# taz.de -- Syrien-Expertin über UN-Strukturmängel: „Das Verbrechen des Aushungerns“
       
       > Russland blockiert das UN-Hilfsmandat für Syrien. Kein Einzelfall, merkt
       > Konfliktforscherin Emma Beals an. Dabei solle Hilfe ein Menschenrecht
       > sein.
       
 (IMG) Bild: Hilfe nur noch von Assads Gnaden: Kinder im Rebellengebiet Idlib im Nordwesten Syriens am 6. Juli
       
       taz: Frau Beals, vergangene Woche scheiterte der UN-Sicherheitsrat daran,
       den Mechanismus für grenzüberschreitende Hilfe der Vereinten Nationen in
       Syrien zu genehmigen. Schuld war das Veto Russlands. Am Donnerstag kündigte
       das Regime an, den Grenzübergang Bab al-Hawa, der die Türkei mit Syriens
       Rebellengebiet verbindet, doch für sechs Monate zu öffnen. Die gesamte von
       der UN verwaltete Hilfe hängt nun von Assads Gnade ab. Warum braucht es
       überhaupt eine UN-Resolution des Sicherheitsrates, um Hilfe zu schicken? 
       
       Emma Beals: Zu Beginn der Krise wandte die UN ihre übliche Strategie an.
       Sie bat die syrische Regierung: Können wir bitte in Gebiete außerhalb Ihrer
       Kontrolle einreisen, um humanitäre Hilfe zu leisten? Die Antwort war: Nein.
       Das ging so weiter, alle waren frustriert. Dann verschafften sich NGOs
       Zugang und leisteten Hilfe, ohne sich mit dem Regime oder der UN
       abzustimmen. Erst viel später schaltete sich die UN im Rebellengebiet im
       Nordwesten ein, als klar wurde, dass es unhaltbar war, Damaskus höflich zu
       bitten. Dann bekamen wir die Resolution 2165 für grenzüberschreitende Hilfe
       – dreieinhalb Jahre nach Beginn des Konflikts. Die UN und ihre Organe
       glauben, diese zusätzliche Ermächtigung zu benötigen, um Menschen zu helfen
       ohne Zustimmung des Staates, der die Hilfe blockiert.
       
       Syrien ist also nicht der einzige Fall, in dem Staaten lebensrettende Hilfe
       blockieren und die UN wenig dagegen tun können? 
       
       Auch Myanmar oder Äthiopien blockieren Hilfe für Teile ihrer Bevölkerung,
       und es gibt weder eine operative noch eine politische Lösung dafür.
       
       Gibt es so etwas wie ein universelles Recht auf humanitäre Hilfe? 
       
       Es gibt verschiedene UN-Resolutionen und Vereinbarungen, die besagen: Hilfe
       darf nicht behindert oder blockiert werden. Aber sie erlauben es den
       UN-Organisationen nicht, einfach loszuziehen, ohne Erlaubnis der Staaten.
       
       Warum nicht? 
       
       Weil die UN das Völkerrecht so auslegt, dass sie eine UN-Resolution oder
       Zustimmung der zuständigen Regierung braucht, um irgendwo tätig zu werden.
       Deshalb sind sie manchmal sehr vorsichtig. Andere Akteure der humanitären
       Hilfe sind anderer Meinung. Sie gehen hin zu den Menschen, die von Hilfe
       abgeschnitten sind – wenn nötig auch ohne Genehmigung.
       
       Organisationen außerhalb der UN können schneller und ohne die Zustimmung
       des Staates handeln. 
       
       Stimmt. Aber was mir aufgefallen ist: Die Hilfsorganisationen brauchen
       lange, um überhaupt zu erkennen, dass der Staat aus Absicht handelt. Sie
       dachten: „Oh, wenn wir ein bisschen härter oder netter verhandeln, lassen
       sie uns rein“, oder „vielleicht liegt ein Missverständnis vor“. Wenn sie
       erst einmal die Entscheidung getroffen haben, ohne Erlaubnis reinzugehen,
       wird alles viel einfacher. Solange sie mit der bewaffneten Gruppe vor Ort
       verhandeln und Leute finden, die die Hilfe verteilen, können sie ihr
       Programm sicher durchführen. Humanitäre Helfer*innen verhandeln ständig
       über Zugang in einem unsicheren Umfeld.
       
       Gibt es innerhalb der UN Lösungen, um Staaten, die die Hilfe blockieren, zu
       behindern oder zu sanktionieren? 
       
       Dafür plädiere ich. Wir brauchen eine Resolution des Sicherheitsrates oder
       besser noch der Generalversammlung, die besagt: „Menschen haben ein Recht
       auf Hilfe.“ Das würde die UN-Hilfswerke absichern: Bei systematischer
       Verweigerung von Hilfe könnten sie einfach reingehen und Hilfe leisten.
       
       Könnte man auch eine unabhängige Einrichtung schaffen, die humanitäre Hilfe
       genehmigt oder Mitgliedsstaaten sanktioniert, wenn sie humanitäre Hilfe für
       ihre Bevölkerung blockieren? 
       
       Es gibt niemanden, der Entscheidungen des Sicherheitsrates kontrolliert.
       Innerhalb der UN kann es keine unabhängige Instanz geben, weil sie aus
       ihren Mitgliedsstaaten besteht. Es sollte eine unabhängige Stelle geben,
       die Verweigerung von Zugang überwacht und diese Informationen weitergibt,
       um auf Sanktionen oder diplomatische Lösungen zu drängen. Eine solche
       Einrichtung müsste sogar unabhängig von den humanitären Organisationen
       sein, denn die sprechen mit denjenigen, die die Hilfe blockieren, und
       wollen nicht, dass es so aussieht, als käme die Maßregelung ebenfalls von
       ihnen. Es dürfte auch nicht der Anschein entstehen, dass solch eine
       Einrichtung mit einem bestimmten Staat verbunden wäre. Es gibt viele
       unabhängige Organisationen, die in Bezug auf die Sorgfalt ihrer Arbeit und
       ihren Ruf legitimiert wären.
       
       Wer wäre international zuständig, um Staaten zur Rechenschaft zu ziehen,
       die Hilfe für ihre Bevölkerungen blockieren? 
       
       Das Verbrechen des Aushungerns kann vor dem Internationalen
       Strafgerichtshof verhandelt werden. Innerhalb der UN ist es wichtig, dass
       die UN-Menschenrechtskommission OHCHR und ihre Untersuchungskommission
       solche Fälle systematisch untersuchen und feststellen, dass die gesamte
       Blockierung der Hilfe über einen längeren Zeitraum hinweg ein
       Kriegsverbrechen darstellt.
       
       17 Jul 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Neumann
       
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