# taz.de -- Erinnerung an Hardy Worm: Feuerwerk der Wortpatronen
       
       > Er war Dadaist, schrieb Satire und auch Kriminalromane: Vor 50 Jahren ist
       > der antifaschistische Journalist und Schriftsteller Hardy Worm gestorben.
       
 (IMG) Bild: Zeittypischer Dada-Blick auf „Die Journalisten“ von Hannah Höch
       
       „Rot leuchtete die Fackel. Hei, wie die Häuser brennen. Qualm würgt. Feuer,
       Feuer! Hä, hä!“ – Ohne Sinn, aber mit Verstand preschte Hardy Worm 1921
       durch „Das Bordell“, eine sogenannte groteske Publikation, die Teil einer
       „Dada-Mappe“ war. Ein Feuerwerk der Wortpatronen in einem stilistischen
       Niemandsland: „Menschen zerplatzen in Farben. Hallo! Der Sturm. Kochende
       See.“ Provokation, Kunst oder Unsinn? Ansichtssache!
       
       Unter anderem verarbeiteten die Dadaisten die Folgen menschlicher
       Verzweiflung, geboren aus den Erfahrungen des Krieges: „Ich bin nicht. Ich
       lebe nicht. In mir ist alles so leer. Das ist das Ende. Oder der Anfang. Es
       ist alles so unsinnig“, seufzte da Fürst Metternich an einer Stelle, und
       das Beil fiel in sein Genick. Warum, das wusste nur das
       Dada-Kunstkollektiv, diese nervösen Freigeister – allen voran Raoul
       Hausmann und der „Oberdada“ Johannes Baader –, deren Ziel auch die
       Zerstörung der bürgerlichen Ordnung war.
       
       Da reichte dann schon eine Dirne mit entblößter Brust auf der Titelseite,
       um die Hüter der Moral auf den Plan zu rufen. Mit dem Ergebnis, dass „Das
       Bordell“ beschlagnahmt und verboten wurde: „Verletzt gröblich das
       Sittlichkeitsempfinden“, schrien Staatsanwalt und Moralapostel erbost und
       zerrten Worm vor Gericht.
       
       Doch der verließ beschwingt als freier Mann das Gerichtsgebäude, wenn auch
       um 200 Mark Geldstrafe erleichtert. Aber weil Dada nicht ausschließlich
       sein Lebensinhalt war, vergoss er darüber keine Tränen, auch wenn es ihn
       schon geschmerzt hatte, dass Alfred Kerr seine „Harakiri“-Blätter – auch
       ein Teil der Dada-Mappe – als „Bierulk mit Weltanschauung“ diskreditiert
       hatte, wie er 1966 in einem Brief an Wolfgang U. Schütte schreiben würde.
       
       In der Folge machte er einfach mit dem weiter, was er am besten konnte:
       Schreiben, das aber nur für den Tag. Das war nämlich die Devise des
       Journalisten, der am 8. Februar 1896 in Deutsch Wilmersdorf (Berlin
       existierte bis 1920 ja gar nicht als Großstadt heutigen Zuschnitts) als
       Eberhard Friedrich Emil Worm zur Welt gekommen war.
       
       Nach einem Volontariat bei einer Zeitschrift hatte der Sohn eines
       Verkäufers zunächst den Gedichtband „Schreie aus dem Kerker“ vorgelegt, in
       dem er seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg verarbeitet hatte, aber ebenso
       seine Zeit im Knast. 1919 hatte man ihn „wegen staatsumstürzlerischer
       Umtriebe“ – gemeint war Worms Mitgliedschaft bei einem Arbeiter- und
       Soldatenrat und seine Agitation für den Spartakusbund – sechs Monate
       inhaftiert. Das aber in prominenter Gesellschaft. In der Nachbarzelle saß
       der kommunistische Publizist Karl Radek, der ihm, so kann man vermuten,
       politisch zum Lehrmeister wurde, sodass Worm auch für kurze Zeit Mitglied
       der KPD wurde.
       
       ## Aufsässiger Singvogel
       
       Anprangern, die politischen Zustände im Land entlarven und publik machen,
       dabei nahm Worm nie ein Blatt vor den Mund: „Man hat das Empfinden, als
       besäße niemand mehr Vernunft und anständige Gesinnung. Die Republik ist
       verloren“, diagnostizierte er bereits 1921 die fragilen Zustände im Reich.
       
       Worm flutete in den 1920er Jahren, wie so viele seiner Zeitgenossen,
       etliche Publikationen mit seinen Texten. Die revolutionäre Aufbruchstimmung
       hatte dazu geführt, dass sich jede Gruppierung auch ein entsprechendes
       Sprachrohr suchte. Als „Mutter aller Satirezeitschriften“ diente vor allem
       der Simplicissimus, der bereits seit 1896 erschien und mit seinen
       Karikaturen höchste Maßstäbe gesetzt hatte, die immer äußerst scharfe
       Gesellschaftskritik beinhalteten.
       
       Bei der Berliner Volkszeitung war Worm zudem für die satirischen ULK-Seiten
       verantwortlich, das sorgte für eine gewisse pekuniäre Stabilität, und da
       konnte man auch mal experimentieren. Doch der Versuch, das Kabarett „Rote
       Nachtigall“ – Worm schrieb unter anderem Texte für die deutsch-jüdische
       Kabarettistin Annemarie Hase – mit Unterstützung von Kurt Tucholsky ins
       Leben zu rufen, scheiterte. Tucholsky, erinnerte sich Worm in einem
       weiteren Brief an Schütte, der in der Exilsammlung der Deutschen
       Nationalbibliothek zu finden ist, „kniff“ nämlich.
       
       Die Eröffnung musste vom 8. auf den 11. November 1922 verschoben werden und
       als Ersatz für den perdu gegangenen Conférencier wurde Hans Hyan
       verpflichtet. Der erschien im roten Retro-Samtjackett und Joachim
       Ringelnatz im Zustand der Volltrunkenheit. Das Publikum war nicht
       begeistert, und schon bald hauchte die Nachtigall ihr Leben aus, dieser
       aufmüpfige Singvogel, der eigentlich als „erstes literarisches
       Arbeiterkabarett“ gedacht war.
       
       „Sprache ist eine Waffe“, das wusste schon Tucholsky, und auch Worm sah
       sich stets als Sprachrohr derjenigen, die den immer weiter um sich
       greifenden Faschismus bekämpfen wollten. Und die Satire-Zeitschrift Die
       Ente, deren Chefredakteur Worm zwischen Oktober 1931 und Februar 1933 wurde
       und die ausschließlich linksbürgerliche, kommunistische und
       sozialdemokratische Tendenzen vertrat, strotzte daher auch zuverlässig vor
       verbalen Angriffen gegen den braunen Widersacher, kongenial zeichnete sich
       vor allem der Karikaturist Karl Holtz die Finger wund.
       
       Regelmäßig wurde schweres Geschütz aufgefahren, so zum Beispiel Hitler in
       der Irrenanstalt verortet oder ein Dorf namens „Hitlershofen“ erschaffen,
       in dem die Jünger des „Führers“ den Wahnsinnigen wie einen Gott verehrten.
       
       Dann kam der Tag, an dem Worm mit seiner aufsässigen Ente nichts mehr
       ausrichten konnte und das Federvieh gerupft werden sollte. Schwach hatte es
       noch gekräht: „… eins könnt ihr nicht: uns davon überzeugen, daß wir
       unrecht haben und ihr im Recht seid“, und dann kurz vor dem Exitus noch den
       Fehdehandschuh in Richtung Hakenkreuzfahne geworfen.
       
       Zeitnah marschierte dann auch eine Horde Nazis in die Redaktion der Ente
       und grunzte lautstark in Richtung Chefredakteurstuhl, der aber verwaist
       war, weil Worm gerade mit dem Herausgeber Bernd Gröttrup zechte. Er entkam
       den Schergen Hitlers nur knapp, eine Persona non grata, die sich auch mit
       Dolchstößen in Reimform wie „Anjetreten! Held markieren! Und Proleten
       massakrieren! Saal umstellen! Blut muss fließen! Janze Blase
       niederschießen!“ aus dem „Ente“-Gedicht „Die Nationalstrolchisten“ in akute
       Lebensgefahr gebracht hatte.
       
       ## Die Geburt von Ferry Rocker
       
       Worm emigrierte zusammen mit seiner Ehefrau nach Frankreich, eine
       Neugründung der Ente gelang dort nicht. Es folgte 1940 eine Zwischenstation
       in London, dann ließ sich das Paar 1945 in Wien nieder, wo Worm Redakteur
       des Neuen Österreich wurde und die österreichische Staatsbürgerschaft
       annahm. Abgerechnet wird zum Schluss, und das wurde der schonungslose
       Artikel „Eingefrorene Propagandatrompete“ in der Österreichischen Zeitung“
       vom 20. Mai 1945 über das „Reich der Entmenschung“, dem er so gerade hatte
       entkommen können.
       
       In gewisser Weise war Worm nach 1945 auch eine Art „aufgehörter“
       Schriftsteller, wie Tucholsky sich selbst einmal bezeichnet hat. Sein
       literarischer Kampf gegen den Faschismus war für immer vorbei. Die Zeit als
       Berlin-Chronist aber auch, der in seinen Werken den Fokus auf das dunkle
       Berlin gelegt hatte. In bester Leo-Heller-Manier hatte er über Kaschemmen,
       anrüchige Viertel, Nepplokale, Falschspieler, Obdachlosenasyle, schwere
       Jungs, leichte Mädchen oder die Häuser an der Panke berichtet, und das oft
       anrührend.
       
       Von den Menschen hatte er erzählt, die vor allem den Norden und Osten der
       Stadt bevölkerten, während die Hautevolee ihren falschen Talmiglanz und die
       Sinnlosigkeit ihres Daseins ganz woanders, nämlich auf den goldenen
       Tanzböden des Westens, zelebrierte: „Und überall grinst uns diese Leere an,
       die man mit Flitterkram zu verdecken sucht“, fasste Worm die Zustände in
       seinem Feuilleton „Berlin! Berlin“ einst sehr treffend zusammen. Eine
       gewisse „Urwüchsigkeit“, so war er sich sicher, war niemals in dieser
       oberflächlichen „Eleganten Welt“ zu finden.
       
       Zeitgleich zu seiner journalistischen Tätigkeit hatte Worm auch immer ein
       Faible für Detektivgeschichten. Da ließ er, oft in Fortsetzungsromanen in
       Tageszeitungen, mal Sherlock Holmes Junior ermitteln oder schickte den
       Detektiv „Harry Wolter“ auf Spurensuche, also praktisch sich selbst, wenn
       man die Ähnlichkeit zu seinem eigenen Namen so deuten darf. Ebenfalls
       hatten frühe Zeitungsartikel à la „Das Haus, in dem der Mord geschah“ für
       diese Leidenschaft gezeugt, die nach seiner Emigration für ein Einkommen
       sorgte.
       
       ## Nie wieder Fuß gefasst
       
       Als vielseitiger Journalist – denn so sah er sich selbst – konnte er
       dennoch in Berlin, in das er im Jahr 1957 zurückgekehrt war, nie wieder Fuß
       fassen. Aus Hardy Worm wurde endgültig „Ferry Rocker“, der Verfasser von
       erfolgreichen Kriminalromanen, dessen Bücher in mehrere Fremdsprachen
       übersetzt wurden. Gegen Ende der 1960er Jahre entdeckte ihn der
       Schriftsteller Wolfgang U. Schütte wieder und korrespondierte mit ihm von
       Leipzig aus.
       
       Das bewegte Leben des Hardy Worm endete am 29. August 1973 nach kurzer
       schwerer Krankheit in einem Krankenhaus in Zehlendorf, was nahezu unbemerkt
       von der Öffentlichkeit und dem Literaturbetrieb blieb. Schütte
       veröffentlichte in den Jahren darauf mehrere Sammelbände mit Texten von
       Worm, die in den Vor- und Nachworten viele biografische Details über den
       mutigen Journalisten enthielten – unter anderem 1976 das „Hohelied vom
       Nepp“ oder 1981 das wunderbare „Mittenmang durch Berlin“. Bis heute ist
       jedoch ungeklärt, wie viele Pseudonyme Worm eigentlich hatte, es sollen
       mindestens zehn gewesen sein.
       
       Er war nicht nur „Paddy Flip“ oder „Orje aus de Seestraße“, sondern auch
       „Der blutige Ernst“. Als Hardy Worm hingegen hat er einmal zu Schütte
       gesagt: „Ick habe doch bloß für den Tag jeschrieben und nicht für die
       Ewigkeit“. Dem soll an dieser Stelle ausdrücklich widersprochen werden.
       
       24 Aug 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Müller
       
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