# taz.de -- Profiradsport im Umbruch: Flamboyante Fusion
       
       > Das Transferkarussell dreht sich auch im Radsport wie wild: Während zwei
       > Topteams fusionieren wollen, geht Primož Roglič zu einer deutschen
       > Equipe.
       
 (IMG) Bild: Aus Kollegen werden Konkurrenten: Sepp Kuss (M.) mit Jonas Vingegaard und Primoz Roglic (r.)
       
       Was die Balltreter können, können die Pedalbeweger erst recht. Nach dem
       schrillen Transfersommer im Fußball mit dem Wechsel von [1][Harry Kane zum
       FC Bayern München] und Altstars nach Saudi-Arabien legt jetzt der Radsport
       nach. Eine Megafusion aus dem [2][mit insgesamt 65 Saisonsiegen
       erfolgreichsten Team] Jumbo-Visma mit dem nach Siegen zweiterfolgreichsten
       Team Soudal Quick Step (55 Erfolge) erschüttert die Szene. Hintergrund ist,
       dass Jumbo-Visma das Geld fürs weitere Wachstum ausgeht. Hauptsponsor Jumbo
       will 2024 aussteigen.
       
       Vollwertigen Ersatz hat Rennstallchef Richard Plugge bisher offenbar noch
       nicht gefunden. Avancen von Sponsoren aus Saudi-Arabien zerschlugen sich.
       Womöglich auch deshalb, weil der Wertekanon vom zweiten Sponsor Visma –
       Diversität, Nachhaltigkeit und Verantwortung für die Gesellschaft – nicht
       kompatibel sind mit dem Sportwashing-Geschäft im Lande des Mohammed bin
       Salman ist.
       
       Der saudische Kronprinz gilt als [3][Auftraggeber am Mord des Regimegegners
       Jamal Kashoggi]. In diesem Jahr wurde laut Informationen von Amnesty
       International bereits an 100 Personen das Todesurteil vollstreckt. Nicht
       jeder Geldgeber will damit in Verbindung gebracht werden.
       
       Auf der Seite des designierten Fusionspartners will hingegen der Boss
       Patrick Lefevere gern in den Ruhestand treten. Und auch der Finanzier, der
       tschechische Bergbauunternehmer Zdenek Bakala, dem 80 Prozent des
       Rennstalls gehören, wird etwas müde. Lefevere bestätigte die
       Fusionsverhandlungen: „Bereits seit dem Sommer treffen wir uns“, gab er zu.
       
       Der Megadeal sorgte für einen Aufschrei. Zum Einen wären die Sieger der
       letzten fünf Grand Tours – [4][Jonas Vingegaard (Tour de France 2022 und
       2023)], Remco Evenepoel (Vuelta 2022), Primož Roglič (Giro 2023) und Sepp
       Kuss (Vuelta 2023) – in einem alles beherrschenden Team vereint. Zum
       anderen würden bei einer Kaderbegrenzung von 30 Profis zwanzig Rennfahrer –
       und Dutzende Betreuer – arbeitslos.
       
       ## Neuer Anlauf aus dem Unterschlupf heraus
       
       Für sie will Lefevere nun als letzten Dienst vor dem Gang aufs Altenteil
       noch einen Auffangrennstall installieren. „Lieber ein abgespeckter
       Rennstall als gar keiner“, atmete Quick-Step-Urgestein Dries Devenyns auf.
       
       Außerdem gibt es Fluchtbewegungen. Vuelta- und Giro-Sieger Primož Roglič
       suchte angesichts der schwindenden Chancen auf eine Kapitänsrolle bei der
       Tour de France im neuen Fusionsrennstall das Weite. Unterschlupf fand er
       bei Bora hansgrohe. „Als es spruchreif wurde, dass er weg will, haben wir
       unsere Fühler ausgestreckt. Wir können jetzt stolz sein, dass Primož sich
       für uns entschieden hat“, sagt Rennstallchef Ralph Denk der taz.
       
       Mit Roglič eröffnet sich für ihn plötzlich die Chance, tatsächlich die Tour
       de France zu gewinnen. „Wir waren mit den Ergebnisse der großen Rundfahrten
       dieses Jahr nicht ganz zufrieden. Wir waren Top Ten, aber auch nicht mehr.
       Das ist nicht unser Anspruch, vor allem nicht nach dem Giro-Sieg 2022. Wir
       brauchen keinen Hehl daraus machen: Für Bora ist das große Ziel die Tour de
       France“, bekräftigte Denk.
       
       Die Tour bringt nicht nur sportlichen Ruhm. Sie bedeutet auch bares Geld
       für die Sponsoren. „Zwei Drittel der gesamten Werbewerte im Radsport werden
       bei der Tour de France gemacht“, rechnete die Sponsoringbeauftragte bei
       Geldgeber Bora dieser Zeitung vor. Dabei handelt es sich schon jetzt
       durchschnittlich um das Mehrfache der Gelder, die ein Hauptsponsor
       einsetzt. Der Return of Investment, also der Rückfluss der zur Verfügung
       gestellten Gelder in Form von Werbereichweite, lag bei Bora in den letzten
       Jahren stabil zwischen dem Sechs- bis Zehnfachen.
       
       Umso verblüffender ist, dass das Dominanzteam der letzten beiden Jahre,
       eben Jumbo- Visma, keinen neuen Sponsor fand. Der Einstieg vom
       Logistikgiganten Amazon füllt bei den Niederländern offenbar nicht ganz die
       Jumbo-Lücke. Die Fusion wird also weiter vorangetrieben.
       
       Mit Roglic kann Bora hansgrohe nun auf den ganz großen Coup und noch mehr
       globale Sichtbarkeit hoffen. Die Anspannung steigt in Bayern aber auch.
       „Wir wissen ja, wie Primož performt hat bei Jumbo. Und wir wissen auch,
       wenn er das bei uns nicht tut, sind wir die Buhmänner. Deshalb müssen wir
       uns zusammenreißen, dass er auch bei uns schnell fährt“, formulierte Denk
       die neuen Aufgaben.
       
       Der Radsport wird in diesem Herbst neu geordnet. Der Transfer von Roglič
       sorgt für mehr Konkurrenz. Die Grenzen des Wachstums erfährt im Gegenzug
       Branchenführer Jumbo-Visma.
       
       6 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fehlstart-von-Harry-Kane-bei-Bayern/!5949833
 (DIR) [2] https://www.procyclingstats.com/rankings/me/teams
 (DIR) [3] /Ermordung-von-Jamal-Khashoggi/!5571583
 (DIR) [4] https://www.procyclingstats.com/rankings/me/individual
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Radsport
 (DIR) Tour de France
 (DIR) Fusion
 (DIR) GNS
 (DIR) Radsport
 (DIR) Radsport
 (DIR) Vuelta
 (DIR) Tour de France
 (DIR) Tour de France
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Radsport-Klassiker: Der Uneigennützige
       
       Weltmeister und Titelverteidiger Mathieu van der Poel verhilft seinem
       Teamkollegen Jasper Philipsen zum Sieg bei Mailand–San Remo.
       
 (DIR) Reformideen im Radsport: Berg mit Fanzone
       
       Die Radsportteams wollen mit Hilfe aus Saudi-Arabien mehr Geld generieren.
       Aus dem Freiluftsport mit Zugang für alle soll ein Bezahlmodell werden.
       
 (DIR) Spitzenfahrer bei der Spanienrundfahrt: Western-Szenen im Radsport
       
       Remco Evenepoel ist Titelverteidiger bei der Vuelta. Doch die Konkurrenz
       ist krass – vor allem im Rennstall von Tour-de-France-Sieger Vingegaard.
       
 (DIR) Finale der Tour de France: Scharfe Sägezähne
       
       Ein großes Duell geht zu Ende. Mit einer Strategie der Zermürbung hat es
       das Team von Sieger Jonas Vingegaard geschafft, Tadej Pogacar zu brechen.
       
 (DIR) Ausnahmefahrer der Tour de France: Wettstreit zweier Überflieger
       
       Warum sind Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar so unerreichbar gut? Die
       Genetik spielt gewiss eine Rolle, aber es gibt auch andere Gründe.