# taz.de -- Bedrohte Kita in Prenzlauer Berg: Erziehung braucht Räume
       
       > Als private Einrichtungen genießen Kinderläden wie „Im Känguru“ weniger
       > Mietschutz. Will ein Vermieter so eine Kita loswerden, erhöht er einfach
       > die Miete.
       
 (IMG) Bild: Kinderlachen, Kinderschreien: damit ist „Im Känguru“ am jetzigen Standort bald Schluss
       
       BERLIN taz | Etwas versteckt im abgelegenen Hinterhof eines Wohngebäudes im
       Kollwitzkiez in Prenzlauer Berg befindet sich die Kita „Im Känguru“. Der
       Lärm der nahen Greifswalder Straße dringt nicht in das, wie es die
       Betreiber*innen nennen, „Hinterhofparadies“ ein. Der Hof lässt schnell
       vergessen, dass man mitten in der Stadt ist. Spielplatz, Bäume,
       Buddelkasten und alles andere, was man zum Spielen braucht, steht den
       Kindern hier zur Verfügung.
       
       Doch damit ist es bald vorbei. Spätestens im August 2024, wenn der aktuelle
       Mietvertrag ausgelaufen ist, muss die Kita aus ihren Räumlichkeiten und
       damit auch aus dem Hinterhof verschwinden. Der Grund dafür ist der
       Vermieter, dem die gesamte Immobilie gehört. Einige Wohnungen in dem Altbau
       wurden bereits aufwändig saniert, weswegen unter den Mitarbeitenden der
       Kita der Verdacht besteht, dass auch der Hinterhof bebaut und bestehende
       Wohnungen teuer saniert werden sollen.
       
       „Ökonomische Interessen stehen ganz klar vor dem Schutz dieser
       einzigartigen Kita“, sagt Lisa Marie Sax, die Finanzvorsitzende vom „Im
       Känguru“, der taz. Regelmäßig wurde in den letzten Jahren die Miete erhöht.
       „Wir wurden zwar nicht rausgeschmissen, aber der Vermieter weiß, dass wir
       uns diese Miete auf Dauer nicht leisten können“, beklagt die
       Kommunikationsbeauftragte der Kita, Juliane Scheel. Um fast ein Drittel sei
       die Miete im Frühjahr dieses Jahres gestiegen, danach war klar, dass das
       „Hinterhofparadies“ keine Zukunft mehr hat.
       
       Im Gegensatz zu anderen Kitas ist eine solche Mietsteigerung nur bei
       Kinderläden wie dem Känguru möglich. Amtlich heißen die
       [1][Eltern-Initiativ-Kindertagesstätten] (kurz: EKT). Da sie private
       Einrichtungen sind, die nur zum Teil vom Senat mitfinanziert werden,
       genießen sie weniger Mietschutz. Rechtlich sind Räumlichkeiten von EKTs mit
       herkömmlichen Gewerbeflächen gleichgestellt.
       
       Das kann von Vermieter*innen wie eben im Fall des Känguru ausgenutzt
       werden, indem die Miete so weit in die Höhe getrieben wird, bis der Kita
       keine andere Wahl bleibt, als sich eine günstigere Alternative zu suchen.
       Das ist für Vermieter*innen einfacher, als sie rauszuklagen und einen
       langwierigen und im Zweifelsfall teuren Prozess zu starten.
       
       „Im Känguru“ ist nicht die einzige EKT, deren Existenz durch den
       Immobilienmarkt in Berlin gefährdet ist. Der [2][Dachverband Berliner
       Kinder- und Schülerläden (DaKS)] unterstützt Einrichtungen dieser Art und
       hilft bei Verhandlungen mit den Vermieter*innen. Seit 2014 ist die Anzahl
       der gefährdeten sozialen Einrichtungen nach DaKS-Angaben stark angestiegen.
       Allein seit Ende 2022 befinden sich 20 Einrichtungen in einer ähnlichen
       Situation wie „Im Känguru“. Die Fälle sind dabei nicht identisch, gemeinsam
       haben sie aber alle, dass sie, wenn Verhandlungen mit Vermieter*innen
       scheitern, dem Gewerbe-Immobilienmarkt der Stadt ausgesetzt sind. Dort
       verschärft sich die Lage sozialer Einrichtungen durch den Wohnungsbau
       landeseigener Gesellschaften. Dieser fordert, dass bei der gewerblichen
       Vermietung höchstmögliche Umsätze erzielt werden. „Das weitestgehend nicht
       regulierte Gewerbemietrecht lässt Gewerbemieter in einer Metropole wie
       Berlin von Anfang an auf der Verliererseite stehen“, heißt es in einem
       Positionspapier des DaKS zu sozialen Einrichtungen als Gewerbemieter.
       
       ## Stets befristete Verträge
       
       Für Unsicherheit sorgt dazu, dass Mietverträge häufig nicht langfristig
       aufgesetzt werden. Auch im Fall von „Im Känguru“ hat sich der Vermieter
       alle Optionen offengehalten, Mietverträge waren stets befristet und
       enthielten eine Kündigungsklausel von einem Jahr, von dem der Vermieter
       jederzeit Gebrauch machen kann. Eine langfristige Standortsicherheit für
       die Einrichtung gab es nie.
       
       Die ungewisse Zukunft der Kita führte in der Vergangenheit dazu, dass keine
       Investitionen in die Räumlichkeiten mehr flossen. „Es entstand ein
       Investitionsstau, weil wir in den letzten Jahren nie genau wussten, ob sich
       Ausgaben für diesen Standort überhaupt noch lohnen“, so Sax. Dieser
       Investitionsstau fungiert nun als Rücklage der Kita, um die hohe Miete zu
       zahlen. Der finanzielle Spielraum der Elternbeiträge ist bereits
       ausgeschöpft, da es für diese in Berlin ein rechtliches Maximum gibt. Diese
       Beiträge sollen nicht für Fixkosten wie Miete, Strom oder Gehälter
       ausgegeben werden, sondern sie sollen in erster Linie Aktivitäten und das
       Freizeitangebot für die Kinder fördern. Hohe Mieten können deswegen nicht
       durch erhöhte Elternbeiträge abgefedert werden. Und der Senat, so Sax,
       reagierte „nicht ausreichend auf die generelle Preissteigerung in den
       letzten zwei Jahren“.
       
       Der Senat wiederum sieht die Situation mit weniger Sorge. Laut einer
       Einschätzung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie
       verbessert sich die Kitaplatzsituation in Berlin stetig, teilt eine
       Pressesprecherin der taz mit.
       
       Manches allerdings spricht doch gegen die Sicht des Senats. So sind EKTs
       Kitas mit einem besonderen Betreuungskonzept. Während staatliche Kitas
       häufig mit zu wenig Personal auskommen müssen, worunter die Arbeitsqualität
       der Erzieher*innen und letztlich auch die Erziehung an sich leidet,
       bieten EKTs den einzelnen Kindern mehr Aufmerksamkeit. Außerdem haben die
       Eltern der Kinder in einer EKT ein Mitspracherecht bei Entscheidungen der
       Kita. Dazu kommt, dass die Erziehenden besser als in staatlichen
       Einrichtungen bezahlt werden, was einen größeren Anreiz für angehende
       Erzieher*innen darstellt.
       
       Ohne die EKTs wären die staatlichen Kitas außerdem noch nachgefragter, dies
       würde die staatlichen Einrichtungen noch stärker belasten.
       
       ## Video zur Unterstützung vom Känguru
       
       Um auf die prekäre Situation des Kängurus aufmerksam zu machen, reagierten
       die Mitwirkenden der EKT auf die „Berlin braucht Erziehung“-Kampagne des
       Berliner Kita-Verbandes mit einem eigenen Video. In dem Clip sieht man den
       Erzieher Jan Ebels mit einigen auf der Straße sitzenden Kindern, um
       darzustellen, dass das Känguru in Zukunft „auf die Straße gesetzt“ wird.
       „Berlin braucht Erziehung? Erziehung braucht aber auch Räume!“, lautet die
       Botschaft des Videos.
       
       Derzeit befinden sich Mitarbeitende, Eltern und andere
       Unterstützer*innen auf der Suche nach einem neuen Standort für die
       Kita. Diese Suche gestaltet sich, ganz ohne amtliche Unterstützung, auf dem
       aktuellen Immobilienmarkt schwierig. „Niemand vermietet gerne an
       Kindergärten, das ist häufig ein Ausschlusskriterium“, so Sax.
       
       Dass Vermieter*innen durch Leerstand steuerliche Vorteile
       erwirtschaften können und so noch weniger Anreize haben, an soziale
       Einrichtungen zu vermieten, kommt erschwerend hinzu. „Die
       Steuersparmöglichkeiten sind extrem vielfältig. Hier müssen Schlupflöcher
       gestopft werden“, fordert der DaKS in seinem Positionspapier. Das Land
       Berlin solle entsprechende Vorhaben auf Bundesebene anstoßen, um die Lage
       auf den Immobilienmärkten zu entspannen. Außerdem sieht der DaKS die
       Notwendigkeit der Nutzung und auch Erweiterung der
       Milieuschutzverordnungen. Eine Erweiterung des Gesetzes auf die
       Daseinsvorsorge, also auf soziale Einrichtungen, würde es der Stadt
       ermöglichen zu bestimmen, welche Immobilien in welcher Art genutzt werden
       dürfen.
       
       „Die Politik steht hier im Zugzwang“, sagt DaKS-Sprecherin Babette Sperle
       im Gespräch mit der taz. „Nur so wird sich die Lage sozialer Einrichtungen
       auf dem Immobilienmarkt langfristig verbessern.“
       
       12 Oct 2023
       
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