# taz.de -- Kritik an geburtenstarken Jahrgängen: Generation X ist kein Boomer
       
       > Wer die Alten kritisieren will, spricht vom Versagen der „Boomer“. Der
       > Zorn mag gerecht sein. Doch wer vom Boomer spricht, sollte ihn auch
       > meinen.
       
 (IMG) Bild: Billy Idol ist ein Boomer. Wichtiger ist: Er war der Sänger der britischen Punkband Generation X
       
       Ob auf Instagram, im Fernsehen oder in der Zeitung ([1][auch in dieser]) –
       überall geht das Gespenst des Boomers um. Wenn es darum geht, die Leute
       dingfest zu machen, die für den Klimawandel verantwortlich sind, wider
       besseres Wissen immer noch Fleisch essen und Whatsapp-Gruppen mit
       peinlichen Memes fluten, dann war’s der Boomer. Der Boomer ist selbstredend
       ein Mann, nie eine Frau. Denn der Boomer ist der Cousin des [2][Alten
       Weißen Mannes].
       
       Es liegt in der Natur des Verhältnisses zwischen Kindern und Eltern, dass
       der Nachwuchs im Zuge seiner Autonomisierung einen kritischen Blick auf das
       Treiben der Erzeugerinnen wirft. Das muss so sein, es ist Teil des stetigen
       Fortschreitens der Menschheit in die Zukunft. Heißt aber nicht, dass den
       Jungen damit eine Lizenz zur Denkfaulheit ausgestellt wäre. Die Alten
       können von den Jungen erwarten, dass sie klüger sind als sie selbst. Wofür
       sonst hat man sie in die Schule geschickt? Die Schlampigkeit, mit der das
       Boomer-Klischee für alle verwendet wird, die nicht mehr postpubertär sind,
       sagt mehr über diejenigen aus, die es wahllos verwenden, als über die, die
       angeblich damit gemeint sein sollen.
       
       [3][Wer sind denn nun diese Boomer], was will uns dieser Begriff denn
       eigentlich sagen? Die Frage ist nicht in einem Satz zu beantworten, weil
       die „Generation“ der „Baby-Boomer“, wie ihr vollständiger Titel heißt,
       erstens in jedem Land mit variierenden Jahrgängen und zweitens mit
       bestimmten kulturellen Phänomenen verknüpft ist. Grob lässt sich sagen,
       dass Baby-Boomer – zu Deutsch „die geburtenstarken Jahrgänge“ – in den
       Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden. Bis der Pillenknick
       einsetzte.
       
       In Deutschland ging die Geburtenrate nach Kriegsende nach oben, stagnierte
       kurz und stieg bis 1963 weiter, dann neigte sich die Kurve steil nach
       unten. 1974 war der Tiefpunkt erreicht. Von einem Geburtenboom war da schon
       lang keine Rede mehr. Daher werden in Deutschland meist die Jahrgänge
       zwischen 1955 und 1965 zu den geburtenstarken gezählt. Die echten Boomer
       sind heute demnach grob gesagt zwischen 55 und 70 Jahre alt.
       
       ## Von fehlender Selbstkritik
       
       Alle, die jünger sind, zählen demografisch zur Generation X. So hieß eine
       im Jahr 1976 gegründete Londoner Punkband. Ihr Sänger wurde später als
       Solokünstler berühmt: Billy Idol hieß der Mann. Nachdem Douglas Couplands
       Roman „Generation X“ im Jahr 1991 ein Welterfolg wurde, hatte die den
       Boomern nachfolgende Generation endgültig ihren Namen weg.
       
       Deren Angehörige waren häufig Schlüsselkinder, hörten Generation X (die
       Band) und spielten Video-Games in der Shopping-Mall. Sie mussten zuschauen,
       wie die Ära der Sozialdemokratie zu Ende ging, der Neoliberalismus seinen
       Siegeszug antrat und ein neuer Konservatismus in die westlichen
       Gesellschaften einzog.
       
       Die Angehörigen der Generation X sind zwischen 40 und 55 Jahre alt. Selbst
       wenn sie in den 1980ern gegen Atomkraft und Umweltzerstörung demonstriert
       haben sollten, kann man auch sie durchaus für den gegenwärtigen Zustand der
       Welt verantwortlich machen. Allerdings handelt es sich bei ihnen oft auch
       um Menschen, die vegan leben, queer sind, non-binär, antirassistisch und
       vieles andere, von dem ihr denkt, ihr hättet es erfunden, liebe Kinder,
       Jugendliche und Millennials, ihr Ypsilone und Zetts.
       
       Bevor ihr also das nächste Mal süffisant „O. K., Boomer“ sagt oder
       schreibt, haltet kurz inne. Noch besser wäre Selbstkritik. Denn euer
       ständiges Geposte, euer ausuferndes Streaming, das Hochladen von Exabytes
       in die Cloud – all das macht heute einen [4][erheblichen Teil des
       weltweiten Energieverbrauchs] aus. Lehnt euch also nicht zu weit aus dem
       Fenster. Schon bald werden die nachfolgenden Kohorten auch euch für den
       katastrophalen Zustand der Welt verantwortlich machen.
       
       9 Aug 2023
       
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