# taz.de -- Zeitgenossenschaft als Anliegen
       
       > Vor 100 Jahren begann die Geschichte des Rundfunk-Sinfonieorchesters
       > Berlin mit der Übertragung der ersten Radiosendung in Deutschland. Den
       > Jahrestag feierte das RSB mit einem Konzert
       
       Von Anna Schors
       
       Die Anfänge des Berliner Rundfunk-Sinfonieorchesters fallen mit dem Start
       des deutschen Radios zusammen: „Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle
       Berlin im Voxhaus auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen
       Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der
       Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf
       drahtlos-telefonischem Wege beginnt“, [1][rauscht es am 29. Oktober 1923 um
       20 Uhr durch die Empfangsgeräte] von 253 Zuhörern. Wenige Monate später
       sind es 100.000.
       
       [2][Die Zeiten sind hart:] Französische Soldaten haben das Ruhrgebiet
       besetzt, die Inflation hat die deutsche Reichsmark wertlos gemacht, die
       Menschen hungern. Unterhaltung ist dringend nötig. Im Voxhaus wird ein
       Andantino von Fritz Kreisler gesendet, aufgenommen von Cellist Otto Urack,
       an nur einem einzigen Mikrofon. Wenig später gründet Urack eines der ersten
       Rundfunkorchester Deutschlands, das bis 1929 von einem 25-köpfigen Ensemble
       auf ein Sinfonieorchester anwächst, eben das heutige
       Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB).
       
       [3][Bald spielt das RSB täglich zwei Stunden Live-Musik für die Zuhörer
       daheim]. Zu den musikalischen Sternstunden der frühen Jahre gehören die
       Uraufführung von Igor Strawinskys „Concerto en Rè“ für Violine und
       Orchester und die erste Rundfunkaufzeichnung von [4][Kurt Weills
       „Dreigroschenoper“]. Begleitend zur Grundsteinlegung des Funkhauses in der
       Masurenallee im Mai 1929 spielt das RSB die erste Live-Übertragung des
       Vorspiels zu Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“, das mit
       seinen heimattümelnden Tendenzen ebenso viel deutsches Schicksal atmet wie
       das Haus des Rundfunks selbst, das mit seinem neu-sachlichen Stil
       demokratischen Aufbruch symbolisiert. Als dann der große Sendesaal im März
       1933 fertig ist, weht jedoch schon die Hakenkreuzflagge. [5][Goebbels]
       bezieht sein Büro im Haus des Rundfunks und instrumentalisiert das
       Orchester für nationalsozialistische Propaganda: Jüdische Künstler werden
       von den Konzertprogrammen gestrichen, atonale Musik wird als „entartet“
       verboten. In Wunschkonzerten für die Wehrmacht spielt das RSB völkische
       Schlager und untermalt deutsche Siegesmeldungen mit Fanfarenmusik.
       
       Nach Kriegsende zieht das RSB in den Osten der Stadt und residiert bis zur
       Wende im Funkhaus in der Nalepastraße. Bisweilen kommt es zu Konflikten mit
       der DDR-Obrigkeit. In der Saisonbroschüre 23/35 erinnert sich Posaunist
       Jörg Lehmann, wie Tubist Georg Schwank kurz vor dem Mauerfall von der Stasi
       mitgenommen wurde: „Fast alle sind mitgekommen ins Stasi-Gebäude und haben
       verlangt, dass sie Georg gehen lassen. Es waren viele, der Flur war
       gefüllt. Wir proben nicht ohne ihn, haben die Kollegen gesagt. Und dann
       haben sie ihn tatsächlich gehen lassen.“
       
       Seiner bewegten Vergangenheit widmete das RSB am 29. Oktober ein
       Jubiläumskonzert in der Philharmonie mit Werken von Kurt Weill, Paul
       Hindemith und Igor Strawinsky. Zu Lebzeiten waren diese Komponisten
       allesamt als Gäste vor dem RSB ans Pult getreten. Mit Hanns Eisler und
       Reiner Bredemeyer standen auch wichtige DDR-Komponisten auf dem Programm.
       Der originale Radioansager von 1923 erklang, ebenso Fritz Kreislers
       Andantino, das damals den Anfang machte und ein Fingerzeig in die Zukunft
       war: Bewusst hatte man einen zeitgenössischen Komponisten gewählt.
       
       Bis heute ist dem RSB die zeitgenössische Musik ein Anliegen, wie Vladimir
       Jurowski, der Chefdirigent und Künstlerische Leiter des Orchesters, immer
       wieder betont. Zum Jubiläum ging ein Kompositionsauftrag an Gernot Adrion,
       seit 1996 stellvertretender Solobratscher im RSB. In seiner „Ouverture
       Solennelle“ ahmen oszillierende Sextolen Funkwellen nach und vereinen
       Vergangenheit und Zukunft in einem Klangereignis. Ein solches Erlebnis bot
       das RSB auch an seinem Jubiläumsabend. Mit Präzision und Schwung flutete es
       den Saal.
       
       2 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5967562&SuchRahmen=Print
 (DIR) [2] /!5865004&SuchRahmen=Print
 (DIR) [3] /!5947470&SuchRahmen=Print
 (DIR) [4] /!5965545&SuchRahmen=Print
 (DIR) [5] /!5959219&SuchRahmen=Print
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Schors
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA