# taz.de -- Erdoğan in Deutschland: Besuch in brisanten Zeiten
       
       > Besuche des türkischen Präsidenten lösten schon politische Krisen aus.
       > Diesmal ist das nicht zu erwarten. Protest gegen Erdoğan formiert sich
       > dennoch.
       
 (IMG) Bild: Warten auf den Gast: Olaf Scholz vor dem Kanzleramt (hier im Frühjahr 2023)
       
       BERLIN taz | Es ist nicht lange her, da waren Besuche des türkischen
       Staatspräsidenten in Berlin Anlass für eine mittlere innenpolitische Krise
       in Deutschland. Wenn am Freitag erst Bundespräsident Frank-Walter
       Steinmeier und dann Kanzler Olaf Scholz (SPD) [1][Recep Tayyip Erdoğan
       empfangen werden], sind in Rufweite im Regierungsviertel Demonstrationen
       angekündigt. Doch die Mobilisierung findet dieses Mal unter anderen
       Vorzeichen statt – und es sieht nicht danach aus, als würden wieder
       ähnliche Massen gegen den türkischen Präsidenten auf die Straße ziehen wie
       früher.
       
       Unter dem Motto „Kein roter Teppich für den Islamisten Erdoğan“ rufen die
       Gesellschaft für bedrohte Völker und der Verein Syrian Kurdish Diaspora
       Network in Europe zu zwei Demonstrationen auf: Die Organisator*innen
       wollen sich am Vormittag an den Polizeiabsperrungen in der Bellevueallee
       versammeln; für den Nachmittag haben sie eine weitere Kundgebung in der
       Nähe des Kanzleramts angemeldet.
       
       Die Demonstrant*innen passen damit auch den ungefähren Zeitplan der
       Visite des türkischen Präsidenten in Berlin ab. So nimmt Steinmeier seinen
       türkischen Kollegen am Morgen in Empfang; ohne militärische Ehren, weil es
       sich streng nach Protokoll bei dem Empfang des türkischen Präsidenten nicht
       um einen Staatsbesuch, sondern um einen Arbeitsbesuch handelt: Erdoğan ist
       auf Einladung des Bundeskanzlers und nicht Steinmeiers zu Gast. Wenn man
       das Protokoll der Arbeitsbesuch ernst nähme, dann gilt der Besuch auch
       nicht einer „allgemeinen Kontaktpflege“ wie bei einem zeremoniellen
       Staatsbesuch, sondern zum Beackern aktueller politischer Themen.
       
       Und diese gibt es derzeit bekanntlich genug. Ob es jedoch zu produktiven
       Unterhaltungen zwischen Steinmeier, Scholz und Erdoğan kommen wird, kann
       bezweifelt werden. Zu unterschiedlich sind die Standpunkte im
       Nahostkonflikt, [2][in dem Erdoğan aus seinen Sympathien für die Hamas
       längst keinen Hehl mehr macht]. Zu unterschiedlich ist inzwischen auch das
       Machtgefälle zwischen der Europäischen Union und der Türkei im Umgang mit
       Geflüchteten, obwohl gerade CDU-Politiker von einem Wiederaufleben des 2016
       geschlossenen Abkommens zwischen Brüssel und Ankara zur Rücknahme von
       Asylsuchenden träumen.
       
       ## Der Kanzler widerspricht
       
       Die Bundesregierung gibt sich betont pragmatisch im Umgang mit dem Besuch,
       und auch aus der Opposition ist bislang kaum grundsätzliche Kritik daran zu
       hören. So sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion,
       Thorsten Frei, es sei grundsätzlich richtig, dass die Bundesregierung den
       Besuch des türkischen Präsidenten nicht abgesagt habe – trotz dessen
       Stilisierung der Hamas zu Freiheitskämpfern und einer einseitigen
       Fokussierung auf die Kriegsaktivitäten Israels. Aus der Union und auch aus
       den Ampel-Parteien gibt es dringende Forderungen an den Kanzler, die
       Positionierung der Regierung an der Seite Israels zu unterstreichen.
       
       Scholz selbst hatte bereits am Dienstag Vorwürfe Erdoğans, Israel handele
       „faschistisch“, als „absurd“ zurückgewiesen.
       
       Die Nahost-Fokussierung auf türkischer und deutscher Seite der vergangenen
       Wochen dürfte dazu führen, dass die Gespräche über andere zentrale Themen
       in den gemeinsamen Beziehungen weniger wahrgenommen werden. Als Reaktion
       auf einen Anschlag am 1. Oktober in Ankara fährt die Türkei aktuell wieder
       eine Offensive gegen die kurdische Region Rojava im Nordosten Syriens. Im
       Schatten der Angriffe der Hamas und der israelischen Invasion des
       Gazastreifens bleiben die teils massiven Kampfhandlungen der Türkei in der
       Region weitestgehend unbeachtet.
       
       Am Samstag möchte eine Organisation auch im Lichte dieser Ereignisse
       [3][für eine Aufhebung des Verbots der kurdischen Arbeiterpartei PKK in
       Deutschland] demonstrieren. In dem Protestaufruf heißt es, Erdoğan habe mit
       seinen Äußerungen zur Hamas „seine Unterstützung für radikal-islamistische
       Organisationen untermauert“. Die Aufrechterhaltung des PKK-Verbots in
       Deutschland sei das beste Beispiel dafür, wie die deutsch-türkischen
       Beziehungen funktionierten: Indem das Verbot aufrechterhalten wird, lasse
       sich die Bundesrepublik von Erdoğan zugunsten wirtschaftlicher
       Interessenbeziehungen und zulasten der Grund- und Menschenrechte der
       Kurd*innen beeinflussen.
       
       Unklar blieb zunächst, wie lange sich Erdoğan in Deutschland aufhalten wird
       und ob in dieser Zeit Gespräche mit Vertreter*innen aus der
       Zivilgesellschaft und Religionsgemeinschaften geplant sind. Berichte,
       wonach der türkische Staatschef nach seinem Besuch in Berlin nach Köln
       weiterreisen werde, wurden von der Kölner Polizei gegenüber der taz
       zunächst nicht bestätigt. Dort hatte der Besuch des türkischen Präsidenten
       im Jahr 2018 zur Eröffnung der Zentralmoschee zu reichlich Protest geführt
       – sowohl von Befürworter*innen wie auch von Gegner*innen Erdoğans.
       
       16 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Erdoan-Besuch-in-Berlin/!5969781
 (DIR) [2] /Erdoan-gegen-Israel/!5964130
 (DIR) [3] /Soziologe-ueber-deutsches-PKK-Verbot/!5970077
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Yağmur Ekim Çay
 (DIR) Cem-Odos Güler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Olaf Scholz
 (DIR) Protest
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) GNS
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Erdoğan in Berlin: Zwei-Staaten-Lösung im Kanzleramt
       
       Der türkische Präsident kritisiert einseitig Israels Angriffe in Gaza. Doch
       was Visionen in der Region angeht, sind sich er und Olaf Scholz einig.
       
 (DIR) Staatsbesuch von Erdoğan: Mini-Demo gegen Erdoğan
       
       Berlin wurde für den türkischen Staatspräsidenten teilweise abgeriegelt.
       Auf Demonstrationen gegen ihn nahmen nicht mal 100 Menschen teil.
       
 (DIR) Erdoğan-Besuch in Berlin: Gespräche mit wenigen Möglichkeiten
       
       Am Freitag erwartet der Bundeskanzler den türkischen Präsidenten in Berlin.
       Dabei gibt es kaum Erwartungen an das Treffen – und deutliche Kritik.
       
 (DIR) PKK-Prozess in Hamburg: Im Sinne Erdoğans
       
       Der Kurde Kenan A. soll laut Generalstaatsanwaltschaft Mitglied der PKK
       sein. Seine Verteidigerin spricht von einem „originär politischen
       Verfahren“.
       
 (DIR) Erdoğan gegen Israel: „Stehen für den Nahen Osten bereit“
       
       Unter Erdoğan verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Israel und der
       Türkei. Er heizt die Stimmung an, droht dem Westen, nennt Israel
       „Kindermörder“.