# taz.de -- „Bewegungen sind nicht universell zu verstehen“
       
       > Das Tanztheater-Festival „Real Dance“ bringt internationale Produktionen
       > nach Hannover. Die künstlerische Leiterin Melanie Zimmermann über
       > Sichtbarkeit und Diversität im Tanz
       
 (IMG) Bild: Eröffnungsproduktion „Hallucinations of an Artefact“
       
       Interview Katrin Ullmann
       
       taz: Frau Zimmermann, Hannover hat ein erfolgreiches Staatsballett mit
       internationalen Choreograf*innen – warum braucht die Stadt ein
       Tanzfestival? 
       
       Melanie Zimmermann: Das Real Dance Festival legt den Schwerpunkt auf
       internationale Tanzproduktionen, die wir versuchen, mit lokalen
       Künstler*innen zu verknüpfen. Internationalität gehört zum Tanz wie der
       Kaffee zum Morgen. Es ist wichtig, dass Künstler*innen vor Ort durch
       Gastspiele Impulse bekommen und sich connecten. Auch für das Publikum ist
       es wichtig, dass auf neue ästhetische Tanzerfahrungen gespannt sein kann.
       Tanz braucht viel mehr Sichtbarkeit, gerade in Hannover und Niedersachsen,
       und wir folgen der Mission, herausragenden Tanz in seinem Anliegen und
       seinem künstlerischen Spektrum zu präsentieren. Von einem Staatsballett zu
       verlangen, die Diversität des Tanzes in einem einzigen Festival abzubilden,
       wäre unrealistisch. In der Vielheit der Festivals liegt die Kraft! Mit dem
       Real Dance Festival erproben wir auch Formate abseits der Bühne, öffnen uns
       also vielseitigen Tanzsprachen und anderen Begegnungsformen mit den
       Zuschauer*innen.
       
       Was hat Sie daran interessiert – nach mehr als zehn Jahren Tätigkeit als
       Kuratorin und Tanzdramaturgin auf Kampnagel in Hamburg – ein Festival in
       Hannover auszurichten? 
       
       Ich habe auf Kampnagel viele Freiheiten gehabt, mich ästhetisch
       auszuprobieren, Strukturen im Tanz neu zu denken und in großen Netzwerken
       und Veranstaltungen anders zu gestalten. Ich bin nicht gut darin, den
       Status quo zu halten, wenn es Potenzial gibt, die Dinge besser zu machen.
       Ich stelle mich gerne neuen Herausforderungen und persönlich war es an der
       Zeit, mich in der Rolle der künstlerischen Leitung auszuprobieren. Meine
       Erfahrungen motivieren mich sehr, in Hannover Leute für den Tanz zu
       begeistern und gleichzeitig international und lokal zu arbeiten.
       
       Welche Leute möchten Sie begeistern? 
       
       Das Festival adressiert das Publikum des Festivals Tanztheater
       International und vor allem auch jüngere Menschen. Unser Anspruch ist, dass
       wir die Schwellen zum Tanz so niedrig wie möglich gestalten wollen, ohne an
       Qualität zu verlieren. Wir wollen Tanz als Kunst präsentieren, die in einem
       bestimmten Kontext entsteht. Und diese vielfältigen Kontexte bilden auch
       Einstiegsmöglichkeiten für jene Zuschauer*innen, die sich von so manchen
       Theatervorstellungen ausgeschlossen fühlen, weil sie sie null abholen. Tanz
       ist eine tolle Möglichkeit, ein diverseres Publikum für die darstellenden
       Künste und für die Choreografie zu begeistern.
       
       Die Festivalankündigung zitiert Sie mit dem Satz: „Tanz ist keine
       universelle Sprache“. Was ist denn Tanz für Sie? 
       
       Zeichen von Bewegungen sind nicht universell zu verstehen und die
       Bedeutungen des Tanzes auch nicht. Da muss man differenziert herangehen.
       Wenn jemand im Iran auf einem öffentlichen Platz tanzt, wandert diese
       Person dafür ins Gefängnis. In Deutschland und den meisten Ländern der Welt
       ist das glücklicherweise nicht so. Tanz passiert überall auf der Welt, als
       Ritual, im Club oder auf der Bühne. Die Kunstform entsteht dann, wenn man
       sich nur durch diese Ausdrucksform künstlerisch vermitteln kann. Da steckt
       eine Dringlichkeit dahinter, die uns im besten Fall ästhetisch die Augen
       öffnet.
       
       Das Festival feiere „verschiedene Perspektiven und Realitäten im Tanz“
       heißt es außerdem: Wie geht das zusammen: Tanz, also eine künstlerische
       Ausdrucksform und Behauptung, und die Realität? 
       
       Die Bühne ist allgemein ein Ort, an dem man Utopien spinnt. Man kann
       darstellen und gemeinsam spüren, was wäre, wenn … Das ist Magie für mich.
       Gleichzeitig ist alles real, was auf der Bühne passiert, weil Menschen in
       ihren Bewegungen versinken und dabei ein körperlicher Dialog zwischen den
       Tänzer*innen und Zuschauer*innen entsteht. Wenn die Choreografien
       Kontexte vermitteln, die von der Realität einer pluralen Gesellschaft
       ausgehen, vermischen sich die Ebenen von Fake und Realität. Für uns ist
       dieser Gedanke wichtig, weil wir mit Künstler*innen arbeiten, die ganze
       Tanzkulturen repräsentieren wie Hip-Hop oder Ballroom. Es muss jenen
       Tanzschaffenden freistehen, sich gegebenenfalls aus dem ästhetischen
       Korsett einer Bühnenproduktion zu lösen, um sich authentisch zu
       präsentieren. Wir verfolgen damit einen respektvollen und diverseren
       Ansatz, um Tanz zu präsentieren.
       
       Sind fünf Tage dafür nicht ein bisschen wenig? 
       
       Ja, total. Wir könnten viel mehr reißen! Aber erst mal konzentrieren wir
       uns auf die erste Ausgabe von Real Dance und hoffen sehr, dass sich die
       Türen danach weiter öffnen.
       
       Warum ist das Festival im Ballhof, im Kunstverein und im Schauspielhaus
       angesiedelt – und nicht im Opernhaus, wo das Staatsballett residiert? 
       
       Das Festival ist an das Staatstheater gebunden, dadurch entstehen für uns
       tolle Voraussetzungen und im Ballhof ist Platz genug für all das, was wir
       vorhaben. Aber wir sind bereits über Kooperationen in Gesprächen, mit dem
       Ballett und anderen Partner*innen.
       
       Im Festivalzentrum kann man sich von der bildenden Künstlerin Franziska
       Nast tätowieren lassen – was hat ein Tattoo mit Tanz zu tun? 
       
       Das hat weniger etwas damit zu tun, dass wir eine*n Tattoo-Artist*in
       einladen wollten, als vielmehr mit dem interdisziplinären Ansatz von
       Franziska Nast. Sie hat sich vom Tanzfestival inspirieren lassen und neue
       Werke und Motive extra für das Festival geschaffen. Tätowieren gehört zu
       ihrer künstlerischen Praxis und persönlich verstehe ich das so, dass sie
       aus ihrem Körper die Effekte ihrer Kunst auf andere Körper projiziert und
       mit Tattoos verewigt.
       
       Für Franziska Nast sind Tattoos „Tagebücher auf der Haut“. Welches Tattoo
       stünde für Sie für die erste Ausgabe von Real Dance? 
       
       „Rrrrrealdirrrrrtydancingfeet“ natürlich! Was sind Füße für ein schönes
       Motiv, oder? Aber ich möchte den Zuschauer*innen unbedingt den Vortritt
       für die Tattoos lassen, denn Stand heute ist, dass es nur noch sehr wenige
       freie Termine gibt, weil die Nachfrage so groß ist. Ich mache das sehr
       wahrscheinlich nach dem Festival.
       
       Was ist Ihr größter Wunsch für diese erste Festivalausgabe? 
       
       Dass die Hallen brummen und dadurch viel Austausch entsteht.
       
       24 Jan 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Ullmann
       
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