# taz.de -- Neuer DFB-Geschäftsführer: Spiel um die Herzen
       
       > Der neue DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig verspricht viel frischen Wind
       > für den deutschen Fußball. Er ist ein Mann der kleinen Vereine.
       
 (IMG) Bild: Lächelt noch geqält: Pressekonferenz mit dem neuen DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig am 11. Januar 2024
       
       Es ist ein Bild, das heute absurd wirkt: Im Jahr 2008 ist Andreas Rettig
       Manager beim FC Augsburg, der damals in der 2. Bundesliga spielt. Die
       sechstklassige Zweite Mannschaft des Klubs trainiert damals ein gewisser
       Thomas Tuchel, sein Co-Trainer heißt Julian Nagelsmann. 15 Jahre später hat
       Tuchel einen Champions-League-Pokal in der Vitrine und die beiden anderen
       Ex-Augsburger treffen sich auf der höchsten Ebene des deutschen Fußballs
       wieder, der sich seit Jahren in Schräglage befindet. Der DFB ist nicht nur
       finanziell angeschlagen, auch sportlich will der [1][Nationalmannschaft der
       Herren] seit dem WM-Titel vor zehn Jahren kaum etwas gelingen.
       
       2024 ist nun ein besonderes Jahr für den Verband: Als Gastgeber richtet er
       die Europameisterschaft aus und hat sich davor personell grunderneuert.
       Seit zwei Jahren ist Bernd Neuendorf DFB-Präsident, [2][im vergangenen
       September wurde erst Rettig neuer Geschäftsführer Sport], kurz darauf
       [3][Nagelsmann] Nationaltrainer. Rettig ist eine überraschende Wahl. Denn
       der gebürtige Leverkusener, der als wichtigsten Moment seiner aktiven Zeit
       gern die Vorlage zum Tor des Monats Januar 1985 angibt, legt sich immer
       wieder mit dem großen Geld im Fußballgeschäft an.
       
       Entschieden setzte er sich etwa für den Erhalt der 50+1-Regel ein, die es
       Investoren verbietet, Mehrheitsrechte deutscher Vereine zu kaufen.
       Entsprechend erhitzt schienen die Gemüter nach der Bekanntgabe im
       September: Ex-Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge und Oliver Mintzlaff,
       Aufsichtsratsvorsitzender bei RB Leipzig, verließen umgehend die Task-Force
       des DFB. Ein kleines Beben im so angestaubt wirkenden Dachverband.
       
       Die Personalie Rettig verspricht viel frischen Wind. Als Manager war er
       unter anderem beim SC Freiburg, dem 1. FC Köln, in Augsburg und bei St.
       Pauli tätig – eine Liste sympathischer kleiner Vereine, die für die
       Fußballseele stehen, die viele auf DFB-Ebene vermissen. Es sind auch diese
       Vereine, die zunehmend wichtiger werden, wenn es um die Neuaufstellung der
       Nationalmannschaft geht.
       
       ## Rettig strahlt Wohlfühlatmosphäre aus
       
       Denn die vergangenen zehn Jahre haben gezeigt, dass es nicht ausreicht,
       sich auf die großen Klubs zu verlassen. Dass sich der neue Geschäftsführer
       mit den Nachwuchszentren kleinerer Teams auskennt, sie teilweise mit
       aufgebaut hat, kann sich als ausgesprochen nützlich erweisen. In seinem
       ersten Interview seit Amtsantritt verkündete Rettig jetzt gegenüber der
       Zeit, sein Wunsch für seine Amtszeit sei es, dass am Ende kein Fan mehr
       „Scheiß DFB“ rufe.
       
       Er setzt sich also das ehrgeizige Ziel, das zerrüttete Verhältnis der
       Ultras zur Chefetage des Fußballs zu kitten. Das vermittelt er glaubhaft,
       und es kann funktionieren – sofern es ihm gelingt, die vertretenen Werte
       tatsächlich zu implementieren.
       
       Ebenfalls positiv ist, dass er Julian Nagelsmann bereits so lange kennt,
       auch wenn die Wege der beiden seit 2008 kaum unterschiedlicher hätten
       laufen können: Über Hoffenheim, RB Leipzig und den FC Bayern wurde
       Nagelsmann Nationaltrainer – bei mindestens zwei der Klubs würden Rettigs
       Bewerbungsunterlagen wohl nicht allzu weit kommen. Die Kombination könnte
       dennoch ein Glücksfall für den DFB sein.
       
       Denn Nagelsmann und Rettig ergänzen sich in ihrer Außenwirkung nahezu
       perfekt: Der zweitjüngste Bundestrainer der Geschichte scheint den Erfolg
       über alles zu stellen und macht auf viele einen verbissenen Eindruck. Der
       neue Geschäftsführer Sport strahlt hingegen die Wohlfühlatmosphäre der
       kleinen Klubs aus, das Stadion als Wohnzimmer der Fans – beim Turnier im
       Sommer wird man sehen, ob diese Verbindung auf dem Platz und der Tribüne
       das nötige Feuer entfacht.
       
       Interessant ist auch Rettigs recht kurzes Intermezzo bei der DFL. Ab Januar
       2013 war er dort zwei Jahre lang als Geschäftsführer tätig, ehe er seinen
       Vertrag auflösen ließ. Gefehlt habe ihm dort, dass die DFL keine Mannschaft
       habe, keine Fans, nicht die Stimmung eines Vereins eben. Es ist diese
       Mischung aus Management und Begeisterung, die ihn zurück zum Klubfußball
       und zum FC St. Pauli brachte. Gerade jetzt, [4][wo sich die DFL mit knapper
       Mehrheit für ein Milliarden-Investment in die Liga ausgesprochen hat], wird
       dieser Schritt umso verständlicher. Denn damit sich der Verkauf der
       Umsatzanteile lohnt, müssen die Bundesligen wachsen – und zwar
       wirtschaftlich, nicht sportlich oder atmosphärisch.
       
       Auf die Frage, welche Ziele er beim DFB habe, antwortet Rettig
       dementsprechend mit ein wenig Pathos und immer vom Fan her denkend. Im
       Blick auf die diesjährige EM stehe die Stimmung im Vordergrund: „Erfolg
       wäre, wenn uns die Herzen zuflögen. Ich wünsche mir eine emotionale Bindung
       und Freude wie damals beim Sommermärchen 2006.“
       
       Diese Trennung vom Ergebnis auf dem Platz mag man albern finden, bei einem
       Vorrunden-Aus würde sich die Euphorie in den Stadien sicherlich in Grenzen
       halten. Aber es ist ein guter Ansatz, ein wenig Druck von der Mannschaft zu
       nehmen und die Herzen der Fans zurückzugewinnen, mit Spielwitz und einem
       Team, das zusammenhält. Mit einer ähnlichen Strategie war es Gareth
       Southgate gelungen, England zumindest mal wieder in ein Finale zu bringen.
       
       Der Erfolg des Ganzen dürfte zu einem Großteil davon abhängen, wie gut das
       indirekte Teamwork zwischen Rettig und Nagelsmann funktioniert. Ob sie es
       schaffen, in ihren jeweiligen Positionen Fans und Mannschaft zu begeistern.
       Viel Zeit bleibt ihnen dafür allerdings nicht. Während Rettigs Vertrag noch
       bis Dezember 2026 läuft, bekam der neue Coach den kleineren
       Vertrauensvorschuss – bis zum Ende der EM hat Nagelsmann Zeit, zu zeigen,
       dass er der Aufgabe gewachsen ist. Es muss also auf Anhieb klappen, und
       darin liegt die vielleicht größte Schwierigkeit in diesem spannenden
       Experiment. Das Turnier im Sommer wird zum doppelten Gradmesser: Schafft
       der deutsche Fußball nach zehn Jahren die Kehrtwende? Und reicht die Zeit,
       um die vielversprechende Dynamik an der DFB-Spitze in Gang zu setzen?
       
       22 Jan 2024
       
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