# taz.de -- Geflüchtete aus der Ukraine: Irland will weniger Ukrainer
       
       > Irland geht das Geld für Sozialleistungen aus, im Land herrscht massive
       > Wohnungsnot. Ukrainer und andere Flüchtlinge bekommen jetzt weniger Geld.
       
 (IMG) Bild: Die irische Willkommenskultur hat Schaden genommen: Die grüne Insel kann sich die Flüchtlinge nicht mehr leisten
       
       DUBLIN taz | Irland kann sich weitere Flüchtende aus der Ukraine nicht
       leisten. Die Hilfe für Neuankömmlinge soll deshalb gekürzt werden. Da die
       Grüne Insel bislang recht großzügig mit den Menschen aus der Ukraine
       verfahren ist, kamen auch viele, die zuvor in andere EU-Länder geflohen
       waren.
       
       „Wir müssen unser Angebot an Sozialhilfe und staatlichen Unterkünften an
       das anderer westeuropäische Länder anpassen“, sagte Premierminister Leo
       Varadkar. Es gehe dabei weniger um Menschen, die direkt aus der Ukraine zu
       uns flüchten, fügte er hinzu, sondern mehr um diejenigen, die aus anderen
       Teilen Westeuropas kommen, wo sie schon eine Weile gelebt haben.
       
       Seit Kriegsbeginn sind mehr als 100.000 Ukrainerinnen und Ukrainer nach
       Irland gekommen, jede Woche werden es 500 mehr. Der Gründer der
       Organisation Ukrainian Action in Ireland, Anatoliy Prymakov, sagt, viele
       seien in die Ukraine zurückgekehrt, so dass die wirkliche Zahl bei rund
       85.000 liege.
       
       Davon haben rund 15.000 einen Job angenommen, weitere 15.000 gehen zur
       Schule. Bis zu Ende des laufenden Schuljahres wird die Schülerzahl auf
       27.000 steigen. 74.000 Geflüchtete sind in Unterkünften untergebracht, die
       vom Staat gestellt werden – Hotels, staatliche Gebäude oder Modulhäuser.
       Die übrigen haben sich selbst eine Unterkunft gesucht.
       
       ## Sozialleistungen werden gekürzt
       
       Bisher bekamen die Ukrainer 220 Euro pro Woche, sowie freie Unterkunft,
       freie medizinische Versorgung sowie frei Fahrt mit Bus und Bahn im ganzen
       Land. Künftig soll das auf knapp 39 Euro gekürzt werden – die Summe, die
       auch Asylbewerbern zusteht. Wer sich allerdings selbst um eine Unterkunft
       kümmert, soll weiterhin den höheren Betrag erhalten. „Sozialhilfe-Empfänger
       müssen normalerweise für Miete und Nebenkosten sowie für Lebensmittel
       aufkommen“, sagt Varadkar.
       
       Vor allem die Unterbringung macht der Regierung zu schaffen, da auch die
       Zahl der Flüchtlinge aus anderen Ländern stark gestiegen ist. In Dublin ist
       der Wohnraummangel besonders groß. Mittlerweile sind 13.000 Menschen
       obdachlos. Asylbewerbern werden nun Zelte, Schlafsäcke und ein höherer
       Sozialhilfesatz von 113,50 Euro pro Woche angeboten.
       
       ## Staatliche Unterbringung nur noch für 90 Tage
       
       Neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine sollen [1][wegen des
       Wohnungsmangels] künftig nur noch 90 Tage lang vom Staat untergebracht
       werden. Das stößt auf Kritik des „Irischen Flüchtlingsrats“. Dessen
       Geschäftsführer Nick Henderson sagt: „Wir warnen vor der Kürzung auf 90
       Tage, denn für die große Mehrheit wird es schwierig, wenn nicht gar
       unmöglich, eine Alternative zu finden.“ Deirdre Garvey, die
       Generalsekretärin vom „Roten Kreuz Irland“, stimmt ihm zu: „Der
       Wohnungsmietsektor ist unter extremem Druck, und es gibt nur wenige
       Möglichkeiten, selbst für diejenigen, die über die wirtschaftlichen Mittel
       verfügen.“
       
       Die Änderungen treten am 29. Januar in Kraft. Für die bereits in Irland
       lebenden Ukrainer ändert sich nichts. 40 Prozent von ihnen möchten auch
       nach Kriegsende in Irland bleiben. Die Regierung will sich verstärkt
       bemühen, ihnen Jobs zu vermitteln. In vielen Schulen helfen bereits
       ukrainische Lehrkräfte aus.
       
       Prymakov sagt, die Kürzungen werden niemanden abschrecken. „Schaut euch die
       Nachrichten aus der Ukraine an“, sagt er. „Nichts hat sich geändert, es
       wird eher schlimmer. Deshalb werden auch die Kürzungen nichts ändern.“
       
       Kritiker monieren, dass diese Kürzungen [2][eine Reaktion auf rechtsextreme
       Proteste seien]. Im vergangenen Jahr gab es immer wieder Demonstrationen
       und gewalttätige Ausschreitungen gegen Flüchtlingsunterkünfte, einige
       wurden niedergebrannt, bevor sie eröffnet werden konnten.
       
       ## Ortschaft mit 800 Iren und 1.400 Ukrainern
       
       Aber es sind nicht nur Rechtsextreme, die protestieren. Die irische
       Willkommenskultur insgesamt hat Schaden genommen, was nicht zuletzt an den
       Regierungsmaßnahmen liegt. So sucht man Flüchtlingsunterkünfte in den
       vornehmen Dubliner Vierteln vergeblich. Auf dem Land, vor allem in den
       Touristengegenden, sind hingegen die meisten Hotels den ukrainischen
       Flüchtlingen vorbehalten. In dem kleinen Ort Lisdoonvarna zum Beispiel mit
       seinen rund 800 Einwohnern wohnen 1.400 Ukrainer.
       
       Der Ort lebt seit 150 Jahren von dem traditionellen Heiratsmarkt, der den
       ganzen September über stattfindet. Deshalb gibt es überdurchschnittlich
       viele Hotels, die nun allesamt belegt sind. Für die Hotelbesitzer ist das
       ein gutes Geschäft, aber die Restaurants, Pubs und Geschäfte gehen leer
       aus, denn die Touristen, die früher aus allen Teilen Irlands und aus dem
       Ausland kamen, können nicht mehr über Nacht bleiben.
       
       Noch nehmen es die meisten Einwohner gelassen hin. Bisher sind die
       Rechtsextremen eine verschwindend kleine Minderheit. Aber sie rüsten sich
       für die Wahlen, die vielleicht schon in diesem Jahr, spätestens aber im
       März 2025 stattfinden werden. Mit Hilfe der Stimmungsmache gegen
       Flüchtlinge wollen sie zum ersten Mal ein Mandat gewinnen.
       
       12 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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