# taz.de -- Freundliche Übernahme bei Jazz-Festival: Die Bandleaderin muss improvisieren
       
       > Das „Enjoy Jazz Festival“ in der Rhein-Neckar-Region gibt
       > nichtwestlichen Musiker*innen eine Bühne. Zumindest, wenn die
       > einreisen dürfen.
       
 (IMG) Bild: Die Band Kader Tarhanin
       
       Keine hippen Clubs und gepflegten Theater, keine stets gefüllten
       Getränkekühlschränke: Nein, es war kein gewöhnliches Event, das
       [1][Festival au Désert], gegründet im Jahr 2001 im afrikanischen Mali.
       
       „Einmal im Jahr treffen sich im Norden Malis nomadische Stämme, es gibt
       Musik- und Sportveranstaltungen“, erinnert sich Initiator Manny Ansa an die
       Anfangsjahre. „Eine französische Band wollte dazu kommen. Aber wir hatten
       weder Soundanlagen noch Bühnen, wir spielten nur akustisch. In der Wüste
       gibt es keine Bühne, kein Licht, keinen Sound. Wir bekamen dann Förderung
       und luden Bands ein. Im ersten Jahr kamen 500 Zuschauer:innen, im dritten
       waren es schon 5.000 Leute.“
       
       Mehr als zehn Jahre lang brachte Ansar so Künstler*innen in die Wüste,
       auch inzwischen weltbekannt gewordene: Tinariwen und Ali Farka Touré etwa.
       Gleich mehrfach war [2][die Gruppe Tartit] dabei. Mithilfe des [3][Enjoy
       Jazz Festivals] hat Ansar diese überwiegend weibliche Band nun nach
       Deutschland eingeladen – für ein Festival Takeover.
       
       Das Konzept: Sieben internationale Festivalmacher*innen dürfen je
       einen Abend komplett gestalten. Das Festival thematisiert es eher
       beiläufig: Künstler*innen aus nichtwestlichen Ländern sind hier genauso
       wichtig wie solche aus Europa und den USA.
       
       ## Schwierigkeiten mit deutschen Behörden
       
       An einem Donnerstagabend im Oktober ist in Heidelberg also Mali dran, ein
       Land, dessen Bewohner*innen oft Schwierigkeiten haben, von deutschen
       Behörden auch nur Visa zu bekommen. So auch diesmal: Beinahe wäre das
       Konzert daran gescheitert, dass nur zwei der sechs Tartit-Mitgliedern
       einreisen durften, darunter Bandleaderin Fadimata Walett Oumar. Also muss
       die Sängerin und Trommlerin improvisieren. Denn üblicherweise dominiert den
       Sound von Tartit ein vielstimmiger Call-and-Response-Gesang. Oumar gießt
       Wasser über die Felle ihrer Tende-Trommel und beginnt zu singen, verstärkt
       durch ihre Mitmusikerin.
       
       Nach drei Songs bitten sie einen jungen Mann auf die Bühne: [4][Kader
       Tarhanine], in Nordafrika ein Star. Geboren in Niger als Kind malischer
       Eltern wuchs er in Algerien auf, und diese Herkunft passt zu seiner
       grenzüberschreitenden Musik, die traditionelle Sahel-Rhythmen mit modernen
       Rockstrukturen verbindet. Wo sich die Studioalben auf seine weiche Stimme
       fokussieren, stehen live die E-Gitarren im Mittelpunkt. Rau, bluesig und
       druckvoll klingen sie, zeichnen mantraartige Kreise. „Sleep finish now“,
       ruft Tarhanine, „you dance!“ Und tatsächlich steht das Publikum im
       Karlstorbahnhof auf.
       
       Am nächsten Tag sitzt ein etwas müder Manny Ansar in seinem traditionellen
       Damastgewand in der Hotellobby und erzählt von Malis Hauptstadt Bamako.
       „Wir haben bestimmt die höchste Künstlerdichte in der Welt; Salif Keita,
       Rokia Traoré, Bassekou Kouyaté und so weiter. Aber sie können kaum noch
       Konzerte geben. Und im Norden wollen die Extremisten überhaupt keine Musik
       mehr erlauben.“
       
       Die [5][Anschläge islamistischer Terroristen] rund um die 1.000 Jahre alte
       Stadt Timbuktu hatten sich irgendwann gehäuft, 2012 fand dort das letzte
       Festival statt. Seitdem tourt Ansar damit um die Welt. Hat er noch
       Hoffnung, irgendwann nach Mali zurückkehren zu können? Er seufzt tief:
       „Inschallah“ – so Gott will.
       
       Wer noch am laufenden Festival Takeover teilnimmt? Kurator*innen aus
       Israel, Uganda und Südkorea. [6][Soojin Suh] ist aus Seoul angereist. Die
       Komponistin und Schlagzeugerin ist aufgeregt, sie hat sich ihre Ansagen auf
       dem Tablet notiert – und weicht dann doch davon ab. „Ich nutze wohl ein
       anderes Hirn“, mutmaßt sie. Mag sein, aber dann erlaubt ihr vielleicht
       gerade dieser kreative Kopf das so brillante Zusammenspiel mit Bass und
       Piano; eine altbekannte Trio-Besetzung, aber Soojin Suhs Songs sind kantig,
       melodisch, immer wieder überraschend.
       
       24 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.festival-au-desert.org/
 (DIR) [2] https://www.aliaprod.com/tartit
 (DIR) [3] https://enjoyjazz.de/
 (DIR) [4] https://www.oneworldsmusic.com/kader
 (DIR) [5] /Anschlaege-in-Burkina-Faso-und-Mali/!5337847
 (DIR) [6] https://soojinsuhmusic.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Paersch
       
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