# taz.de -- Die KI-App und das Aussehen: Cool old
       
       > Wäre es nicht cool, einfach alt zu werden? Noch immer gelten alte,
       > verkalkte Schönheitsideale.
       
 (IMG) Bild: Sie war cool: Jane Birkin 1970 und 2021
       
       Wir werden alle sterben, aber vorher werden wir hoffentlich alt. Eigentlich
       dachte ich immer, dass ich kein großes Problem mit dem Altern habe. Ich
       liebe die weißen Haare meiner Mutter, und ich bin ständig in ältere Frauen
       schockverliebt und denke, dass ich später genauso sein will. Ehrlich
       gesagt, ist das die Haltung einer gesunden 33-Jährigen, die gerade erst die
       Vergänglichkeit ihres Körpers bemerkt. Und die Haltung einer Gesellschaft,
       die das Älterwerden nicht so genau betrachten mag.
       
       Es reizt mich nicht, in die Zukunft zu sehen. Meistens denke ich: Es kommt,
       wie es kommt, und dann geht man damit um. Bloß habe ich nicht mit der KI
       gerechnet. [1][Es gibt diese App, bei der man sein Gesicht altern lassen
       kann]. Die künstliche „Intelligenz“ ist so erschreckend gut, dass sie eine
       wirklich glaubwürdige Variante von mir als Seniorin ausspuckt, die nicht
       sagt, „das könntest du sein“, sondern „genau das wirst du sein“.
       
       Mein Zukunftsgesicht ist breiter, schlaffer, faltiger, und es hat
       besorgniserregende Rötungen. Haut im Verfall eben. Aber entgegen meiner
       eingebildeten Alterungsprozesstoleranz konnte ich bei seinem Anblick nur
       denken: Scheiße, muss das sein? Und als hätten die App-Entwickler*innen
       solche Effekte vorhergesehen, haben sie einen zweiten Filter eingebaut.
       „Cool old“ heißt der, und er beruhigt etwas. „Cool old“ – das ist die alte
       Frau, in die sich eine Anfang Dreißigjährige im Jahr 2063 schockverlieben
       könnte. Weil sie gut geschminkt ist und etwas ausstrahlt, das keine junge
       Frau je kopieren könnte.
       
       Wie absurd aber, dass wir die Alten, cool oder nicht, kaum sehen. Als
       schöne Menschen, die schön sind, weil sie schon ein ganzes verdammtes Leben
       gelebt haben. Vielleicht beschäftigen wir uns zu ungern mit dem
       Unausweichlichen, mit dem Tod sowieso, aber auch mit dem Weg dahin. Jugend
       ist ja eine Währung, besonders bei Frauen. [2][Als Jane Birkin starb], sah
       ich vor allem die Fotos der jungen Frau mit langen Haaren und Pony, sehr
       dünn, oft mit Zigarette oder Serge Gainsbourg. Aktuellere Bilder einer Ende
       70-Jährigen tauchten seltener auf. Als müsste das Ikonische am Bild einer
       jungen Frau haften bleiben, nicht an einem alten Körper mit ausgedünntem
       Haar.
       
       ## A oder B
       
       Schön oder alt – das ist viel zu oft eine A- oder B-Entscheidung. Als ginge
       nicht beides. Und während ich merke, dass ich doch nicht so entspannt bin
       mit den ersten Falten in meinem Gesicht, frage ich mich: Wäre es nicht
       toll, wenn es reichte, einfach alt zu werden? Ist alt sein wirklich so
       unansehnlich, dass man „cool“ sein muss, um bewundert zu werden?
       
       So richtig losgekommen von den verkalkten Schönheitsidealen sind wir also
       längst nicht. Also zupfe mir noch ab und zu weiße Haare aus. Aber ich will
       mich öfter erinnern, dass auch die müden, erschöpften, humpelnden, kranken
       Alten Anerkennung und Sichtbarkeit verdienen. Auch, weil wir alle mal sie
       sein werden.
       
       2 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://blog.deinhandy.de/aging-app-diese-3-kostenlosen-apps-lassen-dein-gesicht-altern
 (DIR) [2] /Nachruf-auf-Saengerin-Jane-Birkin/!5947477
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lin Hierse
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Diskriminierung
 (DIR) Kolumne Poetical Correctness
 (DIR) Altern
 (DIR) Kolumne Poetical Correctness
 (DIR) Kolumne In Rente
 (DIR) Podcast
 (DIR) Ferda Ataman
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die letzte „poetical correctness“: Über das schöne Schreiben
       
       Wenn die Zustände oft so hässlich sein müssen, soll wenigstens in der
       Sprache Schönheit liegen. Diese Kolumne war ein Raum dafür, fürs Fragen und
       Denken.
       
 (DIR) Bodypositivity statt Ageism!: Geburtstagsbrief an meinen Körper
       
       Mit dem Alter verändert sich der Körper. Kein Grund für
       Schönheitschirurgie. Ein wenig Selbstpflege, Selbstachtung, Selbstliebe
       reicht.
       
 (DIR) Podcast über Geschlechterstereotype: Tollpatschige und Animalische
       
       Der Podcast „Feminist Shelf Control“ analysiert den ideologischen Unterbau
       von amerikanischen Schnulzenromanen.
       
 (DIR) Studie zu Ageism in Deutschland: Altersdiskriminierung ist Alltag
       
       Alte Menschen werden in Deutschland regelmäßig benachteiligt, zeigt eine
       neue Studie. Aber auch Jüngere sind von Ageism betroffen.