# taz.de -- Präsidentschaft in der Ukraine: Kein Zeitpunkt für Wahlen?
       
       > Eigentlich soll die ukrainische Bevölkerung im März wählen. Nachdem
       > Selenski angekündigt hatte, den Termin zu schieben, äußerte sich die
       > Opposition.
       
 (IMG) Bild: Präsident Wolodimir Selenski Anfang Oktober in Granada
       
       KYJIW taz | Eigentlich müsste spätestens am 31. März 2024 der nächste
       Präsident der Ukraine gewählt werden. Folgt man dem Wahlrecht, müsste sich
       Wolodimir Selenski in der letzten Märzwoche 2024 dem Votum der ukrainischen
       Wähler stellen. Doch in der Ukraine herrscht seit dem 24. Februar 2022
       Kriegsrecht. Und in diesem gelten andere Regeln.
       
       Am Montagabend hat Präsident Selenski vorerst einen Schlussstrich unter
       Überlegungen gezogen, im Kriegsrecht Präsidentschaftswahlen durchzuführen.
       „Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für Wahlen ist“,
       zitiert die Zeitung Ukrajinska Prawda Präsident Selenski am Montagabend. Es
       sei unverantwortlich, das Thema Wahlen jetzt so leichtfertig in die
       Gesellschaft einzubringen.
       
       Noch im Sommer hatte Selenski dem portugiesischen Fernsehen erklärt, dass
       er für das Präsidentenamt kandidieren würde, wenn die Wahlen vor Kriegsende
       abgehalten würden. Und im Oktober hatte er dem italienischen
       Nachrichtensender Sky TG24 erklärt, dass Wahlen während des Kriegsrechts
       durchaus möglich wären, wenn Parlament und Regierung die damit
       einhergehenden Aufgaben schaffen würden.
       
       Auch westliche Politiker, darunter Tiny Kox, Präsident der
       Parlamentarischen Versammlung des Europarats, und US-Senator Lindsey Graham
       hatten mehrfach Wahlen, auch im Krieg, gefordert. Doch inzwischen ist die
       ukrainische Öffentlichkeit mehrheitlich gegen Wahlen zum jetzigen
       Zeitpunkt.
       
       ## 81 Prozent der Bevölkerung will Wahlverschiebung
       
       In einer Umfrage des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie
       (KIIS) hatten sich im Oktober 81 Prozent der Befragten für eine
       Verschiebung der Wahlen auf die Zeit nach dem Krieg ausgesprochen.
       „Angenommen wir haben am Wahltag massive Raketenangriffe im ganzen Land und
       in der Folge eine Wahlbeteiligung von 5 bis 10 Prozent, stellt sich die
       Frage nach der Legitimität einer solchen Willensbekundung“, zitiert Voice
       of America Olga Aiwazowska, Leiterin des Wahlbeobachtungsnetzwerks Opora.
       
       Sogar Irina Heraschtschenko, politische Weggefährtin von Ex-Präsident
       Poroschenko und somit eine Gegnerin von Selenski, unterstützt auf ihrer
       Facebook-Seite die Verschiebung der Wahlen.
       
       Es gebe objektive Gründe, die eine Durchführung von Wahlen erschweren, so
       die Aktivistin Aiwazowska: Mehr als 6 Millionen UkrainerInnen haben das
       Land verlassen, in den von Russland annektierten Gebieten sei eine
       Abstimmung nicht möglich. Wahlen unter diesen Umständen würden nicht den
       tatsächlichen Willen eines Volkes widerspiegeln. Doch es gibt auch Gründe,
       die für die Durchführung von Wahlen sprechen würden, so [1][Voice of
       America].
       
       Mit der Durchführung von Wahlen würde die Ukraine zeigen, dass sie ein
       demokratisches Land ist, das nicht in das Autoritäre abdriftet. Auch der
       Umstand, das just [2][im März in Russland] Präsidentschaftswahlen sein
       werden, würde die Ukraine schlecht dastehen lassen, wenn sie die für März
       vorgesehenen Wahlen nicht stattfinden lasse.
       
       Die Diskussion über eine Verschiebung der Präsidentschaftswahlen findet zu
       einem Zeitpunkt statt, an dem immer deutlicher wird, dass die Chemie
       zwischen Präsident Selenski und dem [3][Oberkommandierenden der
       ukrainischen Truppen, Waleri Saluschni,] nicht mehr stimmt. Derzeit häufen
       sich im ukrainischen Netz Diskussionen, ob nicht vielleicht Waleri
       Saluschni ein möglicher Gegenkandidat für Präsident Selenski wäre. Ein
       Kandidat, der das Zeug hätte, Selenski zu besiegen.
       
       ## Entscheidung muss bis Ende des Jahres kommen
       
       Genährt werden diese Diskussionen durch einen Artikel, den Saluschni für
       den britischen [4][Economist] geschrieben hatte, in dem er erklärt hatte,
       dass es nicht realistisch sei, an einen schnellen Sieg der ukrainischen
       Streitkräfte zu glauben.
       
       Und auch der mysteriöse Tod des Saluschni-Vertrauten Gennadi Tschastjakow
       am Wochenende wirft Fragen auf. Dieser hatte zu seinem Geburtstag als
       Geschenk ein Päckchen mit einer Flasche Schnaps und einer Handgranate
       bekommen. Obwohl man Tschastjakow erklärt hatte, dass die Granate scharf
       sei, habe dieser den Ring gezogen und die Granate zum Explodieren gebracht,
       berichtet Marjana Rewa vom Innenministerium. Das Portal strana.news
       berichtet hingegen unter Berufung auf die Ehefrau von Tschastjakow, die
       Explosion habe sich als Selbstzünder beim Öffnen des Paketes ereignet.
       
       Vielleicht solle man auch noch ein paar Wochen mit der endgültigen
       Entscheidung warten, meint der Journalist Stanislaw Kibalnyk von
       assembly.org.ua. 90 Tage vor den Wahlen, also am 31. Dezember, muss
       spätestens eine Entscheidung getroffen werden. Und da sei es noch gut
       möglich, dass bis dahin die Wahlgesetzgebung entsprechend geändert wird und
       eben doch noch Präsidentschaftswahlen am 31. März stattfinden werden.
       
       7 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.holosameryky.com/a/vybory-v-ukraini-pid-chas-vyiny/7343291.html
 (DIR) [2] /Regionalwahlen-in-Russland/!5956632
 (DIR) [3] /Frontverlauf-im-Sueden-der-Ukraine/!5956132
 (DIR) [4] https://www.economist.com/europe/2023/11/01/ukraines-commander-in-chief-on-the-breakthrough-he-needs-to-beat-russia
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
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