# taz.de -- CO2-Uhr springt auf drei Jahre: Der 1,5-Grad-Countdown
       
       > Die Klima-Uhr der taz zeigt: Nur noch drei Jahre, dann ist das weltweite
       > CO2-Budget für 1,5 Grad abgelaufen. Rasches Handeln wird immer
       > dringlicher.
       
 (IMG) Bild: AktivistInnen von Extinction Rebellion beim Protest in London
       
       BERLIN taz | „Wir nennen uns [1][Letzte Generation], weil wir die letzte
       Generation sind, die den totalen Klimakollaps noch aufhalten kann“, sagt
       Lea Bonasera, als sie an einem kalten Wintermorgen zusammen mit zwei
       AktivistInnen loszieht. Der ARD-Film „[2][Ernstfall – Regieren am Limit]“
       begleitet die KlimaschützerInnen, wie sie sich auf einer Straßenkreuzung am
       Boden festkleben. Er dokumentiert auch ihre Begründung dafür, schnell
       drastische Maßnahmen zu fordern: „Zwei bis drei Jahre, in dieser Zeit
       entscheiden wir über das Schicksal der Menschheit.“
       
       Zwei bis drei Jahre bis zur Entscheidung – es klingt, als habe die
       Gründerin der Letzten Generation vorher noch mal schnell auf die
       „[3][CO2-Uhr]“ der taz geschaut. Die nämlich zeigt seit Oktober 2021 auf
       der Homepage einen Countdown, wann das globale CO2-Budget aufgebraucht sein
       soll, das der Welt eine Chance gibt, die [4][Erderhitzung bei 1,5 Grad
       Celsius zu stoppen]. Und am Sonntag, 1. Oktober, um 17.30 Uhr stellt sich
       diese Uhr auf „3 Jahre“.
       
       In der Logik des CO2-Budgets heißt das: Am 1. Oktober 2026 hat die Welt so
       viel Kohlenstoff in die Atmosphäre geblasen, dass eine Erwärmung von 1,5
       Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau nicht mehr zu vermeiden ist.
       Ist dann das „Schicksal der Menschheit“ entschieden? Die Klimakatastrophe
       nicht mehr aufzuhalten? Game over?
       
       Klar ist: Die 1,5-Grad-Grenze ist ein politisches Ziel, das von den besten
       Ergebnissen der Wissenschaft untermauert wird (siehe Kasten). Aber sie ist
       keine so feste Größe, dass kurz danach mit Sicherheit Dinge passieren, die
       kurz vorher nicht passieren würden. Das Budget ist keine absolute
       naturwissenschaftliche Grenze. Es ist, so betonen es die CO2-Uhrmacher, ein
       Instrument, um die Dringlichkeit des abstrakten Problems möglichst konkret
       zu kommunizieren.
       
       Dabei gibt es Unschärfen. Sie beginnen zum Beispiel damit, dass die taz-Uhr
       schneller tickt als ihr Vorbild: Entwickelt wurde die Uhr am renommierten
       Thinktank „Mercator Research Institute on Global Commons and Climate
       Change“ (MCC) in Berlin. Die WissenschaftlerInnen dort setzen seit Jahren
       die [5][Schätzungen des UN-Weltklimarats IPCC] zum noch verbleibenden
       „CO2-Budget“ in einen Kohlenstoff-Countdown um. Der berechnet nicht nur das
       Budget für 1,5 Grad – sondern auch das für 2 Grad, bis 2015 die offizielle
       Zielmarke im UN-Klimaschutz. Bis dahin sind es noch 23 Jahre und 7 Monate.
       
       ## Es kommt nicht auf Tage und Monate an
       
       Die MCC-CO2-Uhr steht nicht nur auf der Homepage – sondern prangte auch
       lange nachts angeleuchtet am alten Gasspeicher in Berlin-Schöneberg, am
       Standort des MCC. Und sie läuft etwa zwei Jahre und neun Monate langsamer
       als sein Nachbau in der taz. Denn die taz hat 2023 nach einer neuen
       Berechnung des Budgets die Uhr nachgestellt.
       
       Das MCC bleibt bei seiner Datengrundlage, dem IPCC-Bericht – und hat das
       Budget nach einer Korrektur dort sogar leicht vergrößert. Aber letztlich
       seien Tage und Monate nicht entscheidend, heißt es vom MCC. Schon als die
       Uhr eingerichtet wurde, [6][hatte die MCC-Vizechefin Brigitte Knopf
       gesagt]: Es sei „eine Marginalie, ob die Uhr jetzt 5, 9 oder 15 Jahre
       zeigt“. Es gehe darum, die Richtung zu zeigen, die Dringlichkeit zu
       demonstrieren und die Idee eines Budgets zu verankern, das schnell
       schrumpft.
       
       Das Instrument soll klarmachen, dass die Klimakrise anders ist als andere
       Probleme – die Emissionen häufen sich an wie bei einer Badewanne, die
       vollläuft. Und wenn ein Budget erreicht ist, folgt daraus (allerdings mit
       einer gewissen Verzögerung und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, hier
       sind es 67 Prozent) eine bestimmte Erwärmung der Erdatmosphäre.
       
       Dieser „Budgetansatz“ ist in der Klimaschutz- und Wissenschafts-Community
       so beliebt, weil er die Erzählung kontert, die im politischen Betrieb
       populär ist: Wenn Deutschland erst 2045 klimaneutral sein will, haben wir
       ja noch 22 Jahre Zeit, also über fünf Legislaturperioden. CDU-Chef
       Friedrich Merz hat behauptet, für die entscheidenden Weichen dafür habe man
       „noch 20 Jahre Zeit“, die Politik von SPD und FDP in der Ampelkoalition
       legt ein solches Denken zumindest nahe.
       
       ## Konzept mit Grenzen
       
       So kann man die CO2-Uhr in der aufgeheizten Debatte auch lesen, wie sie
       ihre Erfinder nie sehen wollten. Einerseits als Entwarnung: Bis zur
       2-Grad-Grenze sind noch 23 Jahre Zeit. Oder als Entmutigung, weil das
       1,5-Grad-Budget übermorgen abläuft – ist dann nicht eh alles zu spät? Die
       Idee der MCC-Uhrmacher war eine ganz andere: zeigen, wie dringend gehandelt
       werden muss – aber gleichzeitig betonen, dass nach dem Ablauf des Budgets
       „nicht plötzlich die Welt untergeht“, wie Brigitte Knopf sagt.
       
       Das Konzept hat seine Grenzen, geben die Macher zu. Das MCC nutzt nur
       IPCC-Daten, aber auch dort ist klar: Das Budget kalkuliert die Emissionen
       der Zukunft – ein Einbruch der Weltwirtschaft wie bei Corona, eine globale
       Rezession oder technische Durchbrüche können den Trend verändern.
       
       Dazu kommt: Das Budget fußt auf Szenarien, die die Zielerreichung mit 67
       Prozent Wahrscheinlichkeit sehen – andere IPCC-Rechnungen mit 83 oder 50
       Prozent kommen dann eben zu kleineren oder größeren Summen. Die
       Wahrscheinlichkeit für drastische Folgen der Erderhitzung und das Auslösen
       von „Kipppunkten“ nehmen laut IPCC-Sonderbericht ab 1,5 Grad deutlich zu,
       sind aber auch vorher virulent – was die Extremereignisse in diesem Jahr
       zeigen, wo „nur“ 1,15 Grad Erwärmung auf dem Thermometer steht. Außerdem:
       Die Unsicherheiten in den IPCC-Kalkulationen zum Budget, warnen selbst
       IPCC-AutorInnen, sind fast so groß wie das Budget selbst.
       
       Und: Der Budgetansatz ist beliebt, aber nicht offiziell sanktioniert. In
       der UNO, der EU und auch in Deutschland gibt es keine offiziellen
       CO2-Budgets für Länder – nur etwa beim Emissionshandel und beim deutschen
       Klimaschutzgesetz (dort allerdings nur bis 2030 als Obergrenze für
       „Sektorziele“, also der Budgets für einzelne Bereiche wie den Verkehr,
       deren Abgrenzung aber gerade verwässert wird.)
       
       ## Kein weltweites Budget denkbar
       
       Auf ein weltweites CO2-Budget könnten sich die Staaten niemals einigen. Die
       Klimaziele werden traditionell in absoluten Tonnen und prozentualen
       Rückgängen verhandelt, das ist schwer genug. Auch dabei sind die Daten oft
       unsicher und heiß umkämpft. Aber ein Budget hieße, verschiedenen Staaten
       ihren Anteil zuzurechnen – und da ginge der Streit richtig los.
       
       Wer entscheidet nach welchen Kriterien darüber, welches Land (oder welche
       Branche? Oder welche Stadt?) wie viel CO2 emittieren darf? Gilt das für
       heute, und China muss sich zuerst einschränken? Gilt das für die
       historischen Emissionen und der Globale Norden muss schnell reduzieren?
       Geht es nach Pro-Kopf-Ausstoß, und die Ölstaaten am Golf müssen besonders
       viel tun? Geht es nach Reichtum und Westeuropa, wohlhabende Ölstaaten,
       Korea und Singapur müssen vor allen anderen sparen und zahlen?
       
       Die Uhren bei taz und MCC erstellen ein globales Budget. Einen Vorstoß des
       deutschen Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) von 2020 für ein
       deutsches CO2-Budget hat die Politik nie aufgenommen – mit Verweis darauf,
       das Pariser Abkommen sehe das nicht vor und Deutschlands Klimapolitik sei
       in der EU verwurzelt. Laut SRU läuft das „faire“ deutsche Budget für 1,5
       Grad im Jahr 2031 ab.
       
       Aber das kann man auch anders sehen: Das „New Climate Institute“ etwa hat
       für Campact errechnet, dass Deutschlands Budget schon 2030 erschöpft ist –
       und bei Berechnung seine historischen Emissionen bereits überschritten,
       sodass nur umfangreiche Klimafinanzierung für arme Staaten und die
       Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre Deutschland auf einen Klimapfad zu
       1,5 Grad bringen können.
       
       ## Was kommt danach?
       
       Aber was passiert in 3 Jahren, in 5, 9, 15 Jahren, wenn das Budget
       überschritten ist und die 1,5 Grad erreicht sind? Mit dieser Frage hat sich
       eine UN-Kommission aus ehemaligen Staatschefs und Wissenschaftlern
       beschäftigt.
       
       Die „Climate Overshoot-Commission“ empfiehlt, was zu tun ist, wenn das
       Budget erschöpft ist – ein „großes und wachsendes Risiko“, wie sie
       schreibt. Für diesen Fall empfiehlt sie: Emissionen stark reduzieren;
       Anpassung an die Klimakrise vorantreiben; mit natürlichen und technischen
       Mitteln möglichst viel CO2 aus der Atmosphäre binden; das Verdunkeln der
       Sonne (Geoengineering) erforschen, aber für große Experimente dazu ein
       Moratorium verhängen.
       
       Der Kommission ist klar: Die Emissionen müssen schnell sinken, damit die
       Welt aufhört „das Problem schlimmer zu machen“. Dabei zählt jedes
       Zehntelgrad. Für die CO2-Uhren heißt das: Jeder Tag weniger, an dem das
       Budget überzogen wird, ist wichtig – wie immer das im Detail aussehen mag.
       
       1 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Letzte-Generation/!t5833405
 (DIR) [2] https://www.swr.de/unternehmen/kommunikation/pressemeldungen/ernstfall-regieren-am-limit-2023-presse-100.html
 (DIR) [3] /Neue-CO2-Uhr-auf-tazde/!vn5810221
 (DIR) [4] /15-Grad-Ziel-theoretisch-noch-erreichbar/!5962810
 (DIR) [5] /Warnung-des-Weltklimarats-IPCC/!5792170
 (DIR) [6] https://www.woz.ch/1850/co2-uhr/wir-muessen-schneller-handeln-als-bisher-der-countdown-laeuft
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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