# taz.de -- kritisch gesehen: rebecca ackroyds installationskunst in der kestner gesellschaft hannover: Blut, florale Muster und andere Gräuel des Alltags
       
       Die großen, ebenso magischen wie exakten Pastellzeichnungen von metallisch
       grauen Turbinen, zu sehen im Erdgeschoss-Saal der Kestner Gesellschaft
       Hannover, ziehen sofort in ihren Bann. Sie stammen von der britischen
       Künstlerin Rebecca Ackroyd, 1987 in Cheltenham geboren und mittlerweile
       zwischen London und Berlin pendelnd.
       
       Das niedersächsische Haus richtet ihr gerade die erste institutionelle
       Einzelausstellung in Deutschland aus, und die Turbinen mögen Ackroyds
       argwöhnischem Blick aufs windkraftverliebte Norddeutschland geschuldet
       sein: Beim Vorbeifahren an einem Windpark ergriff die Britin die ängstliche
       Frage, wie es sich wohl anfühlen müsste, wenn sie auf einem der
       Rotorblätter festgeschnallt wäre, also Teil der Maschine würde. Sie
       recherchierte im Netz, stieß auf Diskussionsforen voller Spekulationen zum
       Thema: Offenbar berühren die allgegenwärtigen Aggregate durchaus tiefere
       Schichten des Seelenlebens. Ackroyd verfremdet ihre Zeichnungen mit
       Tagesangaben oder Zahlen in einzelnen Segmenten, die an die Medikation von
       Verhütungsmitteln erinnern sollen, ohne aber das Beunruhigungspotenzial zu
       bändigen. Auch der weibliche Zyklus hält, wie der endliche Lebenszyklus im
       Allgemeinen, kaum Tröstliches parat.
       
       Auch andere Alltagsphänomene lotet Ackroyd in ihren Abgründen aus. Da wären
       etwa Uhren, vornehmlich im zweiten Ausstellungsteil im Obergeschoss zu
       finden: stehen geblieben, natürlich, oder von einer Hand angehalten. Oder
       der dunkle, aufgeklappte Schrank: eine weibliche Halbfigur, aus Kunstharz
       gegossen und mit naturalistischer Perücke bestückt, lugt aus ihm hervor,
       eine Kamera, bereit zum Schnappschuss, in der Hand. „Grateful for the
       opportunity“ – dankbar für die Gelegenheit – so der Titel, mag diese Arbeit
       in voyeuristische Untiefen unserer Psyche verweisen wollen. Und überall
       diese technischen Gewindestangen, die den Frauentorso gefühlskalt in den
       Schrank verankern, die Hand in die Standuhr oder die einfach die Höhe des
       Obergeschosses durchmessen.
       
       Angesichts solcher Themen und Kunstgriffe dürfen die Besucher:innen
       keine landläufig schöne Ausstellung von Rebecca Ackroyd erwarten. In
       Hälften zerfetzte weiße Liegesofas, wie blutrünstig ausgerissene Beine aus
       Kunstharz, übergroße, beängstigende Pastellzeichnungen von geschlossenen
       oder offenen Augen. Die Hannoversche Lokalpresse dachte spontan an
       Hinterlassenschaften einer ausgiebigen Halloween-Party. Da tröstet auch
       kein roter Teppichboden im Erdgeschoss. Soll er einen letzten Rest
       Feierlichkeit verströmen – oder doch eher an ein Blutbad erinnern?
       
       Im Obergeschoss breitet sich sein Gegenstück in grauenvoll floraler
       Musterung wie optischer Müll im gesamten Raum aus. Unübersehbar: Rebecca
       Ackroyd will surrealistische Bilder einer fragmentierten Realität
       auffahren. Das gelingt ihr perfekt in einem Kuriositätenkabinett weiblicher
       Fantasie, oszillierend zwischen Drama, Fruchtbarkeitsbeschwörung und
       allerlei Psychopathologischem. Bettina Maria Brosowsky
       
       Ausstellung „Period Drama“, Rebecca Ackroyd, Kestner Gesellschaft Hannover.
       Bis 18. 2.
       
       4 Dec 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
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