relief oder eine Keilschriftaufzeichnung sind
       einige hundert Aufnahmen nötig, um ein brauchbares Modell zu erzeugen. Oft
       arbeitet das Team bis zu 10 Stunden am Stück in den alles anderen als
       sicheren Tunneln.
       
       Einen kleinen Durchbruch in den letzten Grabungskampagnen bringt eine
       andere, erschwinglich gewordene Technik. „Anfangs hatten wir nur die
       Fotokameras zu Verfügung. Für Reliefs ist das in Ordnung, aber die
       Erfassung von Räumen ist damit sehr beschwerlich. Zum Glück konnten wir für
       das Projekt einen 3D-Scanner beschaffen, womit die Arbeit deutlich leichter
       wurde“, erzählt Heiler.
       
       Im Prinzip funktioniert der 3D-Scanner ganz ähnlich wie die
       Photogrammetriemethode. In einem Raum aufgestellt macht das Gerät mit 360
       Grad Rundumblick sehr viele Aufnahmen von der Umgebung. Diese Wolke aus
       Punktmessungen lässt sich ebenfalls zu einem virtuellen Abbild
       zusammensetzen.
       
       ## Es entstehen riesige Datenmengen
       
       Egal ob nun mit 3D-Scan oder aus vielen handgemachten Fotos – das
       Zusammensetzen ist ebenfalls ein aufwendiger Arbeitsschritt. Schließlich
       sollen die Struktur und Farbigkeit der antiken Objekte mit jeder Ecke und
       Erhebung im digitalen Modell sichtbar sein.
       
       Nur so können später andere Forschende mit den digitalen Abbildern arbeiten
       oder sie Teil von Museumsausstellungen werden. Dieser hohe Anspruch sorgt
       für entsprechend große Datenmengen. Allein bei der Grabung im Mossul sind
       mehrere 10.000 hochauflösende Bilder entstanden.
       
       Um daraus einen virtuellen Tunnel oder ein hohes Stierrelief zu erstellen,
       reicht ein normaler Bürolaptop kaum aus. Selbst Hochleistungsrechner sind
       Stunden, manchmal Tage mit der Modellierung und dem Rendern beschäftigt.
       Vor Ort und nebenbei geht das nicht, schon gar nicht in einem Krisengebiet
       wie Mossul.
       
       Die weitere Aufarbeitung findet deshalb in Deutschland statt. So vergehen
       nach einer Grabung wie im Irak einige Monate der Bearbeitung und
       Auswertung, bis andere Forschende mit den erzeugten [2][3D-Modellen]
       arbeiten können.
       
       Für die Archäologie seien diese neuen Dokumentationsmethoden trotz allem
       Aufwand ein großer Gewinn, sagt Peter Miglus. „Schon seit dem 19.
       Jahrhundert gibt es Zeichnungen und Fotos von archäologischen Funden. Die
       Qualität älterer Aufnahmen schwankt allerdings gewaltig, und viele Details
       sind noch kaum zu erkennen.“ Fehlinterpretationen sind keine Seltenheit.
       
       Hochauflösende 3D-Modelle von Reliefs, verschiedenen Installationen oder
       ganzen Räumen bieten da einen deutlich besseren Blick auf die
       Beschaffenheit und Dimensionen der Funde, auch für Fachleute, die selbst
       nicht vor Ort waren.
       
       Nach einer entsprechenden Bearbeitung sind auch eine Betrachtung durch
       VR-Brillen, die Projektion von Augmented-Reality-Modellen an originale
       Schauplätze oder sogar die Reproduktion mit einem 3D-Drucker möglich. Auch
       für Museen sind diese Ansätze interessant.
       
       ## Die Archäologen betreiben Schadensbegrenzung
       
       Doch die neue Form der Dokumentation ist auch noch aus einem anderen Grund
       wichtig: Viele antike Altertümer im Mittleren und Nahen Ost sind bedroht –
       von Krieg, von Raub und Gier, von der Armut der Menschen. Jahrhundertealte
       Reliefs werden leichtsinnig gesprengt, weil dahinter Schätze vermutet
       werden.
       
       Auf den Fundstellen entstehen neue Wohngebiete oder landwirtschaftliche
       Anbaugebiete, aus religiösem Fanatismus werden uralte Denkmäler zerstört.
       „Für uns Archäologen ist es ein Kampf gegen Windmühlen. Oft bleibt nichts
       anderes übrig, als Reste zu retten, indem wir die Funde für die
       Wissenschaft und die Öffentlichkeit dokumentieren, unsere Erkenntnisse mit
       möglichst vielen Menschen teilen und so mehr Bewusstsein für ihren
       kulturellen Wert schaffen“, sagt Miglus.
       
       Die antiken Funde aus Mossul blicken einer wagen Zukunft entgegen. Teile
       der Tunnel sind bereits eingestürzt, auch der Wiederaufbau der Jona-Moschee
       hat begonnen. Immerhin wird es weitere [3][Notgrabungen] geben. Der
       assyrische Palast und seine leidvolle Geschichte sollen eine wichtige Rolle
       im historischen Bewusstsein des Iraks spielen.
       
       So wünscht sich die Antikenbehörde neben einer stärken Präsentation der
       erhaltenen Reste im Stadtbild Mossuls auch eine große Ausstellung zu der
       Grabung und dem einst prächtigen assyrischen Palast – mit Funden und
       3D-Modellen aus Heidelberg.
       
       28 May 2023
       
       ## LINKS
       
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