# taz.de -- SPD-Rücktritt in Schleswig-Holstein: Fraktionschef Losse-Müller gibt auf
       
       > Schleswig-Holsteins SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller tritt zurück
       > und geht zur Stiftung Klimaneutralität. Wer auf ihn folgt, ist unklar.
       
 (IMG) Bild: Schluss mit Landespolitik: Mit Losse-Müller als Spitzenkandidat hatte die SPD die Wahl 2022 verloren
       
       RENDSBURG taz | Als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2022 führte Thomas
       Losse-Müller die schleswig-holsteinischen SPD in eine Niederlage.
       [1][Dennoch machte die geschrumpfte Landtagsfraktion ihn zu ihrem
       Vorsitzenden]. Nun erklärt Losse-Müller seinen Rückzug: Er geht von Kiel
       nach Berlin. Zurück bleibt eine Fraktion, die nicht nur ihren Vorsitz neu
       bestimmen, sondern auch eine Strategie für die Jahre bis zur nächsten
       Landtagswahl entwickeln muss.
       
       Es ging ums Ganze in Thomas Losse-Müllers letzter großer Rede im Kieler
       Landtag: Schleswig-Holstein müsse klimaneutral werden, die Frage sei nicht
       „ob, sondern wie“, rief der SPD-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführer
       den Regierungsparteien CDU und Grünen zu. Die würden sich vor einer Antwort
       drücken, die SPD liefere sie: Knapp zwölf Milliarden Euro würden bis 2030
       für die „Klima-Investitions-Bedarfe“ gebraucht.
       
       Finanzieren wollte Losse-Müller diesen Betrag über ein Sondervermögen
       namens „Transformationsfonds des Landes Schleswig-Holstein“. Begründen
       wollte er den Fonds mit der Notlage durch den Klimawandel – eine Idee, die
       vor ihm schon andere hatten und die dummerweise nicht mehr funktioniert:
       Wenige Tage vor der Kieler Parlamentsdebatte hatte das
       Bundesverfassungsgericht solche Sondervermögen für verfassungswidrig
       erklärt.
       
       So erinnerte Losse-Müller bei seiner Rede ein bisschen an einen Ritter, der
       mit vorgestreckter Turnierlanze und wehenden Fahnen heranstürmt, um dann am
       Gegner vorbei in die Kulissen zu krachen. „Ziehen Sie den Antrag zurück,
       das ist finanzpolitisches Harakiri“, hieß es von der CDU. Sympathie für die
       Inhalte gab es von den Grünen, aber auch die knappe Absage: „Es ist halt
       nicht rechtens, darum funktioniert es nicht.“ Die FPD, die neben SPD auf
       der Oppositionsbank sitzt, nannte den Plan „utopisch“.
       
       ## Viel gelernt
       
       Zwar sollen Ausschüsse weiter über den Antrag beraten, nur Thomas
       Losse-Müller wird nicht mehr dabei sein: Am 12. Dezember ist sein letzter
       Tag in der Fraktion, dann zieht er sich aus der Landespolitik zurück. Nach
       einer kurzen Abklingphase übernimmt er im April den Posten in einer
       bundesweiten Stiftung, teilt er mit.
       
       Er habe in den vergangenen Jahren „viel über meine Stärken und Schwächen
       gelernt“, schreibt Losse-Müller weiter. Der Lerneffekt bestand in der
       Erkenntnis, dass er nicht erneut für eine Landtagswahl antreten, sondern in
       „den Maschinenraum der Politik zurückzukehren und strategisch arbeiten“
       will.
       
       Konkret bedeutet das einen Posten in der „Stiftung Klimaneutralität“, wo er
       zum dritten Direktor neben Rainer Baake und Regine Günther wird, beides
       Grüne, die Regierungsposten auf Bundes- beziehungsweise Landesebene
       innehatten. Losse-Müller rückt damit seiner früheren politischen Heimat
       wieder näher: Er ist erst seit 2020 Mitglied der SPD, zuvor besaß er ein
       grünes Parteibuch und gehörte als Staatssekretär der rot-grünen Regierung
       in Schleswig-Holstein an.
       
       Das Bild des Maschinenraums benutzte Losse-Müller bereits 2021: Er kenne,
       [2][sagte er der taz, „sowohl die Politik als auch den Maschinenraum der
       Unternehmen“]. Es ist allerdings ein Maschinenraum, in dem Menschen in
       Kostümen und Anzügen an Schreibtischen über sehr viel Geld entscheiden:
       Losse-Müller, der 1973 in Schwerte im Ruhrgebiet geboren wurde und in Köln
       Volkswirtschaft und Politik studierte, arbeitete für die Deutsche Bank in
       London und für die Weltbank in Washington. Nach seiner Heirat kehrte er
       nach Frankfurt zurück.
       
       2012 bot ihm Monika Heinold (Grüne), damals wie heute Finanzministerin in
       Kiel, den Posten des Staatssekretärs an, um die Krise der Länderbank HSH zu
       bewältigen. Losse-Müller, heute Vater von zwei Töchtern, nahm das Angebot
       auch an, weil seine Frau Karen Losse aus Schleswig-Holstein stammt: „Hier
       ist jetzt unsere Heimat und wir wollen hier nicht wieder weg“, heißt es auf
       seiner Homepage.
       
       2014 wechselte er in die Staatskanzlei zum SPD-Ministerpräsidenten Torsten
       Albig. Als die CDU 2017 die Wahl gewann, wurde Losse-Müller Partner bei der
       Beratungsfirma EY, die später beim Wirecard-Betrug versagte.
       
       Losse-Müllers Kür zum SPD-Spitzenkandidaten kam überraschend – doch er trat
       durchaus selbstbewusst an: „Klimawandel, Demografie, Digitalisierung, also
       die Themen, auf die es ankommt – das sind Themen, für die ich im Land
       bekannt bin“, sagte er zu Beginn des Wahlkampfes.
       
       Doch Selbstwahrnehmung und die Stimmung im Land klafften auseinander:
       [3][Selbst SPD-Mitglieder erkannten den Spitzenkandidaten auf der Straße
       nicht]. Schließlich fuhr Losse-Müller in einem Wagen durch das Land, auf
       dessen Seiten sein Gesicht überlebensgroß prangte. Geholfen hat es nicht,
       die SPD erlitt bei der Landtagswahl im Mai 2022 eine Niederlage.
       
       Das will Losse-Müller sich offenbar kein zweites Mal antun: „Für die
       Zukunft der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein ist es wichtig, dass
       andere die Bühne des Landtages nutzen können“, heißt es in seiner
       Mitteilung. Er habe die Entscheidung, nach Berlin zu gehen, kurzfristig
       getroffen, sagte er dem NDR. „Es ist ein spannendes Angebot.“ Es mache ihn
       aber froh, dass die Fraktion vieles bewegt und viele Themen gesetzt habe.
       
       Dank kommt auch von Serpil Midyatli, die als SPD-Landeschefin die
       Entscheidung für Losse-Müller als Frontmann traf und ihm nach internen
       Debatten den Vorsitz der Fraktion überließ. Sie lobt Losse-Müller dafür,
       dass er die Fraktion neu aufgestellt und ihr ein „klares Profil“ gegeben
       habe. Er habe mit der Beschreibung, wie Klimaneutralität sozial gerecht
       erreicht werden könne, einen „absolut grundlegenden Baustein für die
       Zukunft des Landes“ gelegt.
       
       ## Wer kann Fraktionsvorsitz?
       
       Wer Losse-Müller als Fraktionschef*in folgt, ist unklar, die Entscheidung
       soll kommende Woche fallen. Midyatli ist als Landesvorsitzende das
       bekannteste Gesicht, aber Ehrgeiz wäre auch Sophia Schiebe zuzutrauen, die
       zwar neu im Landtag ist, aber eine lange Juso-Erfahrung hat und zurzeit
       stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist. Größen in der Fraktion sind auch
       der Bildungsexperte Martin Habersaat oder der Innenpolitiker Kai Dolgner,
       der zurzeit Parlamentarischer Geschäftsführer ist.
       
       Mit ungebetenem Rat mischt sich der ehemalige Landeschef und
       Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner ein: „Die entscheidende Frage ist nicht,
       wie schnell es jetzt entschieden wird, sondern wie gut“, sagte der heutige
       Bundestagsabgeordnete.
       
       Er wünscht sich auf dem Posten eine Person, die „anknüpft an die
       intellektuelle und konzeptionelle Stärke, die Losse-Müller eingebracht
       habe“ und gleichzeitig eine emotionale sozialdemokratische Orientierung im
       Neuanfang findet. Die SPD müsse „aus diesem tiefen Tal wieder herauskommen,
       in dem wir ja sind“. Stegner lobte Losse-Müller, der [4][mit einer sehr
       kleinen Landtagsfraktion] gegen eine Regierung mit Zwei-Drittel-Mehrheit
       antreten musste. „Dass er nicht der oppositionelle Kampfredner ist, das
       wusste man vorher.“
       
       6 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Landtagswahl-in-Schleswig-Holstein/!5852621
 (DIR) [2] /Losse-Mueller-ueber-SPD-Spitzenkandidatur/!5792697
 (DIR) [3] /Wahl-in-Schleswig-Holstein/!5849196
 (DIR) [4] https://www.spd-fraktion-sh.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) SPD Schleswig-Holstein
 (DIR) Landtagswahl Schleswig-Holstein
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Rücktritt
 (DIR) Thomas Losse-Müller
 (DIR) Ralf Stegner
 (DIR) SPD Schleswig-Holstein
 (DIR) Sozial-Ökologie
 (DIR) Sparmaßnahmen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) SPD-Fraktion in Schleswig-Holstein: Ein Neuanfang, der keiner ist
       
       Die Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein wählt Serpil Midyatlı zu ihrer
       neuen Vorsitzenden. Thomas Losse-Müller hatte seinen Rückzug verkündet.
       
 (DIR) Energiewende: Schleswig-Holstein geht der Saft aus
       
       Der Kieler Landesregierung droht die eigene Investitionspolitik um die
       Ohren zu fliegen. Nun hat der Landtag eine Haushaltsnotlage festgestellt.
       
 (DIR) Neue Denkfabrik für Klimaschutz: Nahverkehr statt E-Auto-Prämie
       
       Ein neuer parteiübergreifender Thinktank macht sich Gedanken, wie
       Klimaschutz für alle funktionieren kann. Denn derzeit klappt das nicht.
       
 (DIR) Schleswig-Holstein präsentiert Sparpläne: Weniger Personal, weniger Projekte
       
       Schleswig-Holsteins Ministerien legen Sparpläne vor. Am stärksten dämpfen
       will das schwarz-grüne Kabinett die Personalkosten.