# taz.de -- Schleswig-Holsteins Regionalplanung: So könnte die Zukunft aussehen
       
       > Wie soll sich Schleswig-Holstein entwickeln? Darüber stimmen sich
       > Kommunen und Landkreise mit dem Innenministerium ab. Einige befürchten
       > Stillstand.
       
 (IMG) Bild: Wo sind wertvolle Böden für die Landwirtschaft, wo könnte eine Wiese mit Photovoltaik-Anlagen bestückt werden?
       
       RENDSBURG taz | Neue Gewerbegebiete, neues Bauland, neue Straßen: Mit der
       Regionalplanung, die zurzeit zwischen Kommunen, Kreisen und der
       Planungsabteilung des Innenministeriums abgestimmt wird, gibt
       Schleswig-Holstein die Richtung seiner zukünftigen Entwicklung vor. Doch
       die sieht eher von gestern aus, findet unter anderem der Naturschutzbund
       BUND, der eine Stellungnahme abgegeben hat.
       
       Die Pläne decken einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten ab, reichen also
       bis in die 2050er-Jahre, wenn Schleswig-Holstein klimaneutral sein will und
       auch sein muss, um die Vorgaben der internationalen Abkommen zu erfüllen.
       Doch wie das gelingen soll, zeigen sie nicht.
       
       Preisfrage: Wenn bis zum Jahr 2040 die Bevölkerung in der mittleren Region
       Schleswig-Holsteins um 18.000 sinkt, wie viele Wohnungen werden dann
       gebraucht? Antwort laut der [1][Regionalplanung des Landes]: gut 24.000
       mehr als heute. Auf die Anfrage der taz, warum weniger Menschen mehr
       Wohnraum brauchen, antwortet das von Sabine Sütterlin-Waack (CDU) geführte
       Innenministerium mit einer ausführlichen Erklärung.
       
       In Kurzform: Ja, die Bevölkerung schrumpft langfristig, aber zunächst
       wächst sie noch. Und auch wenn die Zahlen sinken, werden die Menschen im
       Durchschnitt älter. In einer alternden Gesellschaft gebe es viele
       Alleinlebende, die mehr Wohnungen brauchen. Und ja, es werde dadurch mehr
       Boden verbraucht werden – trotz des erklärten Ziels, Flächenfraß zu
       verhindern.
       
       ## Nachverdichtung statt Flächenfraß
       
       Um dieses Ziel dennoch zu erreichen, verweist das Ministerium auf
       allgemeine Vorgaben: Die Gemeinden sollen innerörtliche Brachflächen
       nutzen, statt Felder und Wiesen zu bebauen, und sie sollen „flächensparende
       Siedlungsformen realisieren“. Aber, das stellt das Ministerium auch klar:
       Die Entscheidung, was im Ort gebaut wird, liegt beim jeweiligen Gemeinde-
       und Stadtrat. Vorgaben, wie die Verantwortlichen Flächen sparen könnten,
       zum Beispiel durch Mehr- statt Einfamilienhäuser, gebe es daher nicht.
       
       Das Land Schleswig-Holstein sieht es als „wichtiges Thema“, dass Häuser in
       neuen Wohngebieten nach wenigen Jahren statt von Familien von Paaren und
       schließlich von Alleinstehenden bewohnt werden. Um das Problem zu lösen,
       schlägt das Ministerium vor, „adäquaten Wohnraum in der direkten Umgebung“
       zu schaffen – wie genau das aussehen kann, bleibt unklar. Anstöße für
       Gemeinden, wie sie mehr Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenprojekte
       schaffen könnten, fehlen in den Planungen.
       
       „Wir machen laufend Rollen rückwärts“, sagt Merlin Michaelis, beim [2][BUND
       Schleswig-Holstein,] zuständig für ländliche Räume und Flächenverbrauch.
       „Der Klimawandel findet jetzt statt, diese Pläne müssten das einbeziehen
       und Vorgaben machen – aber es bleibt bei einer Bestandsaufnahme.“
       
       Die Umweltorganisation beklagt in ihrer Stellungnahme auch methodische
       Probleme. So sei nicht ganz klar, was auf einer Fläche passieren dürfe:
       „Gebiete, die dem Naturschutz zur Verfügung stehen sollten, werden mit
       Rohstoffabbau oder Tourismus zusammengeworfen“, sagt Michaelis.
       
       ## Solarenergie statt Landwirtschaft
       
       Weiterhin fehle eine Einteilung der Flächen nach der Beschaffenheit: Wo
       sind wertvolle Böden für die Landwirtschaft, wo könnte eine Wiese mit
       Photovoltaik-Anlagen bestückt werden? „Durch eine geeignete Planung ließe
       sich ein Konflikt zwischen Nahrungsmittelproduktion, Energie-Erzeugung und
       Naturschutz vermeiden“, sagt Michaelis. Dieser Konflikt ist bereits heute
       deutlich zu erkennen, etwa bei der Windkraft-Planung: Schleswig-Holstein
       will mehr Rotoren aufstellen, dabei aber Abstände zu Häusern lassen. So
       bleiben am Ende nur Felder oder Gebiete, die eigentlich dem Naturschutz
       vorbehalten sind.
       
       Aber „eine intakte Natur liegt ebenso im überragenden öffentlichen
       Interesse wie der Ausbau der Windenergie“, betont Gerd Simon, beim BUND
       Schleswig-Holstein zuständig für Natur- und Umweltpolitik. „Schutz der
       Biodiversität und des Klimas müssen Hand in Hand gehen. Während der Ausbau
       der Erneuerbaren überall sichtbar ist, sehen wir im Vergleich dazu viel zu
       wenig Erfolg im Kampf gegen das Artensterben und zu wenig Aktivitäten beim
       Klimaschutz, wie Aufforstung und Wiedervernässung von Mooren.“
       
       Durch die [3][Regionalplanung, die die großen Linien der Entwicklung
       zeigt], würden „solche wichtigen Entscheidungen auf die chronisch
       unterbesetzte Verwaltungsebene der Kommunen weitergereicht, die mit immer
       weniger Mitteln immer mehr Aufgaben wahrnehmen sollen“, kritisiert Merlin
       Michaelis.
       
       Gleichzeitig wollen sich die Gemeinden die Planung nicht nehmen lassen. Die
       Verantwortlichen wollen meist, dass ihr Ort wächst. Etwa im nordfriesischen
       Langenhorn: „Wir wollen kein Schlafdorf sein. Stillstand bedeutet, dass es
       rückwärts geht“, sagt der CDU-Gemeinderat Volker Feddersen.
       
       ## Keine Zustimmung des Parlaments nötig
       
       Einen Widerspruch zum Ziel, Flächenfraß zu vermeiden, sieht er nicht: „Wir
       liegen schließlich an einer Entwicklungsachse.“ Der
       3400-Einwohner*innen-Ort habe Bahnanschluss und produziere Windkraft, eine
       Wasserstofftankstelle ist geplant. „Die Firmen müssen dahin, wo die Energie
       ist“, sagt Feddersen. Immerhin will Schleswig-Holstein, so steht es im
       [4][Koalitionsvertrag der Schwarz-Grünen Regierung], das erste
       klimaneutrale Industrie-Flächenland Deutschlands werden.
       
       Merlin Michaelis sieht das Konzept der Entwicklungsachsen dennoch kritisch:
       „Ja, es gibt Vorgaben, laut denen kleinere Orte nur im begrenzten Umfang
       wachsen dürfen. Aber praktisch jede Bahnstrecke oder größere Straße gilt
       als Teil einer Entwicklungsachse und erlaubt damit vielen anliegenden Orten
       zu wachsen.“
       
       Zu den Regionalplänen gab es zahlreiche Einwendungen aus dem ganzen Land,
       viele auch von Mitgliedern lokaler Umweltgruppen. Die werden nun im
       Ministerium geprüft und teilweise eingearbeitet, aber „am grundsätzlichen
       Duktus wird sich wenig ändern“, vermutet Michaelis.
       
       Auch eine politische Debatte wird es wohl nicht mehr geben, heißt es aus
       dem Innenministerium: Zwar könnte der Landtag nach einem entsprechenden
       Antrag über die Regionalpläne verfügen. Gesetzlich vorgeschrieben sei eine
       Zustimmung des Parlaments aber nicht.
       
       2 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/themen/planen-bauen-wohnen/regionalplaene/regionalplaene_node.html
 (DIR) [2] https://www.bund-sh.de/regionalplaene-2023/
 (DIR) [3] /Energiewende-in-Schleswig-Holstein/!5920441
 (DIR) [4] /Schwarz-Gruene-Koalitionsvertraege/!5863162
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Grüne Schleswig-Holstein
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Verkehrswende
 (DIR) Energiewende
 (DIR) Transformation
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
 (DIR) Leben mit Behinderung
 (DIR) Verkehrswende
 (DIR) Windkraft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Klimagerechter Stadtumbau: Scheiße fürs Klima
       
       Bottrop hat den CO2-Ausstoß für einen Großteil des Stadtgebietes innerhalb
       von elf Jahren halbiert. Was können andere Städte davon lernen?
       
 (DIR) Stand der Solarenergie: Mehr als nur eine Nischenlösung
       
       Wenn Politik heimische Wertschöpfung forcieren will, sollte sie das Thema
       grundsätzlicher angehen.
       
 (DIR) Wenn Menschen Tiere brauchen: Kampf um den Assistenzhund
       
       Ohne ihren Hund kann Carina Graf nicht aus dem Haus gehen. Doch der Kreis
       Nordfriesland weigert sich, seine Behandlung zu bezahlen.
       
 (DIR) Aufhebung von Fahrradstraßen in Hannover: Verkehrswende scheitert an der SPD
       
       In Hannovers Südstadt sollen Fahrradstraßen wegfallen, damit Parkplätze
       bleiben können. Der grüne Bezirksbürgermeister ist entsetzt, aber machtlos.
       
 (DIR) Windkraft in Schleswig-Holstein: Höher und breiter
       
       In Schleswig-Holstein sollen sich in Zukunft viel mehr Windräder drehen als
       bisher. Landschaftsschutzgebiete werden nicht mehr pauschal verschont.