# taz.de -- Missbrauch in Kolumbien: Recherche im klerikalen Sumpf
       
       > Juan Pablo Barrientos deckt Missbrauch in der katholischen Kirche
       > Kolumbiens auf. Dafür erhielt er den Press Freedom Award von Reporter
       > ohne Grenzen.
       
 (IMG) Bild: Juan Pablo Barrientos 2019 in Medellin
       
       Für Juan Pablo Barrientos ist der Preis für die Pressefreiheit, den er am
       28. November in Brüssel von Reporter ohne Grenzen in der Kategorie
       „Wirkung“ erhielt, Ansporn, weiterzumachen. „Ich freue mich über die
       Anerkennung unserer Recherchen. Bisher haben wir die Namen von 573
       Priestern zusammengetragen, dank der Aussagen von Opfern und Angehörigen.“
       Doch das sei nur die Spitze des Eisbergs. Bisher hat das Rechercheteam um
       Barrientos nur 13 Prozent der katholischen Archive sichten können. „Es geht
       also weiter“, erklärt Barrientos aus Paris. Er hat seine Reise nach Brüssel
       zur Preisverleihung zu einem Abstecher nach Paris genutzt, von wo er in
       wenigen Tagen zurück nach Bogotá reisen wird.
       
       Dort lebt der 41-jährige Journalist, der für [1][das Onlineportal Casa
       Macondo] gemeinsam mit einem Dutzend Kollegen arbeitet. Menschenrechte und
       Korruption sind die beiden zentralen Themen, denen sich Casa Macondo
       verschrieben hat. Diese Themen waren auch der Grund, weshalb Barrientos von
       Beginn an dabei war. Kontinuierlich an bestimmten Themen arbeiten, immer
       wieder insistieren, Einsicht in Archive einklagen und die Akten auswerten,
       das ist die Spezialität des Mannes, der als Halbwüchsiger davon träumte,
       selbst Priester zu werden.
       
       Zweimal wurde er aus dem Seminar geworfen, weil er unbequeme Fragen
       stellte, mitbekam, wie Seminaristen in den Zellen von Priestern
       verschwanden, und nachfragte.
       
       Daran erinnerte sich Barrientos erst wieder, als er vor rund sechs Jahren
       [2][„Spotlight“ sah], den oscarprämierten Spielfilm über sexuellen
       Missbrauch in der katholischen Kirche von Boston. „Gebannt habe ich damals
       im Kinosessel den Abspann verschlungen, und als das Wort Medellín über die
       Leinwand flimmerte, wusste ich, dazu wirst du recherchieren“, erinnert sich
       der 41-jährige.
       
       Seitdem dreht sich das Gros der Arbeit des zuvorkommend und zurückhaltend
       auftretenden investigativen Journalisten um Missbrauchsfälle in der
       katholischen Kirche Kolumbiens.
       
       Die hat er ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Mit seinem 2019
       erschienenen Buch „Lasset die Kinder zu mir kommen“, in dem er sexuellen
       Missbrauch durch 26 katholische Priester aufzeigt.
       
       Das Buch war der Auftakt für eine ganze Serie von Artikeln und
       Radiobeiträgen zum Thema, die die Gesellschaft mit einem Verbrechen
       konfrontierten, das bis dahin in Kolumbien in der medialen Wahrnehmung
       keine Rolle spielte. „Das einzige Land Lateinamerikas, das damals
       Ermittlungen bereits aufgenommen hatte, [3][war Chile]: Sieben Bischöfe
       wurden 2018 von Papst Franziskus sanktioniert“, erklärt Barrientos.
       
       In Kolumbien war sexueller Missbrauch durch den Klerus kein Thema. Ein
       potenzieller Grund dafür ist für Barrientos das Überangebot an Themen in
       einem [4][von vielen Konflikten geprägten] Land, in dem die katholische
       Kirche über viel Einfluss verfügt.
       
       Trotzdem nahm Barrientos die Recherche auf, pflegt den Kontakt zu Opfern,
       die sich dem Mann, der zuhören kann, anvertrauten. So entstanden und
       entstehen immer wieder Beiträge über den Missbrauch innerhalb der
       klerikalen Strukturen Kolumbiens, und längst ist das Thema im Zentrum der
       Gesellschaft angekommen.
       
       Das Verfassungsgericht hat in zwei Urteilen 2020 und 2022 die Kirche
       verpflichtet, den Journalisten um Juan Pablo Barrientos Zugang zu den
       kirchlichen geheimen Archiven zu gewähren. Eine Zäsur, denn in Kolumbien,
       genauso wie in vielen anderen Ländern der Region, hielten immer wieder
       Bischöfe die Hand über Päderasten in der Soutane.
       
       Barrientos wurde 2019 und 2020 vor allen in den sozialen Netzwerken
       angefeindet, bedroht und schloss schließlich seine Accounts – bis er
       zwischen August und November 2022 in Berlin einen Kurs [5][zur digitalen
       Sicherheit] bei Reporter ohne Grenzen belegt. „Seitdem fühle ich mich
       wieder sicherer in den sozialen Netzen“, erklärt Barrientos, der nach
       seiner Rückkehr nach Kolumbien hofft, Zugang zu weiteren Archiven der
       Kirche zu bekommen. Dabei könnte die Auszeichnung von Reporter ohne
       Grenzen, über die zahlreiche kolumbianische Medien berichteten, durchaus
       helfen.
       
       11 Dec 2023
       
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