# taz.de -- Warnung des Weltklimarats IPCC: 1,5 Grad schwer haltbar > Die Klimaziele des Paris-Abkommens einzuhalten, ist laut dem Klimarat > IPCC schwierig. Der Klimawandel zeigt sich mittlerweile überall auf der > Welt. (IMG) Bild: Hitze, Dürre, Brände in Griechenland: Solche Katastrophen dürften häufiger werden BERLIN taz | Hitzewellen, Starkregen, Dürren, Fluten, Brände: Die Wetterlage illustriert seit Wochen, was Klimawissenschaftler:innen nun im ersten Aufschlag zum 6. Sachstandsbericht des [1][Weltklimarats IPCC] schreiben. Veränderungen im Klima sind demnach jetzt schon in allen Regionen der Erde zu beobachten. Teilweise seien schon Prozesse angestoßen, die über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende nicht mehr rückgängig zu machen sind. Ohne eine massive Reduktion der Treibhausgase liegt es laut dem Bericht außer Reichweite, die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu begrenzen – oder auch nur bei 2 Grad. Dabei haben fast 200 Regierungen der Welt mit dem Paris-Abkommen 2015 genau das versprochen: den Erhitzungsstopp bei deutlich unter 2 Grad und möglichst sogar bei 1,5 Grad. Mit jedem zusätzlichen Zehntelgrad drohen krassere Folgen durch die Erderhitzung, die auch Ernährung und physische Sicherheit der Weltbevölkerung gefährden. Im einzigen von fünf beispielhaften Szenarien des IPCC zur Entwicklung der globalen Emissionen, in dem die 1,5-Grad-Schwelle bis zum Ende des Jahrhunderts nicht geknackt wird, gibt es einen straffen Zeitplan für den Klimaschutz: Noch innerhalb dieses Jahrzehnts halbieren sich danach die Emissionen, im Jahr 2050 folgt die Klimaneutralität. Ob das gelingt, ist höchst fraglich: Selbst dann müssten der Atmosphäre noch Unmengen an alten Emissionen wieder entzogen werden. Technologien, die die Wälder, Moore und Böden bei dieser Aufgabe unterstützen können, sind nämlich noch nicht im großen Stil einsatzbereit und gelten als riskant. Wie realistisch das Szenario ist, dazu macht der Bericht keine Aussage. Der Veröffentlichung von diesem Montag werden zwei weitere folgen, um den Sachstandsbericht zu vervollständigen. Solche politischen Fragen sind dann im dritten Teil Thema. ## Klimaschutzmaßnahmen wirken erst in 20 Jahren Warnsignal im heutigen Bericht sind auch die erstmals enthaltenen Angaben dazu, wie schnell sich wirksamer Klimaschutz bemerkbar machen würde. Das Klima reagiert verzögert. Nebeneffekte wie eine verbesserte Luftqualität durch weniger Kohleschlote und Auspuffe gäbe es recht schnell. Die globale Durchschnittstemperatur würde sich aber erst nach rund 20 Jahren stabilisieren. Regierungen müssen laut IPCC also jetzt Entscheidungen treffen, deren positive Wirkung in vielen Fällen erst mehrere Legislaturperioden später sichtbar wird. „Wir übernehmen die Verantwortung für viele, viele Generationen“, sagt die Klimaforscherin Veronika Eyring vom Institut für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, die koordinierende Leitautorin in einem Kapitel des Berichts war. Der Weltklimarat sammelt regelmäßig den aktuellen Kenntnisstand der Klimaforschung. Hunderte Wissenschaftler:innen sichten dafür alle relevanten Studien und stellen fest, was sichere Erkenntnisse sind und wo noch Forschungsbedarf besteht. Der letzte [2][Sachstandsbericht] erschien vor 8 Jahren. Seitdem ist die Erde im Schnitt um 0,3 Grad Celsius heißer geworden. Die Menschheit hat die Atmosphäre außerdem jährlich mit weiteren 50 Milliarden Tonnen CO2 belastet. Insgesamt hat sie den Planeten damit laut Bericht schon um 1,1 Grad aufgeheizt. Schon deshalb zeigt sich in dem neuen Bericht eine verschärfte Lage. ## Klimasensitivität weiter eingegrenzt Hinzu kommen aber auch Fortschritte in der Klimaforschung. Ein Durchbruch der vergangenen Jahre ist zum Beispiel, dass die sogenannte Klimasensitivität weiter eingegrenzt wurde. Es geht dabei darum, genau zu ermitteln, wie empfindlich das Klima auf eine bestimmte Menge Kohlendioxid reagiert. Dafür ziehen die Forscher:innen ein Gedankenexperiment heran: Wie heiß wird es auf der Erde bei einer Verdopplung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre gegenüber dem vorindustriellem Niveau sein? Als wahrscheinliche Temperaturspanne gelten nun 2,5 bis 4 Grad. 2013 war noch von 1,5 bis 4,5 Grad die Rede gewesen. Die extremen Werte können also mittlerweile ausgeschlossen werden – leider in beide Richtungen. „Neu ist, dass wir jetzt viel mehr auf den menschlichen Einfluss zurückführen können“, sagt Eyring zudem. Ihr Kapitel hat sich genau damit befasst, wo im Klima der menschliche Fingerabdruck nachweislich ist. Es ist grundsätzlich immer zu beachten: Das Klima hat auch eine natürliche Variabilität. Das einwandfrei von dem Einfluss der Treibhausgase zu trennen, die die fossile Wirtschaft und damit der Mensch in die Atmosphäre schießt, beschäftigt die Wissenschaft – auch wenn es natürlich schon lange klar ist, dass es ihn gibt. Das gelingt der Wissenschaft immer besser, nicht nur bei Trends, sondern auch bei einzelnen Vorkommen von extremem Wetter. „Wir haben zum ersten Mal Evidenz, dass Extremereignisse sich überall auf der Welt verändert haben und dass der Klimawandel in vielen Fällen eine Ursache dieser Veränderungen ist – und bei Hitzewellen die dominante Ursache“, sagte die Physikerin Friederike Otto von der Universität Oxford, im aktuellen Bericht Leitautorin des Kapitels über Extremwetter. ## Erwärmung liegt schon bei 1,1 Grad „Wir haben den Realitätscheck geliefert“, meint Eyring. „Wir sehen, die globale Erwärmung liegt schon bei 1,1 Grad, wir sind nicht mehr weit von 1,5 Grad entfernt – der Bericht belegt eindeutig die Dringlichkeit des Handelns.“ Eigentlich kann keine Regierung behaupten, den Inhalt des Berichts nicht zu kennen. Bei den IPCC-Berichten gibt es nämlich immer eine Zusammenfassung für Entscheidungsträger:innen. Deren Wortlaut handeln die Wissenschaftler:innen Zeile für Zeile mit Vertreter:innen der fast 200 Staaten des Pariser Klimaabkommens aus. Das hat dem IPCC auch schon den Vorwurf eingebracht, zu politisch zu sein. Die eigentlichen Ergebnisse und auch die Formulierungen in der Langfassung des Berichts werden aber nicht mehr angerührt. Die Hoffnung: dass die Zusammenfassung auf diese Art eine Sprache bekommt, die die Politik auch versteht. In der Klimawissenschaft gibt es aber auch Stimmen, die Zweifel daran äußern, dass die Regierungen für die präzisierten Erkenntnisse empfänglich sind. Die Kernanforderung an die Politik, dass also die Emissionen drastisch sinken müssen, ist schließlich lange bekannt. Man hätte längst handeln können. „Im Wesentlichen bestätigt der Bericht die Aussagen der vorangehenden Berichte“, sagt der Ozeanograph Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Das zeigt, dass die Wissenschaft schon vor 30 Jahren die wesentlichen Entwicklungen korrekt vorhergesagt hat.“ ## Zwei-Grad-Ziel nicht in Sicht Er fasst die neuen Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „Die Menschheit ist dabei, den klimatischen Wohlfühlbereich zu verlassen, den sie über die letzten Jahrtausende genießen durfte.“ Selbst für das Zwei-Grad-Ziel seien die nötigen politischen Entscheidungen nicht in Sicht. Der Atmosphärenforscher Andrew Dessler, Professor an der US-amerikanischen Texas A&M University, [3][veröffentlichte] auf Twitter eine eigene, satirische Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger:innen: „Hallo Arschlöcher. Wir haben euch Jahrzehnte erzählt, dass das passieren würde, wenn nicht die Treibhausgasemissionen sinken. Ihr habt nicht zugehört und jetzt passiert es alles. Hoffentlich seid ihr glücklich. Genießt Hitzewellen, Starkregen, Meeresspiegelanstieg, Ozeanversauerung und noch viel mehr, ihr verdammten Idioten.“ 9 Aug 2021 ## LINKS (DIR) [1] https://www.ipcc.ch/ (DIR) [2] /Massnahmen-gegen-die-Klimakrise/!5762016 (DIR) [3] https://twitter.com/AndrewDessler/status/1423799270470262784 ## AUTOREN (DIR) Susanne Schwarz ## TAGS (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) IPCC (DIR) Klimaforschung (DIR) GNS (DIR) klimataz (DIR) IG (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) klimataz (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Klimakonferenz in Dubai (DIR) Klimakonferenz in Dubai (DIR) Hitzewelle (DIR) CO2-Emissionen (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schulstreik (DIR) CO2-Ausstoß (DIR) Pariser Abkommen (DIR) IG (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Podcast „klima update°“ (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Probleme mit Rhein und Spree: Hitze trocknet Flüsse aus Beim Rhein gibt es teils negative Pegelstände, im Spreewald werden kleine Gewässer für die Hauptspree geopfert. Das hat auch mit der Klimakrise zu tun. (DIR) Klimaschutz im IPCC-Bericht: Wie die Welt CO2 einsparen könnte Eine Grafik im IPCC-Bericht zeigt, wie die Welt bis 2030 große Mengen CO2 einsparen könnte. Oft ist der Wechsel sogar billiger, als fossil weiterzumachen. (DIR) Stand der Klimaforschung: Die Welt am Scheideweg Die Energiewende geht global viel zu langsam voran, zeigt ein neuer Bericht des Weltklimarats. Es gibt aber auch Fortschritte. (DIR) Neuer Klimabericht: Anpassen oder aussterben Der Weltklimarat IPCC veröffentlicht seinen Bericht zu Folgen der Erderhitzung. Er sieht große Schäden, aber auch Chancen zur Anpassung. (DIR) Stürme und Klimawandel: Zusammenhang nicht klar bewiesen Die menschengemachte Erderhitzung muss nicht automatisch zu den Winterstürmen geführt haben, sagt die Klimaexpertin Friederike Otto. (DIR) Klimakonferenz in Glasgow: Asien ist doppeltes Sorgenkind Schwer betroffen und schwer am Emittieren: Ein Bericht des Weltklimarats zeigt, wie stark Asien unter der Erderhitzung leidet. (DIR) Versprechen beim Weltklimagipfel: Plus-2-Grad-Ziel ist greifbar nahe Mit den neuesten Klimaversprechen könnte die Welt bald auf dem Weg sein, die Erderhitzung unter 2 Grad zu halten. Für 1,5 Grad fehlt noch einiges. (DIR) Unicef schlägt Alarm: Klimawandel bedroht Kinderrechte Laut Unicef leiden eine Milliarde Mädchen und Jungen weltweit unter der Erderhitzung. Das UN-Kinderhilfswerk fordert mehr Mitbestimmung der Kleinen. (DIR) Stark steigende Emissionszahlen: Klima-Erfolg nur wegen Corona 2020 hat Deutschland sein Klimaziel erreicht. 2021 werden die CO2-Emissionen so stark steigen wie noch nie seit der Erfassung. (DIR) Wissenschaft im Weltklimabericht: Der Mensch war's Im neuen IPCC-Bericht belegen die Autor:innen nochmal, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Gearbeitet wurde mit den neuesten Klimamodellen. (DIR) Demonstration von Fridays for Future: Spätsommer der Klimaproteste Nach dem IPCC-Bericht kündigen mehrere Gruppen Proteste an. Den Anfang macht Fridays for Future am Freitag in Frankfurt am Main. (DIR) Klimaforscher über CO2-Budget: „Die Emissionen müssen sinken“ Wie viel CO2-Ausstoß kann die Welt noch vertragen? Joeri Rogelj berechnet „Budgets“ an Emissionen und weiß: Wir müssen dringend bremsen. (DIR) Konsequenzen aus dem Weltklimabericht: Am Limit Der neue Klimabericht macht klar: Die nächste Regierung muss überfällige Entscheidungen treffen, statt sich mit vagen Zielen zu schmücken. (DIR) IPCC-Klimabericht: 1,5 Grad sind möglich Der neue Klimabericht ist ein Report über politisches Versagen in historischem Ausmaß. Die Frage ist, was wir als Gesellschaft jetzt daraus machen. (DIR) Bericht des Klimarats alarmiert: „Die Welt steht auf der Kippe“ Die Regierungen müssten sofort handeln – das fordern Politiker*nnen und Aktivist*innen weltweit als Reaktion auf den Bericht des Klimarats IPCC. (DIR) taz-Podcast „klima update°“: Die Klima-News der Woche Deutschland streitet über ein Klimaministerium mit Vetorecht. In Südeuropa gibt es verheerende Brände. Und viele Regierungen sind im Klimaziel-Verzug. (DIR) Rekordtemperaturen in Grönland: Massive Eisschmelze Der grönländische Eisschild schmilzt immer schneller. Über mehrere Tage sogar so rasant, um Deutschland mit 11 cm Wasser zu bedecken. (DIR) Studie zum tauenden Permafrost: Hinweise auf Methan-Lecks In Sibirien gab es 2020 eine enorme Hitzewelle. Dabei könnten große Mengen Treibhausgas aus dem Permafrostboden entwichen sein.