# taz.de -- Antisemitismus bei Fridays for Future: Geht das noch mit Greta?
       
       > Die Klimabewegung löst sich von ihrer Ikone. Gut so, denn mit
       > Antisemitismus gibt es keine Klimagerechtigkeit.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsamer Auftritt von Greta Thunberg mit Sara Rachdan in Amsterdam am 12.11.2023, die antisemitische Reden hielt
       
       Die Unklarheiten häufen sich. Wusste Greta Thunberg, dass antisemitische
       Verschwörungsmythiker*innen gern Kraken als Symbol für eine
       angebliche jüdische Weltverschwörung nutzen, [1][als sie prominent ein
       Kraken-Kuscheltier in ihrem pro-palästinensischen Instagram-Foto
       platzierte]?
       
       Als sie sich die Bühne und das Mikrofon mit der Aktivistin Sara Rachdan
       teilte, wusste sie da, dass die auf Instagram kürzlich Israels
       Premierminister Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler verglichen hatte? War
       es nur Gedankenlosigkeit, dass sich Thunberg zwar direkt mit den Opfern des
       aktuellen Konflikts in Gaza solidarisierte, die jüdischen Toten,
       Entführten, Vergewaltigten des Hamas-Terrors aber zunächst nicht mal
       erwähnte?
       
       So viele Zufälle kann es eigentlich nicht geben. In mehreren Punkten
       steuerte Thunberg als Reaktion auf massive Kritik jedoch nach. Das
       Kraken-Foto ist zum Beispiel gelöscht.
       
       „Auf okkupiertem Land gibt es keine Klimagerechtigkeit“, skandierte
       Thunberg dann kürzlich auf einer Klima-Demo in Amsterdam, in deutlicher
       Anspielung auf den Nahostkonflikt: Israel als bloße Besatzungsmacht, die
       Palästinenser*innen als bloße Unterdrückte. Und die deutsche
       Klima-Szene muss sich wieder damit beschäftigen: Wie geht sie um mit dem
       Wunderkind der Bewegung?
       
       ## Angeblich wirre Verbindung
       
       Vor fünf Jahren hat Thunberg im Alter von 15 eine ganze globale Bewegung
       inspiriert, sprach später vor den Vereinten Nationen, mit Barack Obama, mit
       Angela Merkel, [2][besuchte Klimagipfel genau wie den Hambacher Forst,]
       konnte sowohl radikale Aktivist*innen als auch mittige
       Nachhaltigkeitsfans für sich begeistern. Jetzt gehört zu dem Phänomen
       Thunberg eine einseitige Positionierung im Nahost-Konflikt, zuweilen mit
       möglicherweise versehentlichen antisemitischen Zügen.
       
       Die deutsche Sparte von Thunbergs Fridays for Future [3][hat sich deutlich
       von ihr distanziert.] Es ist ein schwerer Abnabelungsprozess, in dem die
       Bewegung in Deutschland sich neu sortiert.
       
       Eins ist aber doch wie immer: Die rechte Szene nutzt die Krise für
       Rundumschläge gegen die Klimabewegung. Der ehemalige Bild-Chefredakteur
       Julian Reichelt provozierte in einem Post auf dem Online-Portal X sogar mit
       einem Vergleich mit der Hitlerjugend. „Das ist die schlimmste
       Jugendorganisation nach 1945“, schrieb er über Fridays for Future. Andere
       machen sich lustig über die angeblich wirre Verbindung, die Thunberg
       zwischen Klimakrise und Themen wie dem Kolonialismus ziehe.
       
       Es ist ärgerlich, dass die – absichtliche oder unabsichtliche –
       Relativierung des Hamas-Terrors davon ablenkt, dass die Verbindung zwischen
       Kolonialismus und Klimakrise natürlich sehr wohl besteht. Thunberg und vor
       ihr viele Klimaaktivist*innen haben recht, wenn sie sagen: Diese
       Probleme hängen ziemlich direkt zusammen.
       
       Europäische Industrieländer haben schließlich teils jahrhundertelang durch
       Ausbeutung bis hin zur Versklavung von Menschen und Natur in
       kolonialisierten Ländern Reichtum angehäuft, auf dem die Industrialisierung
       fußt, die die Klimakrise ausgelöst hat. Wirtschafts- und Energiesysteme in
       den ehemaligen Kolonien sind [4][oft heute noch auf diese Zeit
       zurückzuführen.]
       
       Und die neue, klimafreundliche Welt, die wir so dringend brauchen, droht
       teilweise, solche Strukturen fortzuschreiben. Wenn nämlich Industrieländer
       zum Beispiel die Produktion von grünem Wasserstoff in sonnenreichen Ländern
       des globalen Südens vorantreiben, um ihn selbst zu importieren – während
       die lokale Bevölkerung teils noch nicht vollständig Zugang zu Strom hat.
       
       Beim Klimawandel geht es nicht einfach um Länder, die zufällig viel oder
       wenig Treibhausgas emittieren. Die Rollen sind historisch gewachsen, haben
       politische Ursachen. Das herauszustellen, ist nicht absurd. Und der Impuls,
       sich auf die Seite der in diesem Sinne Unterdrückten zu stellen, ist so
       nachvollziehbar wie sinnvoll.
       
       Nur: In Bezug auf den Nahostkonflikt passt das Schema eben nicht gut. Ja,
       Palästinenser*innen gehören zum globalen Süden, die wirtschaftliche
       Lage ist prekär, der Beitrag zur Klimakrise gering. Aber Gaza wird bislang
       von einer Terrororganisation beherrscht, die Israel regelmäßig barbarisch
       angreift. Eine freie und (klima-) gerechte Gesellschaft hat sie zudem auch
       für die eigene Zivilbevölkerung ganz sicher nicht im Sinne.
       
       Und ja, Israel ist ein wohlhabendes und hochindustrialisiertes Land mit
       damit verbundenen CO2-Emissionen und einer rechten Regierung, die
       palästinensische Gebiete besetzt und im aktuellen Konflikt brutal
       zurückschlägt – aber ein Großteil der Bevölkerung gehört einer religiösen
       Gruppe an, die seit Jahrtausenden verfolgt und vertrieben wird. Auch jetzt
       noch sind Juden*Jüdinnen [5][nicht sicher], das zeigt das Massaker vom
       7. Oktober in Israel, zeigen die Davidstern-Schmierereien auf Häusern mit
       jüdischen Bewohner*innen, zeigt der massive Anstieg von Hassverbrechen
       gegenüber jüdischen Menschen in der New Yorker Kriminalitätsstatistik vom
       Oktober.
       
       Eine Klimabewegung, deren Positionen in irgendeiner Form offen für
       antisemitische Interpretationen sind, kann keine Klimagerechtigkeit für
       sich beanspruchen.
       
       17 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Schwarz
       
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