# taz.de -- Defizit bei Integration: Mehr Islamunterricht gefordert
       
       > Bülent Uçar, Theologe an der Uni Osnabrück, spricht sich für mehr
       > islamischen Religionsunterricht aus. Es würden kaum Lehrkräfte
       > eingestellt.
       
 (IMG) Bild: Setzt auf Aufklärung: Bülent Ucar
       
       OSNABRÜCK taz | Bülent Uçar hat einen Lebenslauf, der für mehrere Leben
       reichen würde. Der 46-Jährige hat Jura studiert, in Islamwissenschaften
       promoviert. Er war Schullehrer und Ministerialmitarbeiter, hat das
       Bundeskanzleramt beraten. Die Liste seiner Lehraufträge, Publikationen,
       Auszeichnungen und Kommissionssitze ist lang.
       
       Heute ist der Professor für [1][Islamische Theologie Direktor am
       gleichnamigen Institut (IIT) der niedersächsischen Uni Osnabrück]. Uçar
       baut Brücken. Für mehr Solidarität. Um die demokratische Grundordnung zu
       stärken. Im Namen der Aufklärung. Und kürzlich hat er ein Problem beim
       Namen genannt – wieder einmal.
       
       Er hat kritisiert, dass es nicht mehr [2][islamischen Religionsunterricht]
       an deutschen Schulen gibt. Bundesweit erhalten ihn nur 69.000 muslimische
       SchülerInnen, obwohl es von ihnen 1,5 Millionen gibt. „Es existiert ja eine
       Wahlfreiheit“, sagt Uçar. „Aber die meisten muslimischen SchülerInnen haben
       nichts davon, weil kaum LehrerInnen eingestellt werden.“
       
       Uçar leitet nicht nur das IIT, das einen wissenschaftlichen Blick auf den
       Islam wirft. Er ist auch Wissenschaftlicher Direktor des Islamkollegs
       Deutschland (IKD), das dem IIT eine praxisorientierte Aus- und
       Weiterbildung für deutschsprachiges, religiöses Personal beigesellt, das,
       vom Imam bis zur SeelsorgerIn, danach die Moscheegemeinden prägt.
       
       ## Rezept gegen Radikalisierung
       
       Seine Motivation beschreibt Uçar der taz so: „Wir leben in Zeiten immer
       größerer Extreme. Da ist es wichtig, Gemeinsamkeiten zu betonen, ohne dabei
       Unterschiede zu nivellieren.“ Es gelte, „Probleme beim Namen zu nennen“.
       Dabei optimistisch zu bleiben, Zuversicht zu verspüren, dass Wandel möglich
       ist, Wandel zum Besseren, sei „nicht immer leicht“.
       
       Sicher, die Zahl der Nichtreligiösen nimmt zu, gesamtgesellschaftlich.
       [3][Der schulische Religionsunterricht wird zunehmend als überflüssig
       gewertet.] Aber Uçar ist überzeugt, dass er wichtig ist.
       
       Nicht nur, weil er im Grundgesetz verankert ist. Nicht nur, weil sich viele
       Kulturschöpfungen, von der Musik bis zur Bildkunst, ohne die Kenntnis
       religiöser Inhalte nicht erschließen – die man auch rein religionskundlich
       vermitteln könnte. Aber: „Wenn solche Inhalte nicht an den Schulen
       vermittelt werden“, sagt Uçar, „holt man sie sich zur Not anderswo. Aus dem
       Internet zum Beispiel. Das trägt dann womöglich zur Radikalisierung bei.“
       
       Islamfeinde verdächtigen Uçar, zu islamfreundlich zu sein. Muslimische
       Hardcore-Gläubige verdächtigen ihn der Aufweichung ihrer Lehre. „Wenn man
       von diesen beiden extremen Polen attackiert wird“, sagt er, „kann man nicht
       ganz falsch liegen.“ Als Wissenschaftler habe man eine Verantwortung. „Auch
       die, zu beraten. Mich in der Studierstube zu verstecken, hinter Büchern,
       war nie meins.“
       
       Uçars Kritik am fehlenden Schulunterricht trifft primär die Politik. Das
       IIT, zu haben für kleines Geld, hat sie gefördert. [4][Auch das IKD.] „Aber
       nach A und B hätte man auch C sagen müssen“, sagt Uçar. „Doch das wäre
       ungleich teurer, zumal die Verbreitung in den schulischen Kontext hinein.
       Also macht das keiner.“ Die Folge: Zukunftssorgen bei Uçars Absolventen.
       Viel zu tun für den Professor mit den vielen Leben.
       
       20 Aug 2023
       
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