# taz.de -- Auftakt der Tour de France: Mit Sicherheit ins Risiko
       
       > Die Tour de France beginnt am Samstag im Baskenland. Nach dem Tod von
       > Gino Mäder bei der Schweizrundfahrt ist der Schutz der Fahrer ein großes
       > Thema.
       
 (IMG) Bild: Der Däne Jonas Vingegaard gilt als einer der Favoriten
       
       Eine Ikone der globalen Architektur steht schon in Bilbao. Es handelt sich
       ums dortige Guggenheim Museum. An dem spektakulär geformten und silbern
       glänzenden Gebäude fuhren die Tour-de-France-Teams zur klassischen
       Präsentation. Wasserfontänen schossen neben ihnen auf. Und zahlreiche
       Fahrer trugen riesige Baskenmützen anstelle des Helms bei den Rennen.
       
       Es war ein Tribut an die Gastgeberregion. Und die zahlreichen Fans nahmen
       die Geste auch freundlich auf. Zu Jubelorgien ließen sie sich gar
       hinreißen, als der zweifache [1][Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar] nicht
       nur mit dem schwarzen Textil auf dem kurz geschorenen Schädel erschien,
       sondern die Fans auf Baskisch begrüßte. Der Slowene hat einige Basken im
       Team, angefangen beim Kopf des Rennstalls, Matxin Fernández, bis hin zum
       Ernährungsberater Gorka Prieto-Bellver.
       
       Kaum in der Menge ausmachen konnte man Vertreter der baskischen Polizei,
       die Ertzaintza. Das mochte einerseits daran liegen, dass die Basken
       prinzipiell als radsportfreundlich gelten und unliebsame Zwischenfälle eher
       unwahrscheinlich sind.
       
       Andererseits hatte die Gewerkschaft der Polizei in den letzten Wochen
       mehrfach zum Streik aufgerufen und war auch bei dem französischen Konsulat
       vorstellig geworden. Arbeitsniederlegungen während der Tour wurden
       zumindest heiß diskutiert. Grund der Klagen ist vor allem Unzufriedenheit
       über die niedrigen Gehälter.
       
       ## „Verwöhnte Heulsusen“
       
       Ob jetzt mehr Geld ausgeschüttet wurde, um die Tour in sicheres Fahrwasser
       zu bringen, ist unklar. Viel zu tun, viel mehr als üblich, gibt es im Laufe
       des Grand Departs jedenfalls für die Sicherheitskräfte. 2.190
       Straßensperren sollen während der drei Etappen im Baskenland errichtet
       werden, kann man im Dossier der lokalen Task Force Sicherheit nachlesen.
       
       Vier Stunden vor Durchfahrt von Peloton und Werbekarawane werden die
       Straßen komplett für den Verkehr geschlossen. Die Veranstalter wollen
       Szenen wie bei der Pyrenäenrundfahrt der Frauen vor wenigen Wochen
       verhindern.
       
       Die Rundfahrt wurde abgebrochen, weil Privatfahrzeuge munter auf dem Kurs
       fuhren, teilweise in Gegenrichtung auf das nahende Peloton. Der
       Rennveranstalter dort mokierte sich zwar über „verwöhnte Heulsusen“, die
       glaubten, sie seien bei der Tour de France.
       
       Das bescherte ihm allerdings schnell einen Shitstorm in der Szene. Und vor
       dem Tour-Start trafen sich Weltradsport- und Rennstallverband sowie
       Fahrergewerkschaft und die Veranstalter zu einer Pressekonferenz, um über
       verbesserte Fahrersicherheit zu sprechen. Dass die derzeit aktivste
       Fahrer*innengewerkschaft [2][The Cyclists Alliance] nicht zu den
       Einladenden gehörte, ließ allerdings Zweifel an der Wirksamkeit des
       Treffens aufkommen. Und auch der große Männeradsport ist nicht von Pannen
       frei. Im März schockte ein entgegenkommendes Auto das Fahrerfeld der
       Fernfahrt Paris–Nizza auf der Abschlussetappe. Nur knapp schrammten alle an
       einem Desaster vorbei.
       
       Spätestens seit dem Tod des Schweizer Radprofis Gino Mäder bei der Tour de
       Suisse vor zwei Wochen ist das Thema Fahrersicherheit wieder akut. Ein
       Verschulden Dritter wurde dort zwar bislang nicht festgestellt. Allerdings
       monierten einige Fahrer, darunter Weltmeister Remco Evenepoel, dass nach
       zwei schweren Anstiegen das Ziel nicht oben auf dem Berg, sondern nach
       einer weiteren rasanten Abfahrt im Tal eingerichtet wurde. Das könnte, so
       suggerierte jedenfalls der Belgier, zu Konzentrationsschwächen und damit
       erhöhten Risiken geführt haben.
       
       ## Orangene Wand aus baskischen Fans
       
       Mäders Rennstall Bahrain Victorious will diese Tour de France jedenfalls
       ganz im Gedenken an den verunglückten Profi bestreiten. „Wir wollen für ihn
       jeden Tag unser Bestes geben, für ihn fahren und ihn so ehren“, meinte
       Mannschaftskapitän Mikel Landa vor dem Start.
       
       Landa ist Baske, einer von insgesamt sieben, die an diesem Grand Depart in
       der Heimat teilnehmen. Und natürlich wollen sie sich alle vorn zeigen. Die
       besten Aussichten auf einen Etappengewinn durchs vertraute Hügelland haben
       die bergfesten und tempoharten Kämpen Pello Bilbao (Bahrain), Ion Izagirre
       (Cofidis) und Omar Fraile vom Team Ineos Grenadiers.
       
       Gut möglich ist aber auch ein früher Showdown der [3][Rundfahrtfavoriten
       Jonas Vingegaard] (Jumbo – Visma) und Pogacar (UAE). Der Slowene nahm diese
       Woche noch den letzten steilen Berg am Ende der 2. Etappe persönlich in
       Augenschein. Vingegaard kennt viele Anstiege sogar noch vom Wettkampf her.
       Anfang April gewann der Titelverteidiger bei der Tour de France auch
       souverän die Baskenlandrundfahrt. Und dort erlebte er schon mal, wie es
       ist, in die orangene Wand aus baskischen Fans hineinzufahren, die im
       allerletzten Moment dann doch noch fair die Gasse freimachen, damit die
       Profis hindurchkommen.
       
       Der Däne feierte sie danach als die „weltbesten Fans“. Bleibt nur zu
       hoffen, dass sie den Vorschusslorbeeren selbst dann entsprechen, wenn die
       Ertzaintza aus komplett verständlichen Gründen doch noch ins Streiken
       verfällt.
       
       1 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Zweikampf-bei-der-Tour-de-France/!5865409
 (DIR) [2] https://cyclistsalliance.org/
 (DIR) [3] /Entscheidung-bei-der-Tour-de-France/!5867054
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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