# taz.de -- EU-Gipfel diskutiert über Wagner-Aufstand: Risse im russischen System
       
       > Beim EU-Gipfel fordern osteuropäische Staats- und Regierungschefs mehr
       > Nato-Unterstützung. Eine gemeinsame Strategie zum Umgang mit Russland
       > fehlt.
       
 (IMG) Bild: Jens Stoltenberg und Charles Michel schreiten zum EU Gipfel in Brüssel, vorbei an Nato-Fahnen
       
       BRÜSSEL taz | Zwischen die Europäische Union und die Nato passt kein Blatt
       Papier: Diese Botschaft wollte EU-Ratspräsident Charles Michel zu Beginn
       des zweitägigen EU-Gipfels am Donnerstag in Brüssel aussenden. Für den
       „special guest“, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ließ Michel sogar
       zwei Nato-Flaggen im „Europa“-Tagungsgebäude hissen. Doch das Treffen, bei
       dem es vor allem um die Ukraine gehen sollte, verlief nicht so harmonisch
       wie geplant.
       
       Die Gespräche über weitere Waffenhilfe und mögliche Sicherheitsgarantien
       für Kyjiw wurden von Sorgen über Russland überschattet. Zudem meldeten die
       neutralen EU-Länder Vorbehalte gegen die Kooperation mit der Nato an:
       Österreich, Irland, Zypern und Malta legten großen Wert auf ihre
       Neutralität, erklärte der österreichische Kanzler Karl Nehammer. Man wolle
       sich nicht zu eng an die Nato binden und man gebe auch keine
       verpflichtenden Garantien für die Ukraine. „In der Vielfalt liegt unsere
       Stärke“, betonte er. Das müsse der EU-Gipfel berücksichtigen.
       
       Das eigentliche Thema zum Auftakt des Gipfels war jedoch der
       [1][gescheiterte Putsch der Wagner-Gruppe in Russland]. Es stand zwar nicht
       auf der Tagesordnung, überschattete aber auch das Mittagessen mit
       Stoltenberg. Der Nato-Chef sprach von „Rissen“ im russischen System, warnte
       aber vor voreiligen Schlüssen. „Es ist zu früh, um endgültige
       Schlussfolgerungen zu ziehen.“ Schließlich sei noch nicht klar, wie viele
       [2][Wagner-Kräfte in Belarus] oder anderswo landen werden.
       
       Der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins forderte wegen der
       ungewissen Verlegung der Kämpfer strengere Grenzkontrollen zu Russland und
       Belarus. Der litauische Präsident Gitana Nauseda forderte verstärkte
       Nato-Unterstützung wegen der „Serienkiller“ von Wagner. „Niemand weiß, wann
       sie sich gegen uns wenden.“ Deutschland hat bereits die Stationierung
       weiterer Soldaten angekündigt.
       
       Bundeskanzler Olaf Scholz übte scharfe Kritik an der [3][Wagner-Gruppe].
       „Was Wagner-Söldner im Ukrainekrieg, was sie in Afrika machen, ist
       unverantwortlich und unverzeihlich“, sagte Scholz. Zugleich betonte er,
       dass Deutschland keinen „Regime-Change“ in Moskau wolle. Es handele sich um
       eine innere Angelegenheit Russlands. Deutschland und die EU müssten sich
       auf einen langen Krieg in der Ukraine einstellen, erklärte Scholz. Vom
       Gipfel müsse das Signal ausgehen, dass man die militärische und
       wirtschaftliche Hilfe für die Ukraine auf Dauer stellen könne. Das werde
       man auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski diskutieren.
       
       Mehrere osteuropäische Regierungschefs erneuerten ihre Forderung, dass die
       Ukraine nach dem Krieg schnell in die Nato aufgenommen werden sollte.
       Dagegen sprachen sich allerdings Deutschland und die USA aus. Die
       Entscheidung fällt erst [4][beim Nato-Gipfel in Vilnius Ende Juli].
       
       Das Treffen mit Stoltenberg war eine Art Generalprobe, bei der die EU
       allerdings so nah an die Nato rückte wie nie zuvor. Stoltenberg sprach von
       einer „strategischen Partnerschaft“, die durch den Krieg in der Ukraine
       „extrem wichtig“ geworden sei. Früher war der „europäische Pfeiler“ in der
       Nato umstritten – nun ist er essenziell.
       
       Allerdings verfügen die Europäer immer noch nicht über eine gemeinsame
       Strategie. Weder beim Umgang mit Russland noch bei der Frage nach
       Sicherheitsgarantien für die Ukraine zeichnete sich eine Einigung ab. Auch
       die Frage, ob russisches Vermögen für den Wiederaufbau in der Ukraine
       genutzt werden kann, blieb beim EU-Gipfel umstritten.
       
       29 Jun 2023
       
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 (DIR) Eric Bonse
       
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