# taz.de -- Tempo 30 vor Hamburger Kita: Langsamer als die Polizei erlaubt
       
       > Vor sozialen Einrichtungen gilt Tempo 30. Eigentlich. Aber erst sechs
       > Jahre später hat ein Vater das Tempolimit vor der Kita seines Sohnes
       > durchgesetzt.
       
 (IMG) Bild: In Hamburg ist Tempo 30 noch ausbaufähig
       
       HAMBURG taz | Es war einmal im Jahr 2017, da stellte ein Vater den Antrag,
       dass vor der Kita seines Sohnes im Stadtteil Hamburger Eimsbüttel Tempo 30
       eingeführt werden solle. Das gibt die Straßenverkehrsordnung seit jenem
       Jahr her. Aber es sollte sechs Jahre dauern, bis der Bezirk die reduzierte
       Höchstgeschwindigkeit an einem Teilstück der Lappenbergsallee anordnete.
       
       Und erst im vergangenen Monat ist der Antrag, die gesamte Lappenbergsallee
       [1][auf Tempo 30 zu beschränken], beschlossen worden. Das heißt, das
       künftig die zahlreichen Kitas und Seniorenwohnheime entlang der Straße, die
       laut Straßenverkehrsordnung geschützt werden sollen, tatsächlich geschützt
       werden. Es sei denn, die untere Verkehrsbehörde grätscht noch dazwischen.
       
       Man kann, je nach Stimmung, das Ganze als Zeichen dafür nehmen, dass in
       Hamburg die Mantren einer autoaffinen Verkehrspolitik nicht mehr
       automatisch verfangen. Oder aber als Hinweis, dass in dieser Stadt so etwas
       wie eine Verkehrswende nur dann passiert, wenn engagierte Bürger:innen
       einen zähen Kampf mit Polizei, Verkehrsbehörde und Politik ausfechten.
       
       So zäh, dass das eigene Kind die Grundschule bereits verlassen hat, wenn
       die Autos vor der einstigen Kita langsamer fahren. Was bedeutet, dass man
       diesen Kampf notwendigerweise nicht nur fürs eigene Wohl kämpft.
       
       ## Lärm- und Emissionsschutzwerte überschritten
       
       Fabian Winkler hatte 2017 ein Online-Angebot des Allgemeinen Deutschen
       Fahrrad-Clubs (ADFC) genutzt, mit dem man feststellen konnte, ob die Lärm-
       und Emissionsschutzwerte in einer bestimmten Straße überschritten wurden.
       Beides war in der Lappenbergsallee an der Kita seines Sohnes des Fall.
       Winkler stellte den Antrag auf Tempo 30 an die Straßenverkehrsbehörde – und
       hörte erst einmal nichts.
       
       Fünf Monate später kam ein Kostenbescheid: Die Prüfung seines Antrags würde
       bis zu 360 Euro Bearbeitungsgebühr kosten, ob er dazu bereit sei? Winkler
       war dazu bereit. Knapp zwei Jahre später erhielt er die Ablehnung: Zwar
       liege der Lärmpegel mit 68 dB über dem Grenzwert von 59 dB, das allein
       rechtfertige aber kein Tempo 30.
       
       Und vor allem: Die Metrobusse müssten dann langsamer fahren und dies, so
       die Polizei, „führt auch zu einer Verschlechterung der Attraktivität des
       Öffentlichen Personennahverkehrs“.
       
       Die Polizei gilt in Hamburg als Vertreterin eines ehernen Gesetzes, das
       fließender Autoverkehr heißt. Und dass die unteren Verkehrsbehörden bei ihr
       angesiedelt sind, kritisiert nicht nur der ADFC. Die Grünen haben 2020
       beantragt, die unteren Verkehrsbehörden den Bezirksämtern zu unterstellen,
       in ihrem Wahlprogramm forderten sie, die Verkehrsdirektion von der
       autoaffinen Innenbehörde zu lösen – beides erfolglos.
       
       ## „Es ging mir ums Prinzip“
       
       Fabian Winkler hat im Juni 2019 gegen die Ablehnung seines Antrags vor dem
       Verwaltungsgericht geklagt, er hat sich sogar einen Anwalt dafür genommen,
       „es ging mir ums Prinzip“. Das Prinzip bedeute, keinen Verkehr hinzunehmen,
       „der alles aufs Auto auslegt“, selbst in einem so dicht besiedelten Gebiet
       wie Eimsbüttel, und das Prinzip bedeute auch, nicht zu warten, bis „etwas
       Fürchterliches“ passiert, in der Regel ein tödlicher Unfall mit einem Kind
       wie in der Stresemannstraße, wo es vor vielen Jahren plötzlich möglich war,
       Teile einer Hauptverkehrsader auf Tempo 30 zu drosseln.
       
       Das Verwaltungsgericht war mit anderen Fällen befasst, Winklers Verfahren
       dümpelte vor sich hin, zwischenzeitlich schrieb die Polizei in einer
       bemerkenswerten Stellungnahme, dass von Tempo 30 keine nennenswerte
       Lärmreduzierung zu erwarten sei. Und fuhr fort: „Dies kann ferner auch
       angenommen werden, da sich ein Teil der Fahrzeugführer über eine zulässige
       Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h hinwegsetzen würde.“
       
       Während ein Urteil weiter ausstand, wurde Ende 2022 vor einer Kita in einer
       unmittelbaren Nachbarstraße der Lappenbergsallee, durch die ebenfalls
       Metrobusse fahren, Tempo 30 eingeführt. Und das auf Initiative der Polizei.
       Winkler setzte das Gericht davon in Kenntnis, schließlich sah er damit das
       Hauptargument für die Ablehnung entkräftet.
       
       Im Februar 2023 ordnete plötzlich die Polizei Tempo 30 vor der Kita in der
       Lappenbergsallee an. In der Begründung heißt es lapidar: „Nach den
       Kriterien der HRVV [Hamburger Richtlinien für die Anordnung von
       Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen, Anm.] ist in der
       Lappenbergsallee 34 die Einrichtung einer Tempo 30-Strecke möglich und wird
       hiermit angeordnet.“ Von Einschränkungen des öffentlichen Nahverkehrs war
       nicht die Rede.
       
       ## Schockiert über die Langsamkeit
       
       Damit erübrigte sich der Prozess vor dem Verwaltungsgericht. Winkler wollte
       aber mehr: dass die gesamte Lappenbergsallee zur Tempo-30-Zone wird. Dafür
       gewann er die Grünen, die in der Bezirksversammlung Eimsbüttel den
       entsprechenden Antrag einbrachten. Er wurde gegen die Stimmen von AfD, CDU
       und FDP verabschiedet.
       
       Winkler sagt, dass er in den sechs Jahren viel gelernt hat über
       Verkehrsgesetze und die Strukturen politischer Entscheidungsfindung.
       Natürlich ist er stolz und zufrieden, dass die Tempo-30-Zone durchgesetzt
       ist. Aber ebenso ist er „schockiert, wie lange es dauert in einer Zeit, in
       der es notwendig ist, die Stadt massiv umzubauen von einer autogerechten zu
       einer mobilitätsoffenen Stadt“.
       
       Dirk Lau vom ADFC sieht das ähnlich. Für ihn sind die Begründungen, mit
       denen Tempo-30-Zonen abgelehnt werden, freundlich gesprochen, fantasievoll.
       Gerade wurde im Eimsbüttel, so sagt er, eine bereits ausgewiesene
       Tempo-30-Zone auf 6 bis 22 Uhr beschränkt, weil dort eine Feuerwehrwache
       liegt. Deren Mitarbeiter:innen, so die Begründung, müssten schneller fahren
       können. „Die Feuerwehrleute müssen tagsüber ja genauso zur Arbeit“, sagt
       Lau.
       
       Neue Tempo-30-Zonen gebe es in Hamburg nicht, Tempo-Abschnitte nur nach
       zähem Kampf. Was das Gesetz ermögliche, werde nicht ausgeschöpft – sondern
       ohne Not in Einzelfallprüfungen abgewogen. Lau fordert eine ganz andere
       Perspektive: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit mit Tempo 50 in begründeten
       Ausnahmen. Das ist noch Zukunftsmusik in Deutschland, aber Hamburg macht
       bislang keine Anstalten, eine solche Zukunft voranzutreiben, etwa indem es
       sich dem Städtebündnis „Lebenswerte Stadt“ anschließt, die genau das
       fordert.
       
       Vorerst bleibt den Hamburger:innen also nur, über den Tellerrand zu
       schauen. Nach [2][Bologna etwa, das sich gerade zur Tempo-30-Zone erklärt
       hat].
       
       6 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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