# taz.de -- Humboldt-Universität: Übergriffe als Normalfall?
       
       > Nach massiven Beschwerden laufen in Berlin Verfahren gegen zwei Dozenten.
       > Der Vorwurf: Die Strukturen an den Unis begünstigen übergriffiges
       > Verhalten.
       
 (IMG) Bild: Allzu häufig schweigen die Opfer sexualisierter Gewalt an der Uni: „Da hängen Karrieren dran“
       
       BERLIN taz | Blieben Vorwürfe von sexuell übergriffigem Verhalten an der
       Humboldt-Universität über mehr als 20 Jahre ungehört? Das werfen die
       Initiative „Keine Uni für Täter“ und der Referent*innenrat der HU vor.
       Studentinnen hatten einen Dozenten der Alten Geschichte [1][wiederholt
       übergriffigen Verhaltens] beschuldigt. Kaum wurde der Dozent [2][Anfang
       August freigestellt], wurde bekannt, dass an der HU gegen einen weiteren
       Geschichtsdozenten, einen Professor, ein Disziplinarverfahren läuft. Grund
       dafür sind ebenfalls Vorwürfe von sexuell übergriffigem Verhalten.
       
       Öffentlich wurden die Vorwürfe gegen den Professor durch eine ehemalige
       HU-Mitarbeiterin. In einem Beitrag in einem Sammelband, der im Mai
       veröffentlicht wurde, beschreibt sie, wie ein namentlich nicht genannter
       Vorgesetzter sie bei einer Betriebsfeier in sein Büro gebeten und dort
       gegen ihren Willen geküsst und an den Brüsten berührt haben soll.
       
       Aus Angst, ihren Job zu verlieren, habe sie niemandem von dem Vorfall
       erzählt, heißt es in dem Essay. Insbesondere da sie als politisch verfolgte
       Migrantin Angst hatte, abgeschoben zu werden, wenn sie ihren Arbeitsplatz
       verliert.
       
       Aus den Ort- und Zeitangaben in dem Beitrag sei schnell klar geworden, von
       wem die Rede ist, sagt eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der HU, die
       anonym bleiben möchte, der taz. Der Masterstudiengang Global History, in
       dem der Mann in den vergangenen Jahren Gastvorträge hielt, hat alle
       institutionellen Verbindungen zum Professor gekappt. Das geht aus einer
       internen Mail des Studiengangs an die Student*innen hervor, die der taz
       vorliegt.
       
       ## Beschuldigter hüllt sich in Schweigen
       
       Die Professorenstelle an der HU hat der Beschuldigte nicht verloren.
       Aktuelle Informationen zum Stand des Disziplinarverfahrens möchte die
       Universität auf taz-Anfrage nicht mitteilen. Auch der Professor will sich
       nicht öffentlich dazu äußern.
       
       Im Gegensatz zum beschuldigten Professor wurde der Dozent für Alte
       Geschichte, der sich ebenfalls sexuell übergriffig verhalten haben soll,
       bereits freigestellt. Claudia Roesch hat von 2003 bis 2009 an der HU
       Geschichte studiert. Auf einem Sommerfest des Instituts sei der Dozent aus
       dem Nichts auf sie zugekommen. „Ob ich mich denn heute noch für ihn
       ausziehen würde“, habe er sie gefragt, erzählt sie der taz.
       
       Ein Seminar hatte sie nie bei ihm belegt. Und das sei kein Zufall, sondern
       eine bewusste Entscheidung gewesen. Jede ihrer Freundinnen habe eine
       Situation schildern können, in der der Dozent sie belästigt habe, sagt
       Roesch. Eine weitere ehemalige Studentin, Anna Hájková, berichtet der taz
       von einer Sprechstunde, in der sie Ende der 90er Jahre bei dem Dozenten
       war: „Er machte mir Komplimente über meinen Hintern.“
       
       ## Dozent soll auch körperlich übergriffig gewesen sein
       
       Strafrechtlich relevant sind Roeschs und Hájkovás Erfahrungen nicht. Es
       handelt sich dabei weder um körperliche sexuelle Belästigung nach Paragraf
       184 Strafgesetzbuch noch um Beleidigungen nach Paragraf 185. Laut dem
       Kollektiv „Keine Uni für Täter“ soll der Dozent für Alte Geschichte auch
       körperlich übergriffig gewesen sein. Genauere Angaben möchten sie aus
       Gründen des Betroffenenschutzes aber nicht machen. Der Dozent will sich auf
       taz-Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern.
       
       Die Universitätsleitung bittet Betroffene, sich zu melden, damit
       gegebenenfalls rechtliche Maßnahmen ergriffen werden können. Den Vorwurf,
       seit Jahrzehnten von den Anschuldigungen gewusst und viel zu spät gehandelt
       zu haben, weist sie zurück.
       
       Vielmehr sei man Vorwürfen gegen den Dozenten für Alte Geschichte wegen
       „verbaler sexualisierter Übergriffe“ in der Vergangenheit „in jedem
       Einzelfall nachgegangen“. Wie genau und seit wann sie von den Vorwürfen
       weiß, möchte die Universitätsleitung auf taz-Anfrage jedoch nicht
       beantworten.
       
       „Es ist sehr schwer, diese Reaktion jetzt richtig zu nennen, wenn sie über
       20 Jahre zu spät kommt“, sagt Sophia Hohmann vom Netzwerk gegen
       Machtmissbrauch in der Wissenschaft über die Freistellung des Dozenten. „Es
       passiert erst dann etwas, wenn es schlechte Presse gibt“, kritisiert sie.
       
       ## Anlaufstellen relativieren Erfahrungen
       
       In ihrer Arbeit ist Hohmann viel mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt
       in Kontakt. „Die Menschen, die sich an uns wenden, haben sich in der Regel
       schon an alle Anlaufstellen in der Universität gewandt“, berichtet sie.
       „Sie erleben dort häufig, dass ihre Erfahrungen relativiert und nicht ernst
       genommen werden.“
       
       Es ginge ihr nicht darum, einzelne Personen wie die Frauenbeauftragte
       anzugreifen, betont Hohmann. „Das Problem ist, dass die Strukturen
       entmachtet sind.“ Die Frauenbeauftragten seien häufig lediglich in einer
       unterstützenden und beratenden Position. Über konkrete Maßnahmen könnten
       sie aber nicht entscheiden, sagt Hohmann. Weitere Strukturen für Betroffene
       sexualisierter Gewalt gibt es laut Referent*innenrat vonseiten der Uni
       nicht.
       
       Doch wie ist es möglich, dass Vorwürfe übergriffigen Verhaltens an der
       Universität jahrzehntelang kursierten und der Dozent trotzdem weiter
       unterrichten durfte? „Sexualisierte Gewalt an Universitäten ist sehr
       normalisiert. Dadurch wird auch vermittelt, dass sich nichts ändern wird“,
       sagt Hohmann. Dazu kämen personelle Abhängigkeiten und Machtverhältnisse.
       „Da hängen Karrieren dran. Deshalb schweigen Personen oft oder handeln
       nicht.“
       
       25 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Machtmissbrauch-an-Universitaeten/!5946448
 (DIR) [2] /Machtmissbrauch-an-Universitaeten/!5948194
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kajo Roscher
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Humboldt-Universität
 (DIR) Sexualisierte Gewalt
 (DIR) Studierende
 (DIR) Studierende
 (DIR) Sexualisierte Gewalt
 (DIR) Machtmissbrauch
 (DIR) Deutsche Universitäten
 (DIR) Humboldt-Universität
 (DIR) Schwerpunkt #metoo
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Mutmaßlicher Machtmissbrauch in Berlin: Humboldt-Uni suspendiert Professor
       
       Grund für die vorläufige Freistellung sind wohl Vorwürfe sexualisierter
       Gewalt. Der RefRat kritisiert die Hilfe-Strukturen für Betroffene.
       
 (DIR) Sexualisierte Gewalt an der HU Berlin: Das Schweigen der Professoren
       
       Ein Dozent der Humboldt-Universität soll Frauen mit verbaler sexualisierter
       Gewalt gequält haben. Als eine der Ansprechpersonen empfiehlt die Uni einen
       unter Studierenden umstrittenen Professor.
       
 (DIR) Machtmissbrauch: HU kündigt Dozenten
       
       Nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs hat die Humboldt-Universität nun einen
       Mitarbeiter entlassen. Dieser klagt gegen seine Entlassung.
       
 (DIR) Machtmissbrauch an Universitäten: Geschichtsdozent freigestellt
       
       Ein Dozent an der Humboldt-Universität wird von der Universitätsleitung
       freigestellt. Grund sind Vorwürfe der sexualisierten Gewalt.
       
 (DIR) Machtmissbrauch an Universitäten: Vorwürfe gegen Dozenten
       
       An der Humboldt-Universität dürfen Student*innen nur noch in Begleitung
       in die Sprechstunde eines Dozenten. Grund ist der Vorwurf sexualisierter
       Gewalt.
       
 (DIR) Übergriffe von Professor in Erfurt: Gericht besiegelt Rausschmiss
       
       Im Jahr 2015 drängte ein Professor in Erfurt Studentinnen zum Sex. Seitdem
       versuchte der Freistaat Thüringen ihn loszuwerden. Das war gar nicht so
       einfach.