# taz.de -- Marschlande-Krimi „Schwarzacker“: Das sanfte Grauen des Winters
       
       > Die Vier- und Marschlande bei Hamburg sind so idyllisch wie verwunschen.
       > Nora Luttmers neuer Krimi „Schwarzacker“ macht sich das zunutze.
       
 (IMG) Bild: Ort winterlichen Grauens in „Schwarzacker“: Ochsenwerder
       
       OCHSENWERDER taz | Hamburgs Vier- und Marschlande, an der [1][Dove-Elbe]
       und unweit des einstigen KZ Neuengamme gelegen, sind ein passender Ort auch
       für ein kriminelles Romangeschehen. Viel hat diese Landschaft erlebt, viel
       liegt auch in Nora Luttmers jüngstem Krimi „Schwarzacker“ unter Eis und
       Schnee bei Ochsenwerder verborgen. Ganz am Rande werden auch die
       [2][Verbrennungen von Hexen] im 16. Jahrhundert erwähnt. Von deren Asche
       soll der Schwarzacker-Hof seinen Namen haben.
       
       Jetzt lodert es dort wieder: Der ganze Hof brennt ab, und mit ihm der Vater
       der Protagonistin Martha. Er wollte sein fruchtbares Stück Land für gutes
       Geld verkaufen, was offenbar nicht jedem gefiel. Aber wem? Entsetzen und
       Rätselraten im Dorfe, und dann taucht in den Trümmern eine zweite Tote auf,
       sorgsam in einer Kühlkammer unter der Terrasse verwahrt.
       
       Klug verzwirbelt die Autorin des atmosphärisch dichten Romans die Zeit- und
       Handlungsfäden um tote Großväter und vor Jahren verschwundene Mütter, denen
       seinerzeit, bizarr, niemand nachspürte. Und wie im richtigen Leben driften
       Schein und Sein auseinander, entpuppt sich demonstrative Sanftheit als
       zweifelhafter Charakterzug, unter dem Wahnsinn und Mordlust liegen können.
       
       ## Ermittlerin mit Schlafattacken
       
       Halboffizielle Ermittlerin ist, wie in [3][Luttmers Vorgängerkrimis], die
       wegen Narkolepsie vorzeitig aus Hamburgs Polizeidienst geschiedene
       Kommissarin Bette Hansen. Inzwischen zog sie in die Marschlande und ist
       nach anfänglichem Fremdeln mit Marotten und Sturheiten der „Einheimischen“
       vertraut. Nebenbei erfährt man – und das ist nicht mitleidheischend gemeint
       – wie sich die Schlafattacken der Narkolepsie vermeiden lassen: indem man
       einen strikten Rhythmus einhält und alle 3,5 Stunden eine halbe Stunde
       schläft.
       
       Dafür muss man diszipliniert die Uhr im Blick behalten, und inzwischen hat
       Bette es akzeptiert, jongliert die Krankheit gut. Und so, wie die Erde und
       das tauende Eis ihre Toten freigeben, so werden auch Marthas Albträume
       klarer, nähern sich der Realität, offenbaren sie aber nicht ganz.
       
       Zu gut war das Trauma verdrängt. Wie ihre Mutter wirklich starb und dass
       die kleine Martha damals keineswegs schnöde im Stich ließ, wie all die
       Jahre vermutet: Das erzählt schließlich widerstrebend ihr Onkel. Zutage
       tritt ein antiken Tragödien ähnliches, fast archaisches Unglück – eine
       weitere Wunde in dieser auch durch Sturmfluten geschundenen Landschaft.
       
       Ob diese Wahrheit, nach der Martha so gierte, wirklich hätte hervorgezerrt
       werden müssen, steht dahin, denn besser fühlen sich die Beteiligten jetzt
       nicht. Auch ob Martha es im Dorf erzählen wird, bleibt offen in dieser
       packenden, von einem latenten Grauen durchzogenen Wintergeschichte.
       
       15 Jan 2024
       
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