# taz.de -- Ukrainischer Soldat über den Krieg: „Ich kann an nichts anderes denken“
       
       > Als Russland die Ukraine angriff, meldete Volodimyr Dubyna sich für die
       > Armee, wurde verwundet und kam nach Hamburg. Ein Gespräch über Krieg und
       > Reue.
       
 (IMG) Bild: Gesundheit, Heimat und Familie verloren: Volodimyr Dubyna, Soldat aus der Ukraine, ist in Hamburg gestrandet
       
       taz: Herr Dubyna, erinnern Sie sich noch daran, wie Sie das Jahresende 2021
       verbracht haben? 
       
       Ja, es war das letzte Weihnachten und Neujahr vor dem Krieg. Ich war in
       Dnipro bei meiner Frau und meinen beiden Kindern. Damals waren sie noch
       acht und drei Jahre alt. Wir sind Schlittschuhlaufen gegangen und haben gut
       gegessen. Es lag sehr viel Schnee. Wunderschön!
       
       Knapp zwei Monate später hat Russland seinen erweiterten Angriffskrieg
       gegen die Ukraine begonnen. 
       
       Als der Krieg ausbrach, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich hätte
       am nächsten Tag eigentlich eine Geschäftsreise nach Kyiv machen müssen,
       aber habe sie spontan abgesagt und mich stattdessen [1][als Freiwilliger
       für die Armee gemeldet]. Am Anfang habe ich in Dnipro geholfen, Checkpoints
       zur Sicherung von Straßen und einem Damm aufzubauen. Nach kurzer Zeit habe
       ich die Nachricht erhalten, mich einer Einheit anschließen zu können, die
       neu gegründet wurde. Wir wurden für ein einmonatiges Training nach
       Tscherkassy geschickt. Danach wurden wir sofort an der Nulllinie zwischen
       Dnipro und Saporischschja stationiert, also direkt an der vordersten Front.
       Das war im April 2022.
       
       Wie liefen Ihre Tage dort ab? 
       
       Es gab klare Abläufe und Aufgaben. Ich kann mich an sehr wenig Schlaf und
       sehr großen Hunger erinnern. Wir haben gezielt versucht, Witze über die
       Situation zu machen und sarkastisch zu sein, um es irgendwie zu ertragen.
       Wenn wir den Hunger nicht mehr ausgehalten haben, haben wir manchmal einen
       Hasen oder einen Fasan erlegt, und dann ein „Picknick“ gemacht. Ich habe
       viele Leichen gesehen. Wir durften sie nie anfassen, weil es sein konnte,
       dass sie vermint waren.
       
       Dann kam der Tag, an dem Sie selbst schwer verletzt wurden. Erinnern Sie
       sich noch daran? 
       
       Ja, ich erinnere mich noch gut. Wir sind morgens zusammen von unserem Lager
       an die Front gefahren. Dort waren schon sehr heftige Kämpfe im Gange. Ich
       hatte eine spezielle Rolle, weil wir eine Waffe hatten, um Panzer zu
       zerstören. Um sie so präzise wie möglich einsetzen zu können, habe ich mit
       meinem Kommandeur abgesprochen, mit zwei Kameraden weit nach vorne in die
       Nähe der Panzer zu gehen. Auch wenn wir in einem Schützengraben waren,
       waren wir dort sehr exponiert. Wir wurden von einer Rakete getroffen. Mein
       einer Kamerad ist sofort gestorben, mein anderer hat sein Bein verloren.
       Ich habe alles bei vollem Bewusstsein erlebt und erst gar nicht bemerkt,
       dass auch ich schwer getroffen wurde. Ich habe keinen Schmerz gespürt und
       bin sogar noch zur Seite gekrochen. Dann habe ich gesehen, dass mein Arm
       nach hinten hing und überall Blut war. Mein gesamter Körper war voll mit
       Eisensplittern.
       
       Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf? 
       
       Wer sagt, dass er im Krieg keine Angst hat, lügt. Aber trotzdem hatte ich
       positive Gedanken und habe darauf vertraut, dass ich rauskommen würde. Ich
       habe weiter Raketen gehört. Irgendwann erkennst du am Klang, ob es
       russische oder ukrainische sind. Und ich habe gehört, wie mehr von
       ukrainischer Seite geschossen wurde und wir einen Gegenangriff starteten.
       Das gab mir Hoffnung.
       
       Sie haben es tatsächlich rausgeschafft. Jetzt sitzen Sie in Hamburg. Wie
       ist das abgelaufen? 
       
       Ein Kamerad ist zu uns gekommen. Er hat dem Toten neben mir die Ausrüstung
       abgenommen und sie zum Schutz auf mich gelegt. Mit dem Gegenangriff der
       ukrainischen Seite hatten wir dann ein bisschen Ruhe und er hat uns an
       einen etwas geschützteren Ort gebracht. Von dort aus wurde ich mit einem
       Panzer zu einem sicheren Ort gefahren, an dem es auch medizinische
       Versorgung gab. Hier habe ich einige Erinnerungslücken. Nach meiner
       Evakuierung lag ich zwei Monate lang im Krankenhaus und konnte mich nicht
       bewegen. Besonders schwere medizinische Notfälle werden ins Ausland
       gebracht, in dieses Programm wurde auch ich eingestuft. Deshalb bin ich
       nach Hamburg gekommen.
       
       Wie geht es Ihnen hier? 
       
       Ich bin sehr dankbar. Gesundheitlich habe ich viele Fortschritte gemacht;
       ich kann mich jetzt bewegen und laufen. Hier in Hamburg sind auch weitere
       Kriegsverletzte wie ich, mehrere von ihnen leben auch hier in Bergedorf.
       Ich tausche mich gerne mit ihnen aus. Eine große Unterstützung ist auch der
       Hamburger Verein Feine Ukraine. In dem Verein sind viele Ukrainer*innen
       aktiv, die schon lange in Deutschland leben und uns hier helfen können. Sie
       kümmern sich zum Beispiel darum, dass ich meine Behandlungen kommen.
       Außerdem organisieren sie psychologische Unterstützung, aber die will ich
       nicht. Ich engagiere mich gerne bei Feine Ukraine und fühle mich dadurch
       nicht ganz so nutzlos. Ich lerne Deutsch und hoffentlich kann ich bald
       arbeiten.
       
       Also planen Sie damit, langfristig in Deutschland zu bleiben? 
       
       Ich kann mir meine Zukunft gerade nicht vorstellen und habe keine konkrete
       Perspektive dafür. Erst mal möchte ich [2][gesund werden] und meine
       Verletzungen auskurieren. Davon hängt alles ab. Ich kann mir ein
       langfristiges Leben in Deutschland vorstellen, allgemein gefällt es mir
       hier. Aber auch die Ukraine vermisse ich.
       
       Haben Sie heute noch Kontakt zu Ihren Kameraden in der Ukraine? 
       
       Meine Einheit hatte zwölf Mitglieder. Von den ursprünglichen zwölf sind nur
       noch drei übrig, zu denen habe ich Kontakt. Die anderen sind gestorben oder
       so schwer verletzt, dass sie nicht mehr kämpfen können.
       
       Und zu Ihrer Familie? 
       
       Zu meinen Kindern schon. Meine Frau und ich haben kaum Kontakt. Sie ist
       wütend darüber, dass ich freiwillig zur Armee gegangen bin und kann mir das
       nicht verzeihen. Sie möchte mit den Kindern in Dnipro bleiben, ich mache
       mir große Sorgen um sie.
       
       Sie haben durch diesen Krieg alles verloren: Ihre Gesundheit, Ihre Familie
       und Ihre Heimat. Bereuen Sie es, als Freiwilliger in die Armee gegangen zu
       sein? 
       
       Nein. Ich würde es wieder tun. Wenn meine Verletzungen mich nicht daran
       hindern würden, würde ich auch jetzt wieder an die Front gehen. In meinem
       aktuellen Zustand bin ich dort leider eher eine Last als eine Hilfe. Aber
       ich versuche auch hier einen Beitrag zu leisten. Zum Beispiel repariere ich
       Autos, die Hilfsgüter in die Ukraine liefern oder sammle mit dem Verein
       Feine Ukraine Spenden. Gerade sterben im Krieg unsere besten und
       professionellsten Leute. Es kommen Männer nach, die keine militärische
       Ausbildung haben. Um das zu stoppen, ist auch Deutschland in der
       Verantwortung und muss der Ukraine weiter und mehr Ausrüstung liefern. Wenn
       wir aufhören zu kämpfen, gibt es keine Ukraine mehr. Und dann wird Russland
       sich immer weiter ausbreiten.
       
       Haben Sie Freunde und Bekannte, die anders denken? Was sagen Sie zu ihnen? 
       
       Ja, solche Leute gibt es auch. Von denen, die sich freiwillig für die Armee
       gemeldet haben, fällt mir gerade niemand in meinem Umkreis ein, der es
       bereut. Hier in Hamburg habe ich aber Leute kennengelernt, die schon vor
       dem Krieg oder kurz danach ausgereist sind und die anders denken. Sie
       wollen nicht in der Armee kämpfen. Das akzeptiere ich und dazu sage ich
       ihnen nichts.
       
       Wir sind jetzt am Ende des ersten vollen Kriegsjahres. Wenn Sie es sich
       wünschen könnten: Wie würden Sie das Jahresende 2024 am liebsten
       verbringen? 
       
       [3][Solange die Ukraine angegriffen wird], kann ich nicht glücklich sein.
       Mein größter Wunsch ist deshalb eine befreite Ukraine. Dort würde ich gerne
       mit meinen Freunden und meiner Familie in Sicherheit leben.
       
       29 Dec 2023
       
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