# taz.de -- Existenzkampf des Boxsports: Ran an die Töpfe
       
       > Das olympische Boxen kämpft weiter ums Überleben. Das deutsche Boxen
       > bangt wiederum um die Fördermillionen vom Bund.
       
 (IMG) Bild: Beten für Olympia: Murat Yildirim (rot) nach einem Kampf in Finnland
       
       Es ist Sommerfest im Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum für
       Deutschland. Trainingsanzüge deutscher Kaderathletinnen und -athleten
       dominieren die Schlangen vor dem Grill, an dem die Mitarbeiter des
       Sportkomplexes Fleisch und Wurst ausgeben. In der kommenden Woche startet
       das Multisportevent namens European Games in Krakau. Deshalb sind gerade so
       viele Athletinnen und Athleten hier. Sie holen sich in Kienbaum den letzten
       Schliff.
       
       Auch Sportlerinnen aus anderen Nationen tragen ihre Trainingsanzüge über
       das Gelände. Sie kommen aus Litauen, Kuba, Norwegen oder der Mongolei. Die
       meisten von ihnen sind zum Boxen gekommen, trainieren zusammen mit dem
       deutschen Team. Man könnte glatt den Eindruck haben, Boxen sei gerade die
       ganz große Nummer in der olympischen Sportwelt. Dabei gibt es keine
       Sportart, die derart am Boden liegt. Ein Weltverband ist schon pleite
       gegangen und hat der Nachfolgeorganisation IBA neben Finanzproblemen
       [1][auch ein korruptes Kampfrichterwesen vererbt].
       
       Jene IBA hat sich [2][den russischen Ex-Rocker Umar Kremlew zum Präsidenten
       gewählt], der satte Sponsorengelder von dem russischen Energiekonzern
       Gazprom mitgebracht hat. Kämpferinnen und Kämpfer aus den
       Kriegstreiberländern Russland und Belarus durften schon lange vor dem
       Beschluss des Internationalen Olympischen Komitees zu ihrer Wiederzulassung
       an Weltmeisterschaften teilnehmen. Dort kassierte eine Siegerin satte
       100.000 Dollar Preisgeld und ein Sieger gar 200.000 Dollar. Das IOC hat den
       Verband gefragt, woher all das Geld kommt, und will am 22. Juni
       beschließen, die IBA aus seinem Kreis rauszuschmeißen, nachdem es keine
       schlüssigen Antworten darauf erhalten hatte.
       
       Schon für die Spiele 2021 in Tokio hatte das IOC die Qualifikation selbst
       in die Hand genommen. Auch für Paris 2024 läuft die Qualifikation unter
       direkter IOC-Ägide. Etliche Verbände hatten schon die WM-Turniere
       boykottiert und basteln [3][gerade an einer neuen Organisation namens World
       Boxing.]
       
       ## Reduzierung der Gewichtsklassen
       
       So sieht es also aus im olympischen Boxen kurz vor den European Games.
       Dessen Boxturnier gehört zu den Qualifikationsevents für Paris. Deshalb
       ist es für den deutschen Boxsport-Verband so wichtig. „Wir wollen sehen, wo
       wir stehen“, sagt Ralf Dickert, Disziplintrainer des Verbands, und
       schildert, wie schwer der Weg nach Paris ist. „Es gibt kaum noch Plätze“,
       sagt er und spielt auf die Reduzierung der Gewichtsklassen bei Olympia an.
       
       Während vor acht Jahren in Rio de Janeiro bei den Männern noch in zehn
       Gewichtsklassen gekämpft wurde, sind es nun nur noch sieben. Murat Yildirim
       hatte seine größten Erfolge im Leichtgewicht bis 60 Kilo. Es war schwer
       genug, sich auf dieses Niveau runterzuhungern, jetzt kämpft er in der
       Klasse bis 57 Kilo um einen Olympiaplatz.
       
       Beim Pressetermin [4][in Kienbaum] sitzt Michael Müller, der Sportdirektor
       des Verbands, neben dem Trainer. Er wundert sich fast schon darüber, dass
       in diesen Tagen auch Fragen zum Sportgeschehen gestellt werden. Er ist vor
       allem auf Diskussionen zum beinahe schon alltäglichen Irrsinn im
       olympischen Boxen eingestellt. Das ist für den Verband existenziell. Nur so
       lange Boxen olympisch ist, fließen üppige Fördergelder aus dem
       Bundeshaushalt an den Verband.
       
       Über 2,5 Millionen Euro sind das 2022 gewesen. „Das lassen wir uns nicht
       nehmen“, sagt Müller. Er hat die Nähe zum Kremlew-Verband IBA nicht
       gescheut und war drei Jahre lang Chef des Competition Comitee der IBA.
       Jetzt hat er das deutsche Boxen an den neuen Verband, Word Boxing,
       angedockt. „Das ist eine der Optionen für die Zukunft“, sagt er. Klar, wenn
       das IOC die Zukunft des Boxens bei diesem neuen Verband sieht, dem sich
       unter anderen die USA und Großbritannien angeschlossen haben, dann dürfen
       die Deutschen nicht fehlen.
       
       ## Offenes Hintertürchen
       
       Und weil es ja sein könnte, dass sich die IBA nach dem wahrscheinlichen
       Rausschmiss durch das IOC auf sportgerichtlichem Weg zurück zu Olympia
       kämpft, wollen sich die Deutschen auch da wohl ein Hintertürchen
       offenhalten. Der alte Verband hatte die Deutschen nach dem Andocken bei
       World Boxing suspendiert, worauf der deutsche Verband in einem Brief sein
       Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht hat, statt froh zu sein,
       endlich aus dem sinistren Verband entlassen worden zu sein. Allzu deutlich
       möchte Müller nicht werden in der Kritik an der IBA. So wundert er sich
       schon auch, woher das Geld kommt, mit dem der Verband seine Zentrale im
       teuren Lausanne bezahlt, obwohl der Deal mit Gazprom angeblich Ende 2022
       ausgelaufen ist.
       
       Müller weiß auch, dass es viele Verbände gibt, die gerne weiter Geld von
       dem russischen IBA-Präsidenten bekommen würden. Dass er im Amt bestätigt
       worden ist, habe auch damit zu tun, dass etwa afrikanische Verbände keine
       anderen Geldquellen hätten als die IBA. Sie werden anders als der deutsche
       Boxsport-Verband nicht vom Staat gepäppelt. Gut möglich, dass Kremlew mit
       diesen Verbänden im Rücken weiterkämpft.
       
       Kämpfen, genau. Zurück zu den European Games. Bei denen setzt
       Disziplintrainer Dickert vor allem auf Nelvie Tiafack, den Europameister
       von 2022 im Superschwergewicht. Für den hat er acht Trainingspartner in
       seiner Gewichtsklasse nach Kienbaum gelotst. Einmalig sei das. Er soll sich
       zu Olympia boxen. Ihm wird das ein bisschen Ruhm einbringen und seinem
       Verband weiter die Hand am Sportfördertopf des Bundes.
       
       15 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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