# taz.de -- Kurdische Geflüchtete in Schweden: Eine App ist noch kein Terrorbeweis
       
       > Nach einer Gesetzesverschärfung können kurdische Flüchtlinge in Schweden
       > leichter in die Türkei abgeschoben werden.
       
 (IMG) Bild: Demo des Demokratischen Kurdischen Gesellschafts-Zentrums in Stockholm, 21.1.2023
       
       STOCKHOLM taz | Schwedens oberster Gerichtshof hat am Donnerstag die von
       der Türkei gewünschte Auslieferung zweier türkischer Männer gestoppt, die
       als anerkannte Flüchtlinge in Schweden leben. Die Türkei hatte ihren Wunsch
       mit der Mitgliedschaft der beiden in der Gülen-Bewegung als einer
       „bewaffneten Terrororganisation“ begründet. Doch das Gericht hielt die
       dafür vorgelegten Beweise für nicht ausreichend.
       
       In dem vom Gerichtshof als „Präzedenzfall“ [1][veröffentlichten Beschluss]
       geht es um einen 45-Jährigen, der 2019 mit der Begründung Asyl erhielt, er
       riskiere politische Verfolgung, „weil ihn die türkischen Behörden als
       Anhänger der Gülen-Bewegung sehen“. Die Türkei hatte im Oktober 2022 bei
       Verhandlungen über Schwedens Nato-Beitritt die Auslieferung einer Reihe
       namentlich genannter Personen gefordert, darunter auch die des 45-Jährigen.
       
       Nach der bisherigen schwedischen Rechtslage hätte sich die Frage nach einer
       Auslieferung vermutlich gar nicht gestellt. Eine Gesetzesverschärfung, die
       am 1. Juni in Kraft trat, weitet nun die Definition dessen, was rechtlich
       den Tatbestand der Förderung von Terroraktivitäten erfüllen soll, deutlich
       aus. Mit der teils heftig kritisierten Gesetzesänderung wollte die
       Regierung das am 28. Juni 2022 zwischen Finnland, Schweden und der Türkei
       [2][geschlossene Abkommen] erfüllen, in dem der Türkei eine Unterstützung
       beim Antiterrorkampf versprochen worden war.
       
       Darauf bezog sich nun der oberste Gerichtshof. Eine Auslieferung wäre jetzt
       eventuell möglich, wenn etwas, das die Türkei als Straftat ansehe, auch in
       Schweden strafbar wäre, zum Beispiel Mitgliedschaft in einer bewaffneten
       Terrororganisation. Doch dem schwedischen Gericht reichten die türkischen
       Beweise für die „aktive Mitgliedschaft“ nicht: die Installation der
       Mobil-App ByLock, über die Gülen-Mitglieder kommunizierten.
       
       ## KurdInnen in Schweden beunruhigt
       
       In der Türkei gab es tatsächlich [3][Tausende von Strafverfahren] wegen der
       Installation dieser App Auch der nun betroffene 45-Jährige wurde deshalb
       2018 zu sechs Jahren Haft verurteilt.
       
       Selbst mit der nun verschärften Antiterrorgesetzgebung müsse ein
       schwedisches Gericht aber überprüfen, ob das, was in einem anderen Land zur
       Strafbarkeit einer Handlung ausreiche, „generell auch aus schwedischer
       Sicht akzeptabel ist“, schreibt das Gericht: „Installation und Anwendung
       einer App allein begründet keine terroristische Straftat.“
       
       Der jetzige Gerichtsbescheid, bei dem unzureichende Beweise eine
       Auslieferung stoppen konnten, zeige, auf welch gefährliches Eis sich
       Stockholm mit der verschärften Terrorgesetzgebung begeben habe, die einfach
       die Terrordefinition eines anderen Landes übernehme, konstatieren erste
       Kommentare. Schweden „legitimiert die türkische Terrorauffassung“, so der
       ehemalige schwedische Botschafter in der Türkei, Michael Sahlin, wenn es
       faktisch [4][international nicht als terroristisch eingestufte Gruppen wie
       YPG, PYD oder die Gülen-Bewegung] Terrororganisationen gleichstelle.
       
       Ein in Vilnius geschlossenes ergänzendes Abkommen, in dem sich Schweden
       verpflichtet, die Zusammenarbeit mit der Türkei zur Terrorbekämpfung weiter
       zu vertiefen, [5][verstärkt die Unruhe unter KurdInnen in Schweden]. Der
       schwedisch-kurdische Autor Kurdo Baksi schreibt, Schweden habe einmal klar
       auf Seite der Menschenrechte gestanden, nun vermittle es den Eindruck,
       „mehr auf der Seite der Unterdrücker zu stehen“.
       
       13 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.domstol.se/globalassets/filer/domstol/hogstadomstolen/avgoranden/2023/b-7581-22.pdf
 (DIR) [2] https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2022/6/pdf/220628-trilat-memo.pdf
 (DIR) [3] /Repressionen-in-der-Tuerkei/!5813473
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