# taz.de -- Wärmewende in Niedersachsen: Weil sucht Wärme
       
       > Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) tourt durch die
       > Region. Er will gelungene Beispiele der Wärmewende besuchen –
       > ausgerechnet jetzt.
       
 (IMG) Bild: Auf der Suche nach wärmenden Vorzeigeprojekten: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil
       
       LAATZEN, NEUSTADT A. RBGE. UND HANNOVER taz | Es hätte vielleicht bessere
       Zeitpunkte für diese Winterreise zur Wärmewende gegeben. Nicht nur, weil
       Niedersachsen in diesen Tagen im Schneeregenmatsch versinkt, sondern auch,
       weil nach [1][dem Haushaltsurteil aus Karlsruhe] – mal wieder – die ganz
       große Verunsicherung grassiert.
       
       Alle Förderungen liegen erst einmal auf Eis, egal, ob es um die private
       Wärmepumpe oder den Ausbau der kommunalen Fernwärmenetze geht.
       Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) versucht trotzdem,
       Optimismus zu verbreiten. Da müssten „die da in Berlin“ nun eben daran
       arbeiten, das Geld aufzutreiben.
       
       Und dass man [2][über die Schuldenbremse] noch mal reden müsste, das sage
       er ja auch schon lange. Weil ist jetzt nicht unterwegs, um
       Grundsatzdebatten zu führen. Er ist unterwegs zu Projekten, bei denen man
       „Na bitte, geht doch“ sagen könnte. Und die eine vage Hoffnung keimen
       lassen, dass sich in diesem Land vielleicht doch viel mehr bewegt, als die
       öffentlichen Debatten vermuten lassen.
       
       ## Der Mann mit der Wärmepumpe
       
       [3][Christoph Kollenda empfängt den Ministerpräsidenten] samt Pressetross
       unter seinem Carport. Der Mann, das merkt man schnell, ist
       Überzeugungstäter – allerdings auch vom Fach. Bis zu seinem Ruhestand war
       er für Enercity, die hannoverschen Stadtwerke, tätig. Jetzt steht er hier,
       um eine Botschaft zu vermitteln: Wärmepumpen funktionieren auch für alte
       Häuser.
       
       Das hübsche Einfamilienhaus in Laatzen bei Hannover hat er 1995 gekauft, da
       war es aber schon zehn Jahre alt und mit Nachtspeicheröfen ausgestattet.
       Zwischendurch hat er zwanzig Jahre lang mit Gas geheizt und erst in diesem
       Jahr umgerüstet auf eine Wärmepumpe plus Kachelofen. Er kann sehr genau
       vorrechnen, warum sich das lohnt und es auch gar nicht so schwierig ist,
       wie viele sich das vorstellen.
       
       „Es gibt ja mittlerweile ein ziemlich gutes Beratungsangebot und die
       Handwerksfirmen nehmen einem auch viel ab – da muss man kein Experte sein.“
       Die Bundesförderung habe die Entscheidung erleichtert, weil die
       Investitionskosten auf diese Weise nicht mehr so weit über denen für eine
       neue Gasheizung gelegen hätten.
       
       „Aber ganz ehrlich: Wir hätten das auch so getan und finanzieren können“,
       sagt Kollenda. „Über diese Mitnahmeeffekte müsste man noch mal nachdenken.“
       Weil nickt: „Ich habe da ja auch von Anfang an für eine stärkere soziale
       Staffelung plädiert.“
       
       ## Kalte Nahwärme
       
       Neustadt am Rübenberge, ebenfalls im Speckgürtel Hannovers gelegen, ist
       einer von den Orten, wo Familien hinziehen, wenn sie aufs Land wollen und
       nach halbwegs finanzierbaren Baugrundstücken suchen. Möglicherweise führt
       das dazu, dass man hier Experimenten gegenüber aufgeschlossener ist, als
       man das Landgemeinden sonst so nachsagt.
       
       Im Neubaugebiet „Hüttengelände“ haben die vergleichsweise kleinen
       Stadtwerke jedenfalls ein Projekt gestemmt, auf das sie ziemlich stolz
       sind: [4][Ein sogenanntes „kaltes Nahwärmenetz“] soll am Ende die
       Wärmepumpen von 70 Einfamilienhäusern und 40 Mehrfamilienhäusern versorgen.
       Der erste Bauabschnitt steht schon und hat die ersten zwei Winter bereits
       überstanden.
       
       „Kalt“ heißt das Nahwärmenetz nur, weil es im Vergleich zu anderen
       Wärmenetzen mit viel niedrigeren Temperaturen arbeitet. In den Häusern ist
       es warm, davon darf sich Weil selbst überzeugen: Familie Flögel öffnet
       bereitwillig die Haustür und sieht auch gnädig darüber hinweg, dass der
       Ministerpräsident und die hinterhertrampelnden Journalisten kleine
       matschige Pfützen auf dem beheizten Fußboden hinterlassen.
       
       Der Kollektor, mit dem die Wärme aus dem Erdreich gezogen wird, liegt unter
       dem Regenrückhaltebecken und ist riesig: Rund 3.200 Quadratmeter nehmen die
       Rohre mit dem Wasser-Glykol-Gemisch in Anspruch, die hier in drei Meter
       Tiefe liegen.
       
       „Natürlich gab es am Anfang Skepsis“, sagt der junge grüne Bürgermeister
       Dominic Herbst. Aber wer hier bauen wollte, hatte nicht wirklich eine Wahl,
       darauf hatte man sich im Stadtrat geeinigt. Und als die Energiekrise kam,
       waren die meisten Familien ziemlich froh, keine Gasheizung zu haben. „Hier
       sind die Preise stabil geblieben“, sagt Herbst.
       
       Und noch etwas lässt sich hier lernen: Wer Neues einführen will, muss sich
       kümmern. „Am Anfang stand hier manchmal abends ein Mitarbeiter auf der
       Matte und wollte eine Störung beheben, die wir noch nicht einmal bemerkt
       hatten“, erklärt Annalena Flögel lachend.
       
       Die Enercity-Vorstandsvorsitzende Susanna Zapreva wird das Unternehmen zum
       Jahresende verlassen, aber – daran lässt sie keinen Zweifel – sie hat in
       den vergangenen acht Jahren einiges getan, um die behäbigen hannoverschen
       Stadtwerke auf Kurs zu bringen.
       
       ## Enercity macht Tempo
       
       Auf der Baustelle am alten Kohlekraftwerk in Hannover-Stöcken führt sie
       vor, wie der Energieversorger [5][sein Fernwärmenetzwerk auf
       Klimaneutralität zu trimmen] gedenkt.
       
       Ein Altholz-Kraftwerk und ein Biomethan-Blockheizkraftwerk werden hier
       gebaut, im Stadtgebiet sollen noch Geothermie, Großwärmepumpen und
       Industrieabwärme dazukommen – 14 Projekte sind es insgesamt. Dafür soll
       Ende 2024 der erste Block des Kohlekraftwerkes abgeschaltet werden, Ende
       2026 folgt Block 2.
       
       Auch in anderen Bereichen hat Enercity die Nase vorn: „Mit der Wärmeplanung
       haben wir schon 2017 angefangen“, sagt Zapreva stolz. Lange bevor der
       Gesetzgeber das nun vielen Kommunen zur Pflichtaufgabe gemacht hat.
       
       Und auch für die hakelige Zwischenzeit hat Enercity Lösungen entwickelt: Es
       gibt Vertragsmodelle, mit denen Kunden die Wärmepumpe mieten können und sie
       nicht selbst anschaffen müssen. Oder „Pop-up“-Heizungen für diejenigen, die
       noch auf den Anschluss ans Fernwärmenetz warten und für die es sich deshalb
       nicht lohnt, noch einmal in eine neue Gasheizung zu investieren, die dann
       wieder 15 Jahre laufen müsste.
       
       Die emotional aufgeladenen öffentlichen Debatten nimmt Zapreva gelassen:
       „Es wird immer Menschen geben, die sich mit Veränderungen schwerer tun als
       andere. Aber so sind Transformationsprozesse eben: Man muss eine Weile
       Chaos und Unordnung in Kauf nehmen, bevor wieder etwas Schönes entsteht.“
       
       Der Ministerpräsident ist da schon fast wieder auf dem Weg zum Bus. Zur
       letzten Station der Wärmewende-Reise an der neu zu bauenden Grundschule
       Mühlenberg, die künftig mit oberflächennaher Geothermie beheizt werden
       soll.
       
       „Wieder was gelernt“, wird er am Ende sagen. Bleibt nur zu hoffen, dass der
       Ministerpräsident damit nicht allein bleibt. Denn für eine echte Wärmewende
       braucht es im Land möglicherweise noch ein paar mehr Vorzeigeprojekte.
       
       1 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Karlsruhe-zu-Coronageldern/!5973523
 (DIR) [2] /Regierung-setzt-Schuldenbremse-aus/!5971537
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=DXdgnvNyVqw
 (DIR) [4] https://www.klimaschutz-niedersachsen.de/_downloads/FaktenpapiereLeitfaeden/LeifadeKommWaermeplanung/05l_2020-09-16_Leitfaden_KWaerme_Anlage-5l_Neustadt.pdf
 (DIR) [5] https://www.enercity.de/magazin/unsere-welt/kohleausstieg-stoecken-enercity
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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