# taz.de -- Wahl in Schleswig-Holstein: Wer ist denn dieser Losse-Müller?
       
       > Der geringe Bekanntheitsgrad ist eines der größten Probleme von Thomas
       > Losse-Müller, SPD-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein.
       
 (IMG) Bild: Klingeln, lächeln, Flyer überreichen: Thomas Losse-Müller
       
       Unter dem blauen Himmel leuchten die roten Fleecejacken des Paars auf dem
       Wanderweg wie die Fahnen zum 1. Mai. Neben Thomas Losse-Müller bleiben die
       beiden stehen: Das Fernglas, das an dessen Hals hängt, interessiert sie.
       Die Frage, ob sie wüssten, mit wem sie da fachsimpeln, verneinen beide.
       SPD-Spitzenkandidat? Will Ministerpräsident werden? „Ach, dann wähle ich
       Sie“, platzt die Frau heraus. Die 84-Jährige hat in den 1980er Jahren als
       Sekretärin in Helmut Schmidts Hamburger Büro gearbeitet, heute lebt sie in
       Schleswig. Zur Wahl wird sie gehen, klar, aber dieser Losse-Müller „ist mir
       noch nicht untergekommen“.
       
       Damit steht sie nicht allein: Sein geringer Bekanntheitsgrad ist eines der
       größten Probleme für Thomas Losse-Müller. In Umfragen kann nur rund ein
       Viertel der Befragten mit seinem Namen etwas anfangen. Gäbe es eine
       Direktwahl des Regierungschefs, würden nur 6 Prozent ihn, 11 Prozent die
       Grüne Monika Heinold und 65 Prozent den amtierenden Ministerpräsidenten
       Daniel Günther (CDU) wählen. „Ich bin eben Quereinsteiger“, sagt
       Losse-Müller.
       
       Quereinsteiger? Das klang vor einigen Monaten noch anders. Als
       Landesparteichefin Serpil Midyatli ihn im August 2021 – unerwartet für die
       Öffentlichkeit und auch viele Genoss*innen – als Spitzenkandidaten
       vorschlug, trat Losse-Müller breitbeinig auf: Seine Kandidatur sei „die
       beste Kombination aus Thema und Person“, [1][sagte er im taz-Interview].
       Ein Grund dafür: seine Erfahrung als Mitglied einer Regierung.
       
       2012 holte Finanzministerin Monika Heinold den Volkswirt, der in Köln und
       London studiert hat, nach Kiel. Losse-Müller war damals bei den Grünen
       aktiv, in Hessen saß er im Landesvorstand, in Washington – wo er mehrere
       Jahre für die Weltbank arbeitete – hatte er eine Grünen-Ortsgruppe
       gegründet. Heinold machte den Banker, der bei der Deutschen Gesellschaft
       für Internationale Zusammenarbeit ein Programm für afrikanische Staaten
       leitete, zum Staatssekretär. 2014 schlug ihm der SPD-Ministerpräsident
       Torsten Albig einen Wechsel in die Staatskanzlei vor. Bis zur Wahl 2017
       leitete Losse-Müller, immer noch mit Grünen-Parteibuch, den Stab des
       Ministerpräsidenten. Im politischen Kiel heißt es spöttisch, er habe sich
       manchmal als der wahre Herr im Haus gefühlt.
       
       ## Selbstbewusstes Interview
       
       Entsprechend selbstbewusst erklärte er im taz-Interview, warum er sich für
       den Richtigen für das Amt hielt: „Klimawandel, Demografie, Digitalisierung,
       also die Themen, auf die es in den nächsten Jahren ankommt – das sind
       Themen, für die ich im Land bekannt bin.“ Tatsächlich lief der Wahlkampf
       für Losse-Müller, der erst im Oktober 2020 sein rotes Parteibuch erhielt,
       gut an. Die Landes-SPD fühlte sich [2][nach der erfolgreichen
       Bundestagswahl im Aufwind], und im Parlament endeten viele SPD-Reden mit
       den Worten: „Wenn wir erst regieren …“ Mit 94 Prozent Ja-Stimmen
       bestätigten die Genoss*innen auf dem Landesparteitag Losse-Müllers
       Kandidatur.
       
       Doch die Umfrageergebnisse bleiben mies: Die Strahlkraft eines
       Staatskanzleichefs scheint geringer zu sein, als der Kandidat geglaubt hat.
       In den letzten Wochen vor der Wahl muss Losse-Müller daher noch richtig
       aufdrehen. Die SPD setzt überwiegend auf klassische Instrumente: Plakate,
       Flyer, eine Broschüre. Vor allem soll der Kandidat überall unterwegs sein;
       an diesem Tag in den Hüttener Bergen, einer hügeligen Landschaft im
       Zentrum von Schleswig-Holstein. „Mein Wohnzimmer“, nennt Losse-Müller die
       Gegend. Seine Frau Karen Losse stammt aus der Region, das Paar mit seinen
       zwei Töchtern wohnt in einem Dorf in der Nähe, und Losse-Müller tritt hier
       an – ausgerechnet gegen den Ministerpräsidenten Daniel Günther, der den
       Wahlkreis wohl mit Abstand gewinnen wird.
       
       ## Naturschutz als wichtigstes Thema
       
       Die Gruppe hält an einer Senke, Losse-Müller will darauf hinweisen, dass
       diese Fläche verloren wäre, wenn der Meeresspiegel stiege. Und er will
       Vögel gucken. Das Fernglas, das bereits das Pärchen in den roten Jacken
       bewunderte, wird auf ein Stativ gesetzt, dann beugt sich der 48-Jährige
       darüber. Seit mehreren Jahren betreibt er Ornithologie, ein Kollege bei der
       Weltbank habe ihn dazu gebracht, berichtet er. Eines Tages will er alle 250
       Vogelarten, die in Deutschland brüten, gesehen haben. „Ja, ein bisschen
       nerdig ist das“, gibt er zu. Aber das genaue Hinschauen sorge dafür, die
       Landschaft stärker wahrzunehmen.
       
       Natur- und Klimaschutz sind die wichtigsten Themen des Kandidaten, auch mit
       Blick auf seine Töchter: „Wir tun zu wenig.“ Allerdings betont der im
       Ruhrgebiet aufgewachsene Banker, dass „wir erst die Probleme der Leute
       lösen müssen, sonst folgen sie uns auch beim Klima nicht“. Das Ziel, das
       auch im Parteiprogramm steht: Schleswig-Holstein soll bis 2040 klimaneutral
       sein, „und zwar sozial abgesichert und industriepolitisch durchdacht“.
       Dabei setzt Losse-Müller auf mehr Planung durch das Land – so, wie er es in
       seiner Zeit in der Staatskanzlei versucht hatte.
       
       ## „80 Prozent haben mich erkannt!“
       
       „Gerade mit Blick auf den furchtbaren Krieg in der Ukraine wird deutlich,
       wie bitter es ist, dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren im Land fünf Jahre
       verloren haben. Jedes Windrad und jedes Solarpanel bringt uns [3][der
       Unabhängigkeit von russischem Gas] näher.“ Die CDU habe Zeit verloren, und
       die Grünen hätten dabei zugesehen, sagt Losse-Müller, zum ersten Mal
       merklich zornig auf seine frühere Partei.
       
       Für ihn ist klar: Ob es um den Ausbau von Ladestationen für E-Autos gehe,
       um gemeindeübergreifende Baugebiete, Krankenhausplanung oder den Bau neuer
       Windräder: „Wir brauchen mehr Planung und landesweite Strukturen“, sagt er.
       Ja, für einige dieser Themen seien die Kommunen zuständig, „aber wenn man
       mit Bürgermeistern spricht, lehnt keiner eine Zusammenarbeit ab, die
       meisten sind froh über so einen Vorschlag“.
       
       Am Ende der Wanderung liegt der Ort Fleckeby. Mitglieder des
       SPD-Ortsverbands begleiten Losse-Müller beim Haustürwahlkampf. Klingeln,
       lächeln, Flyer überreichen – es ist eine Methode, in sehr kurzer Zeit viele
       Menschen zu erreichen. Nach der Tour kommt der Kandidat fast euphorisch am
       Gemeindehaus an: „80 Prozent haben mich erkannt!“
       
       7 May 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
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