# taz.de -- SPD nach Bundestagswahl: Wieder oben auf
       
       > Die Sozialdemokraten sind wiederauferstanden. Zu verdanken haben sie das
       > nicht nur Olaf Scholz, sondern auch der neuen Einmütigkeit.
       
 (IMG) Bild: Hat seiner Partei wieder Selbstbewusstsein gegeben: Olaf Scholz
       
       BERLIN taz | Die SPD ist wieder da. Sie liegt am Sonntagabend um 19 Uhr auf
       Augenhöhe mit der Union – zum ersten Mal seit 19 Jahren. Um 20 Uhr liegt
       die SPD 1 Prozent vor der Union. Fast alle hatten sie die Partei
       abgeschrieben. Ein Auslaufmodell in der Dauerkrise, dazu die miesen
       Umfragen. SPD-Mann Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein fällt dazu ein Zitat
       von Mark Twain ein: „Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben.“
       Arbeitsminister Hubertus Heil nennt das Ergebnis einen „grandiosen Erfolg“.
       
       18 Uhr, Willy-Brandt-Haus. Der Jubel, wenn die Zahlen der Prognosen kommen,
       ist ein Ritual. Im Atrium der Parteizentrale sind mehr Medienvertreter
       versammelt als GenossInnen. Die SPD-MitarbeiterInnen jubeln auf den
       Balustraden der sechs Etagen – dreimal. Denn die SPD liegt laut Prognose in
       Berlin, Schwerin und in der Republik vorne. Der Erfolg gehört Olaf Scholz,
       aber auch der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus. Der Parteispitze von
       Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die einen offeneren Führungsstil
       etablierten. Generalsekretär Lars Klingbeil hat die effektvolle Kampagne
       inszeniert.
       
       Die SPD-Zentrale war lange Zeit als Haus verschrien, in dem Bürokratie,
       Missgunst und interne Kämpfe vorherrschen. Auch das wird vom Jubel
       verdrängt. Nur als erste Projektionen zeigen, dass Rot-Grün-Rot im
       Bundestag keine Mehrheit hätte, hört man ein paar leise Seufzer.
       
       Olaf Scholz & Friends haben damit ihr erstes Wahlziel erreicht. Der Versuch
       der Grünen, die SPD als Volkspartei der linken Mitte abzulösen, ist
       kläglich gescheitert. Rot schlägt Grün, und das um Längen.
       
       Im Wahlkampf, in dem SPD und Grüne am Ende wieder auf einer Wellenlänge
       funkten, hat dieser Streit keine große Rolle gespielt – innerhalb der SPD
       sehr wohl. Für die SPD wäre es ein fatales Zeichen des Niedergangs gewesen,
       nur noch dritte Kraft zu sein. Die Stimmung in der Partei war jahrelang
       trübe. Jetzt ist alles anders. Und ausgerechnet der enthusiasmusfreie
       Kanzlerkandidat Olaf Scholz beflügelt diesen Enthusiasmus.
       
       ## In begräbnistauglichen Anzügen
       
       Um 19 Uhr steht Olaf Scholz auf der Bühne im Atrium des
       Willy-Brandt-Hauses. Er spricht kurz nach Armin Laschet, der seinen
       Machtanspruch bereits kund getan hat. Neben Scholz steht seine Frau Britta
       Ernst, Ministerin Brandenburg. Außen Saskia Esken und Norbert
       Walter-Borjans, die Parteispitze. Alle in dunklen, begräbnistauglichen
       Anzügen. Dabei gibt es doch Grund zur Freude, vielleicht sogar zu mehr.
       „Die Leute haben SPD gewählt, weil sie wollen, dass der nächste Kanzler
       Olaf Scholz heißt“, sagt der. Dass er von sich selbst in der dritten Person
       redet, ist das schon ein Zeichen von Hybris? Als er den letzten Satz seiner
       knappen Rede beginnen will, brandet Applaus auf. Es gibt sogar „Olaf,
       Olaf“-Sprechchöre. Der Kanzlerkandidat wirkt da fast verschämt.
       
       Warum dieser Erfolg? „Die Union hat SPD gespielt, die SPD Union“, sagt
       Stegner knapp und zutreffend im Rückblick. Die Union bekriegte sich im
       Wahlkampf auf offener Bühne. Die SPD wirkte nicht nur gezwungenermaßen
       wegen des Wahlkampfs geschlossen, sondern mit sich selbst versöhnt. Das ist
       ein ungewöhnlicher Zustand für eine Partei, deren Grundmodus es ist, an
       sich selbst zu leiden.
       
       Die Harmonie hat Gründe, die paradox zu sein scheinen. Einer ist eine
       Niederlage von Scholz. Die Parteibasis wählte 2019 nicht ihn zum
       Parteichef, sondern Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die als links
       galten. Der öffentliche Spott für Scholz – nicht gut genug für SPD-Vorsitz,
       aber Kanzler werden wollen – blieb nicht aus, verfehlte aber seine Wirkung.
       Denn Scholz, ein autoritärer Politiker, gab sich nach der Niederlage
       bescheidener und verbindlich. Aus seinem Lager hörte man kaum Kritik an der
       neuen Parteispitze. Scholz, Walter-Borjans und Esken stimmten sich oft bis
       in die Formulierungen ab.
       
       Die linke Parteiführung, vor allem Parteivize Kevin Kühnert, absolvierten
       in der GroKo einen Crash-Kurs in Anpassung und Realpolitik. Der Flügelkampf
       ist beendet. Die Basis hatte mit der Wahl ihrem Frust über die GroKo Luft
       gemacht. All das zusammen war die Basis für den Konsens. Kühnert klingt
       seitdem immer mehr wie sein früherer Antipode Scholz. Der hatte schon nach
       der Niederlage 2017 den Mindestlohn von 12 Euro als Thema entdeckt.
       Nebenbei versöhnte sich die SPD in Sachen Agenda mit sich selbst. Dass
       ausgerechnet der Agenda-Politiker Scholz davon profitiert, ist noch eine
       dialektische Volte.
       
       ## Wird Scholz durchregieren?
       
       Jetzt versöhnt der Erfolg. Bleibt das so? Oder wird Scholz jetzt in der SPD
       durchregieren? Die SPD-Intellektuelle Gesine Schwan warnte bereits vorab in
       der taz: „Wenn Scholz sogar die Union besiegt, ist die Gefahr da, dass er
       sagt: Ich hatte recht, ihr folgt mir jetzt.“ Damit wäre das Ende des
       parteiinternen Honeymoons in Sicht. Denn auch wenn der famose Erfolg jetzt
       erst mal alle Risse überdeckt – die SPD ist 2021 keine Partei mehr, die
       man, wie es Schröder, Müntefering und auch Scholz vor 20 Jahren taten, mit
       zackigen Machtworten zur Raison bringt.
       
       Die neue Fraktion wird zudem eine Wundertüte. Die Jusos, seit Kühnerts Coup
       Teil der Machtelite, werden bestimmender. Die Fraktion wird wohl jünger.
       Die gemäßigten Linken hoffen, dass Scholz die Lektion von 2019 wirklich
       gelernt hat und seinen integrativen Stil fortführt.
       
       Der Kanzlerkandidat beteuerte bislang, dass die Parteispitze bleiben werde.
       Manche in der Partei mäkeln, dass von dem Duo inhaltlich zu wenig kam. Dass
       Walter-Borjans kein Bundestagsmandat anstrebt, kann man als Zeichen lesen,
       dass der Ehrgeiz des früheren nordrhein-westfälischen Finanzministers
       beschränkt ist.
       
       Fedor Ruhose (39) ist Staatssekretär in Rheinland-Pfalz. Er hat zusammen
       mit dem Politikwissenschaftler Gerd Mielke ein gescheites Buch über die SPD
       veröffentlicht. „Zwischen Selbstaufgabe und Selbstfindung“. Eine Kernthese:
       Die SPD hat mit der Agenda-Politik ihr Selbstverständnis zerstört. Das
       Agenda -Trauma habe sie zwar einigermaßen kuriert. Aber der Prozess ist
       noch lange nicht zu Ende.
       
       In vielen Leitmedien wird suggeriert dass dieser Sieg nur auf das Konto von
       Scholz geht. So ist es nicht. „Dass die SPD wieder da ist, liegt nicht nur
       an Olaf Scholz. Die Leute haben auch eine sozialdemokratische Agenda
       gewählt“, so Ruhose. Die SPD muss, falls sie eine Regierung bilden kann,
       liefern. Bei Gesundheit und Pflege müssten „spürbare Schritte zu einer
       solidarischeren Finanzierung“ unternommen werden, auch beim Abschied von
       Hartz IV und bezahlbarem Wohnen“, sagt Ruhose. Die Leute, so sagen es
       manche in der SPD, trauen uns bei sozialer Gerechtigkeit wieder etwas zu.
       Das dürfe man nicht enttäuschen. Nicht schon wieder. „Wenn wir regieren,
       müssen wir das anders machen als 1998“, sagt Ruhose.
       
       ## Der Weg ins Kanzleramt ist noch weit
       
       SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil findet: „Olaf Scholz soll Kanzler
       werden.“ Die Partei habe sich zurückgekämpft. Die Union habe die Wahl
       verloren und „gehört in die Opposition“, sagt SPD-Parteivize Serpil
       Midyatli. Es sind die immer gleichen Worte und Stereotype. Kampf, Sieg,
       Ansprüche formulieren. Aber diese Wahl ist für die SPD anders. Es stimmt
       ja: Es ist eine Rückkehr gegen alle Trends. Die MitarbeiterInnen des
       Willy-Brandt-Hauses auf den Emporen bejubeln den Generalsekretär. Ganz oben
       steht Heiko Maas, SPD-Außenminister, der seinen Job wohl auch los wird,
       wenn sich Klingbeils Prognose erfüllen sollte.
       
       Eigentlich ist ja nichts klar an diesem Abend. Olaf Scholz will Kanzler
       werden, Armin Laschet auch. Das nächste Kapitel beginnt. Alles ist offen.
       Scholz muss komplexe Deals machen, mit der FDP, die in Nebel hüllt, was sie
       will. Scholz ist ein geschickter, erfahrener Verhandler. Und dass die SPD
       überhaupt Chancen auf das Kanzleramt hat, erscheint, wenn man sich die Lage
       vor acht Wochen vergegenwärtigt, wie ein Traum.
       
       26 Sep 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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