# taz.de -- Der Ruf des Rums
       
       > Auch wenn es nicht direkt am Sklavenhandel beteiligt war, wurde Flensburg
       > doch erst reich durch seine Mitwirkung an der Ausplünderung der dänischen
       > Kolonien
       
       Von Frank Keil
       
       Steht man auf dem Flensburger Museumsberg, hat man einen weiten Blick: erst
       über die Stadt mit ihren Stadthäusern und Kirchen, dann über die Förde, wo
       die Schiffe kreuzen. Schaut man landeinwärts, folgt der weitläufige
       Christiansenpark, zum Herbst frisch auf Vordermann gebracht, ein begehbares
       Dokument der europäischen Kolonialzeit. Denn Flensburg, Deutschlands
       nördlichste Stadt, die in den vergangenen Jahren im Städte-Ranking immer
       weiter nach oben klettern konnte, verdankt seinen soliden Wohlstand der
       dänischen Kolonialepoche.
       
       Lange – vom 13. Jahrhundert an – wird die Stadt bis auf eine kürzere
       Unterbrechung dänisch regiert. Das ändert sich erst ab 1864 nach zwei dicht
       aufeinander folgenden preußisch-dänischen Kriegen. Gut 2.000 Soldaten
       beider Lager sind auf einer Grabanlage des Museumsberges beerdigt.
       
       Dänemark seinerseits wird Mitte des 17. Jahrhunderts Kolonialmacht. Es
       errichtet an der westafrikanischen Küste mehrere Festungen und ist nun
       Akteur im Dreieckshandel. Kauft und verkauft Sklaven, erwirbt schließlich
       ab 1666 nacheinander mit St. Croix, St. John und St. Thomas drei
       Karibik-Inseln: das damalige Dänisch-Westindien, die heutigen Virgin
       Islands, 1917 von Dänemark an die USA weiterverkauft, ohne die
       BewohnerInnen je zu fragen.
       
       Die damals neuen Besitzer lassen die vorhandenen Mahagoni-Wälder
       großflächig roden und stattdessen Plantagen anlegen: für Kaffee und Kakao,
       auch für Baumwolle, aber vor allem für Zuckerrohr. Die Arbeit haben Sklaven
       zu leisten: 100.000 AfrikanerInnen – so heutige Schätzungen – werden nach
       und nach auf die Inseln verschleppt. Tausende überleben die Überfahrt
       nicht. Drakonische Strafen sollen jeden Widerstand brechen, dennoch kommt
       es immer wieder zu lokalen Rebellionen, die brutal niedergeschlagen werden.
       
       1755 kommt Flensburg ins Spiel, nach Kopenhagen und Altona bei Hamburg die
       damals drittgrößte dänische Stadt. Seine Kaufmannschaft erhält das Recht,
       sich am Handel mit den dänischen Karibikinseln zu beteiligen, bleibt aber
       zugleich vom direkten Sklavenhandel ausgeschlossen, den man allein
       Kopenhagen vorbehält.
       
       ## Rum für den Ostseeraum
       
       Es lässt sich auch so genug Geld verdienen. Regelmäßig laufen nun
       Flensburger Handelsschiffe die Inseln an, bringen Rohrzucker, Zuckermelasse
       und auch Roh-Rum zurück an die Förde, wo diese Produkte vor allem zu
       hochprozentigem Rum weiterverarbeitet werden. Bald versorgen die in der
       ganzen Stadt verteilten Siedereien und Rumhäuser den gesamten Ostseeraum
       bis hoch nach Nordeuropa mit dem Zuckerrohrschnaps, seitdem gilt Flensburg
       als die Rumstadt.
       
       Dazu kommen wachsende Gewinne mit den so genannten Kolonialwaren. Auch auf
       den Hinfahrten sind die Schiffe nicht leer: Sie transportieren vornehmlich
       Baumaterialien, besonders Ziegel, die in den Ziegeleien entlang der Förde
       gebrannt werden und die so helfen, vor Ort das Kolonialsystem wortwörtlich
       zu befestigen, woran sich ebenfalls gut verdienen lässt.
       
       Einer der führenden Flensburger Kaufleute jener Tage ist Andreas
       Christiansen senior. Er ist am Ende seines Lebens nicht nur zum Kaufmann
       und Besitzer mehrerer Werften aufgestiegen, sondern auch Schiffseigner, und
       selbstverständlich gehört ihm eine Zuckerraffinerie.
       
       Christiansen reist selbst in die Karibik, das erste Mal 1766, da ist er 23
       Jahre alt und noch Angestellter des Flensburger Handelshauses Feddersen.
       Fünf weitere Fahrten folgen, er wird jeweils länger vor Ort bleiben, und es
       ist davon auszugehen, dass er mindestens mitbekommen hat, unter welch
       elenden Arbeitsbedingungen die hierher verschleppten AfrikanerInnen
       arbeiten mussten: Bei seiner ersten Ankunft auf St. Croix sollen sich
       allein dort 15.000 versklavte Menschen befunden haben.
       
       Christiansen handelt bald nicht nur im Interesse seines eigenen
       Handelshauses, sondern ist darüber hinaus Bevollmächtigter der Flensburger
       Kaufmannschaft, die zuletzt auf St. Thomas eine eigene Handelsniederlassung
       führt. Auch vertritt er zeitweise die Interessen des früheren Altonaer
       Kaufmanns Heinrich Carl von Schimmelmann, der am dänischen Hof die Funktion
       eines Finanzministers innehat, der zugleich Dänemarks größter
       Sklavenhändler ist und der selbst auf St. Croix vier Plantagen besitzt.
       Schimmelmanns Wahlspruch: „Man muss als Kaufmann auf alles spekulieren“,
       dürfte auch für Andreas Christiansen senior gegolten haben.
       
       Sohn Andreas Christiansen Junior baut auf dem väterlichen Imperium auf.
       Mehr noch als sein Vater investiert er einen Teil seines Vermögens in die
       Rolle des bürgerlichen Wohltäters. Er spendet und stiftet, lässt etwa Teile
       des heutigen Museumsbergs in einen Englischen Garten umwandeln, in dem das
       Flensburger Bürgertum lustwandelt, das in der Unterstadt in imposanten
       Stadthäusern wohnt: den Christiansenpark.
       
       ## Als goldene Epoche verklärt
       
       In der Stadthistorie wird diese Phase lange als eine goldene Epoche
       verklärt, ohne dass Fragen gestellt werden, wie genau es zu jenem Reichtum
       kam und wer dafür bezahlen musste.
       
       Noch 1984, als Flensburg sein 700-jähriges Stadtjubiläum feiert, heißt es
       begleitend in einer Broschüre: „Als aber 1755 die Westindienfahrt
       freigegeben wurde, ergriffen kapitalstarke und wagemutige Kaufherren die
       Gelegenheit und schickten kontinuierlich ihre Schiffe auf die weite und
       risikoreiche Fahrt, um Zucker, Rum, Kaffee, Tabak, Baumwolle, Färb- und
       Edelhölzer zu holen.“ So, als hätte das alles seinerzeit einfach nur
       herumgelegen, damit man es mitnehmen konnte.
       
       Eine Wende leitet der spätere Direktor des örtlichen Schifffahrtsmuseum
       Thomas Overdick ein, der 2017/18 mit der Sonderausstellung „Rum, Schweiß
       und Tränen – Flensburgs koloniales Erbe“ ebendieses zum Thema macht.
       Später, nicht mehr im Dienst der Stadt, wird Overdick leicht belustigt von
       einem Anruf des damaligen Flensburger Oberbürgermeisters im Vorfeld der
       geplanten Ausstellung berichten: ob diese denn ausgewogen und nicht zu
       einseitig sei, will der wissen.
       
       Seitdem wird die Kolonialzeit in Flensburg nicht mehr verschwiegen, aber so
       recht mit Herzblut ist die Stadt mit der Erforschung ihrer Vergangenheit
       nicht dabei.
       
       Eine Initiative für einen Ort des Gedenkens an die einst Versklavten
       verlief im Sande, unbekümmert feiern stattdessen Schiffsprofis wie
       -amateure die jährliche Rum-Regatta auf der Förde, gehören feucht-fröhliche
       Rum-Touren zum touristischen Tagesprogramm.
       
       Am fassbarsten wird über die Geschichte weiterhin im Schifffahrtsmuseum
       berichtet, nun auf einer eigenen Etage. Das Museum selbst ist im ehemals
       königlich-dänischen Zolllager untergekommen, in dessen Kellergewölbe sich
       einst die Rumfässer stapelten.
       
       25 Nov 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Keil
       
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