# taz.de -- Biosphärenreservat in Spanien: Wie eine reale Fototapete
       
       > Alte Filmkulissen in der spanischen Halbwüste bei Navarra sollten als
       > Biosphärenreservat geschützt werden. Doch warum ist da immer noch so viel
       > los?
       
 (IMG) Bild: Ein Monolith für die einen, für die anderen ein Penis: Felsformation in Bardenas Reales, Spanien
       
       BARDENAS REALES taz | Don Quichottes Rosinante scheut, als im Tiefflug
       Nato-Flugzeuge auftauchen. Dabei waren diese angeblich nur aufgestiegen,
       weil die Piloten unbedingt Johnny Depp sehen wollten. So geschehen im
       September 2000 – hier in Bardenas Reales, einer riesigen [1][Halbwüste im
       Süden] von Navarra.
       
       Der Jeep rast zwischen kargen Hügeln über einen breiten Schotterweg, Fahrer
       Mikel versucht, das Film-Trailer präsentierende Smartphone in dem winzigen
       Gestell über dem Armaturenbrett einigermaßen stabil zu halten und gibt dazu
       in einer Art Spenglish euphorische Erklärungen.
       
       Der hagere Allrounder hat hier bereits zahlreiche Produktionen begleitet,
       obwohl das rund 400 Quadratkilometer umfassende Gebiet ein
       [2][Unesco-zertifiziertes] Biosphärenreservat ist, eigentlich.
       
       Eigentlich aber hatte auch der Dokumentarfilm „Lost in La Mancha“ die
       Dreharbeiten zu einer als Kassenschlager anvisierten europäischen
       Gemeinschaftsproduktion zeigen sollen: der französische Starschauspieler
       Jean Roquefort als Don Quichotte und Johnny Depp als eine Art zeitreisender
       Sancho Panza. Das Geld wurde schnell knapp, Roquefort begann an der
       Bandscheibe zu leiden und Johnny Depp guckte mehr gen Himmel als in die
       Kamera. Das ambitionierte Projekt versank im Halbwüstensand.
       
       ## Einmalige Landschaft mit Reptilien und Amphibien
       
       Die sechste Staffel von [3][„Game of Thrones“] konnte hingegen problemlos
       gedreht werden, sowie einige Szenen von Ridley Scotts „The Counselor“ von
       2013, in denen Penelope Cruz, Brad Pitt und Javier Bardem in der
       amerikanisch-mexikanischen Wüste unterwegs sind, eigentlich. Und die
       kasachische Atomanlage, in der James Bond in „Die Welt ist nicht genug“
       herumkraxelte, war ebenfalls eine in den Bardenas Reales aufgebaute
       Kulisse.
       
       Eine Vollbremsung. Die Fensterscheiben surren herunter, Kopf aus dem Jeep
       gehalten: Auch jetzt sind wieder Kampfjets am Himmel, doch in solcher Höhe,
       dass sie nur ein Rauschen verursachen, Hintergrund zum Wüstenwind, der –
       eigentlich – ja nur ein „Halbwüstenwind“ ist, da er hier immerhin auch über
       Restbestände schütterer Gras- und Gesträuchvegetation pfeifen kann.
       
       Sollte das Bioreservat, diese in Europa einmalige Landschaft mit ihren über
       zwanzig Vogelarten, Wildkatzen, Reptilien und Amphibien, geschützt werden?
       Das Militärgebiet befinde sich weit außerhalb davon, sagt Mikel, und hier
       im Inneren sorgten Kontrollen dafür, dass Touristen nur auf diesem
       Schotterweg – „unsere Route 66“ – unterwegs wären, um die Ursprünglichkeit
       der Gegend zu genießen. Kaum war es gesagt, zuckelt hinter einem der Hügel
       ein Caravan mit holländischem Nummernschild heran.
       
       „Das ist verboten“, ruft Mikel herüber, und die blonde Frau antwortet keck
       aus dem Beifahrerfenster: „Aber wir sind eh schon hier!“ Später überholen
       uns, immerhin auf der lokalen „66“, noch etliche Harley-Davidson-Easy-Rider
       und behelmte Quadfahrer.
       
       Vor Jahrtausenden war hier Wasser von den Pyrenäen ins Mittelmeer
       geflossen; was geblieben ist, sind ausgetrocknete Flussbetten, dunkelgelbe
       Plateauberge, wellenförmige Hügel und schattige Grotten, in denen die
       Sedimente von Sandstein, Kalk und Lehm ein eigenes Universum bilden, eine
       Art Ur-Welt, fern von allem. Überlaufen sind die Naturpfade nicht.
       
       Doch dann ist an einer bestimmten Stelle hinter der Flussbettbiegung
       plötzlich eine Kakofonie aus Gelächter und Gehüstel zu hören. Von hier aus
       nämlich ähnelt der riesige Monolith des Areals mit seinem steinernen
       Hütchen einem erigierten Penis.
       
       ## Hemingway als lebensgroße Bronzestatue
       
       Eine Fahrtstunde von hier liegt Pamplona, wo Ernest Hemingway 1925 zu
       seinem wohl besten Roman inspiriert worden war. Die wohlhabenden,
       desillusionierten amerikanischen Nachkriegsfiguren in „The sun also rises“
       (deutscher Titel: „Fiesta“) plaudern im Arkaden-Café an der Plaza über alle
       möglichen Ausflüge – und natürlich über Sex –, doch von jenem
       Phallusmonolithen in den Bardenas Reales ist nirgendwo die Rede. Dafür umso
       mehr von Stieren, Wein, la Vida und la Muerte, von Männern und Frauen.
       
       Wobei die Frauen – so viel Fairness gegenüber dem alten Macho müsste schon
       sein – in diesen vom frühen Morgen bis in die Nacht andauernden Gesprächen
       keineswegs nur stille Zuhörerinnen sind. Und doch steht „Papa Hem“
       schließlich allein da, in einem Barhinterzimmer des bis heute mit seinen
       Spiegeln, Säulen und Marmortischen bezirzenden Café Iruna.
       
       Erstarrt zur lebensgroßen Bronzestatue mit melancholischem Gesicht, während
       die Theke längst nur noch Fotomotiv ist und die Schwarz-Weiß-Fotos des
       einstigen Großwildjägers und Stierkampf-Aficionados in ihrem bemühten
       Vitalismus fast deprimierend wirken.
       
       Draußen auf der Plaza, vor den bordeauxroten, gelben und weißen Fassaden
       der Häuser mit den maurischen Fensterbögen und Balkonen, muss das Leben gar
       nicht toben, um einen viel lebhafteren Eindruck zu hinterlassen. Cafés, ein
       kleiner Musikpavillon, Spielplätze und Grünflächen und ganz in der Nähe
       jene zahlreichen kleinen Tapas-Gassen innerhalb der mittelalterlichen
       Stadt, die schon deshalb keine Fressmeilen sind, weil hier in Pamplona gute
       Laune keinen Exzess zu benötigen scheint.
       
       Genauso still und unbeweglich wie die Hemingway-Skulptur stehen jene
       Eisenstiere unterhalb der Stadtmauer – hier befinden sich Anfang Juli die
       Stierpferche, ehe die Tiere zum Galoppieren losgelassen werden.
       
       Auf dem engen Serpentinensträßchen aufwärts markiert eine waagerechte weiße
       Linie jene Stelle, von der die wagemutigen (andere sagen: die bekloppten)
       Zweibeiner zu sprinten haben, um von den herantrampelnden Stierhufen samt
       Hörnern nicht getroffen zu werden.
       
       Interessanterweise scheint die unscheinbare Linie eine solche Magie der
       Abwesenheit – vielleicht ja auch der Vergeblichkeit – auszustrahlen, dass
       Touristen gleichermaßen wie Familien mit Kinderwagen hier Halt machen, um
       sich aufs Smartphone zu bannen, beinahe scheu.
       
       ## Plakate gegen Femizide
       
       Der Blick im Stadtzentrum fällt aber nicht nur auf das berühmte
       Muschelsymbol, das seit jeher den Jakobsweg markiert, auch auf die
       Banderole, die am hiesigen Rathaus an die Femizide im Land erinnert:
       bereits elf seit Jahresbeginn. Auch in den Städten und Dörfern außerhalb
       der Stadt, in Puente La Reina oder Olite, hängen die Banderolen und
       gemahnen so vielleicht ja auch die auf dem Jakobsweg Wandernden an
       Entscheidendes im Diesseits.
       
       Ohnehin wäre die Vorstellung absurd, auf dem Wanderweg wären nur Frömmler
       unterwegs. So verdanken wir einer rumänischen Studentin, die sich nach der
       Besichtigung des aus dem 12. Jahrhundert stammenden romanischen
       Landkirchleins Santa Maria de Eunate zu Fuß ins fünf Kilometer entfernte
       Olite aufmacht, einen nicht unwichtigen Hinweis.
       
       Die berühmte mittelalterliche Brücke in Puente la Reina mag für
       Hardcore-Fans der Mittelalterhistorie von großem Interesse sein – hier
       vereinigen sich der narvarresische und aragonesische Zweig des Jakobswegs
       –, vor allem aber wurden hier Szenen des berühmten Spielfilms „Dein Weg“
       gedreht, in dem Martin Sheen eindrucksvoll einen tief trauernden Vater
       spielt – quasi einen ungleich sensibleren „Papa Hem“ und natürlich auch ein
       anderes Kaliber als Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf
       dem Jakobsweg“.
       
       Dass in der Spukburg von Olite eine spanische Serie über die Borgias
       gedreht wurde und Netflix im Städtchen eine „Vampire Academy“ produzierte,
       scheint dagegen zweitrangig. Angesichts der von Kirchtürmen und Windrädern
       flankierten Landschaft, die auch im Hochsommer von sattem,
       sonnengesprenkeltem Grün ist, bekommt selbst der breitbeinige „Bond“-Titel
       etwas seltsam Verzagtes, sodass wohl eher das Gegenteil zu gelten hätte:
       The world is enough.
       
       Die Reise wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsamt
       
       9 Aug 2023
       
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