# taz.de -- Neukölln-Untersuchungsausschuss: Neonazis plastisch beschrieben
       
       > Obwohl gegen ihn ein Ermittlungsverfahren läuft, stellt sich ein Polizist
       > im Neukölln-Untersuchungsausschuss den Fragen. Und überrascht mit manchen
       > Antworten.
       
 (IMG) Bild: Untersuchungsausschuss zum „Neukölln-Komplex“ bei der Sitzung am 29. September
       
       Berlin taz | Die Vernehmung des Polizisten Norbert M. am Freitag im
       Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zum Neukölln-Komplex war mit
       großer Spannung erwartet worden. Wie oft wird sich der Zeuge auf ein
       Aussageverweigerungsrecht berufen?
       
       Tags zuvor war bekannt geworden, dass gegen M. [1][ein Ermittlungsverfahren
       eröffnet worden ist]. Er steht im Verdacht, Dienstgeheimnisse, die die
       Ermittlungen im rechten Neuköllner Milieu betreffen, weitergegeben zu
       haben. Die Informationen seien möglicherweise auch an die rechtsextreme
       Szene gelangt, meint die Generalstaatsanwaltschaft. Sieben Orte waren am
       Mittwoch durchsucht worden, darunter auch M.s Wohnung.
       
       Mehr als vier Stunden dauerte die Befragung des 56-jährigen Beamten M. im
       Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. M. machte dabei nicht den
       Eindruck, ein Sympathisant von Rechtsextremisten zu sein. Im Gegenteil.
       Seit 1983 bei der Schutzpolizei, gehörte M. seit 2007 zu einer kleinen
       Dienstgruppe, die der rechten Szene in Neukölln das Leben schwer machen
       sollte. „Aus Überzeugung“ habe er sich in dieser Sache engagiert, so M. am
       Freitag.
       
       M. beantwortete nahezu alle Fragen, auch solche, die das gegen ihn
       anhängige Ermittlungsverfahren berühren könnten. Ob er ausschließen könne,
       dass Daten an dritte Personen weitergegeben worden seien, wurde er gefragt.
       „Ich habe es nicht gemacht und das auch nicht festgestellt“, war die
       Antwort.
       
       Von 2007 bis 2016 gehörte M. der Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus (EG
       Rex) an, von 2017 bis 2021 deren Nachfolgeorganisation, der Operativen
       Gruppe Rechtsextremismus (OG Rex).
       
       ## Angehörige der Szene identifizieren
       
       Aufgabe der EG Rex sei es gewesen, die Neuköllner rechtsextreme Szene aus
       der Anonymität zu holen, zu identifizieren, Polizeipräsenz an deren
       Treffpunkten zu zeigen sowie Ansprechpartner für die von der Anschlagsserie
       Betroffenen zu sein, sagte M. Weil die Fallzahlen zunächst zurückgingen,
       sei die EG Rex 2016 aufgelöst worden. Auf Drängen der Betroffenen sei ein
       Jahr später die OG Rex gegründet worden.
       
       Die Aufgabe der OG Rex habe sich darauf beschränkt, mit den Opfern rechter
       Gewalt Kontakt zu halten. Der Staatsschutz sei der Auffassung gewesen, so
       M., „dass wir bei den Observationen eher stören“. [2][Die
       Neukölln-Ermittlungen wurden zu diesem Zeitpunkt von der beim Staatsschutz
       angesiedelten EG Resin] geführt.
       
       Ab 2015 hatte M. bei der EG Rex eine Führungsposition. Nur drei Beamte
       waren dort zu dieser Zeit noch tätig. Einer davon war der Beamte Stefan K.
       Jener K., der im April 2017 außerhalb des Dienstes zusammen mit rechten
       Fans des 1. FC Union schwer betrunken einen afghanischen Asylbewerber
       krankenhausreif prügelte und dafür im März 2023 rechtskräftig verurteilt
       worden ist.
       
       ## Krankschreibung geschickt
       
       Eigentlich sollte auch Stefan K. am Freitag im Untersuchungsausschuss
       gehört werden. Der Polizist hatte aber im Vorfeld der Sitzung eine
       Krankschreibung geschickt. Zum Zeitpunkt des Vorfalls gab es die EG Rex
       nicht mehr, in die OG Rex habe K. aus privaten Gründen nicht mehr gewollt,
       sagte M. Der Vorfall habe ihn „überrascht und schockiert“, so M. Dass „so
       etwas in ihm schlummert“, habe er bei der Zusammenarbeit mit K. nicht
       gemerkt.
       
       Für den Ruf der OG Rex sei der Vorfall ein schwerer Rückschlag gewesen, so
       M. „Ihr habt einen rechten Schläger bei euch“: So habe der Vorwurf der
       Betroffenen gelautet. Es sei schwer gewesen, bei den Leuten wieder
       Vertrauen zu gewinnen. Dem Landeskriminalamt hätten die Betroffenen aber
       noch weniger vertraut.
       
       Über viele Jahre sei gegen zwei, drei Tatverdächtige der rechten Szene
       ermittelt worden, viele Anschläge habe es in dieser Zeit gegeben. [3][Warum
       es keine Ermittlungserfolge gab]? „Ich weiß es nicht, ich hätte mir das
       auch gewünscht“, versicherte M.
       
       Als er angefangen habe, 2007 in Rudow bei der EG Rex, habe die dortige
       Rechtsextremisten-Szene noch 120 Personen gezählt. 15-, 16-Jährige seien
       das gewesen, die sich aus Kita, Schule und dem Fußballclub gekannt hätten.
       Die Szene habe sich dann immer mehr reduziert, sagte M. Mit Beginn der
       Brandanschläge sei es keine offene Szene mehr gewesen. „Ein kleiner Kreis
       hat weitergemacht“.
       
       Der linken Szene bescheinigte M. „eine hervorragende Aufklärungsarbeit“
       über die rechtsextreme Szene zu machen, auch er habe davon für die
       Polizeiarbeit profitiert.
       
       ## Im Innendienst tätig
       
       Vom Vertreter der Linkspartei, Niklas Schrader, im Ausschuss nach rechten
       Szeneangehörigen gefragt, wartete M. unter Nennung von Vornamen und
       Abkürzung der Nachnamen mit plastischen Beschreibungen auf. „Reizbar und
       unterbenebelt, eine gefährliche Konstruktion“ sagte er über einen. Über
       einen anderen: „Der ist nicht nur ein Abrisskalender.“ Oder: „Fällt optisch
       nicht auf, im Hintergrund aber immer dabei.“ Oder: „Nazi, Frauenschläger,
       sehr gefährlich, fast immer voll.“
       
       M. verrichtet seit geraumer Zeit auf einem Polizeiabschnitt in Neukölln
       Innendienst.
       
       Die Welt hatte unter Bezugnahme auf das Ermittlungsverfahren gegen M.
       berichtet, der Beamte soll die Ermittlungen gegen die rechte Szene auf
       eigene Faust voranzubringen versucht haben. In der Form, dass M. selbst
       versucht haben soll, einen Informanten anzuwerben. Die Person, die er mit
       Dienstinterna bestückt haben soll, soll aber nur vorgetäuscht haben, ein
       Neonazi zu sein. Tatsächlich habe es sich um einen Szeneangehörigen der
       Linken gehandelt, der das gegnerische Spektrum habe unterwandern wollen.
       
       Bei der Pressekonferenz im Anschluss an den Ausschuss konstatierte der
       Sprecher der CDU-Fraktion, Stephan Standfuß, M. habe die Fragen zu 99
       Prozent beantwortet und sehr glaubwürdig gewirkt. Sein Eindruck sei, dass
       M. ein engagierter Beamter gegen Rechtsextremismus sei.
       
       Die Vermutung habe sich bestätigt, dass es ein Fehler gewesen, die EG Rex
       aufzulösen, sagte Niklas Schrader. Der Vertreter der Grünen, André Schulze,
       sprach von einer „gelungenen, ergiebigen Befragung“ des Zeugen M. Von der
       Presse nach einer Einschätzung zur Stichhaltigkeit des Vorwurfs des
       Geheimnisverrats gefragt, hieß es einvernehmlich: Das könne der Ausschuss
       nicht beurteilen.
       
       29 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Plutonia Plarre
       
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