# taz.de -- Hamas-Terrorangriff: UN-Helfer*innen unter Verdacht
       
       > Deutschland und weitere Länder wollen Gelder für das UN-Hilfswerk in Gaza
       > auf Eis legen. Waren Mitarbeitende am Terror der Hamas beteiligt?
       
 (IMG) Bild: Dringend gebraucht: Palästinenser*innen warten am 4. Januar auf UNRWA-Lieferungen in die Grenzstadt Rafah
       
       RAMALLAH taz | Es sind schwerwiegende Vorwürfe, die sich gegen das
       Hilfswerk für palästinensische Geflüchtete der Vereinten Nationen (UNRWA)
       richten. Laut Israel seien einige UNRWA-Mitarbeitende in den Hamas-Angriff
       am 7. Oktober verwickelt gewesen. Bei der Attacke der islamistischen
       Terrororganisation auf israelische Dörfer [1][und ein Musikfestival]
       starben etwa 1.200 Menschen, etwa 250 wurden in den Gazastreifen
       verschleppt. Wie sich die UNRWA-Mitarbeitenden am Angriff beteiligt hätten,
       darüber machte Israel keine konkreten Angaben.
       
       Israels Außenminister Israel Katz sagte, UNRWA sollte nach Ende des Kriegs
       in Gaza ersetzt werden, und beschuldigte die UN-Agentur, Verbindungen zur
       Hamas zu haben. Für die Anschuldigungen lieferte er keine Beweise. Israels
       Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, äußerte sich noch
       kritischer. Die Vereinten Nationen würden als Waffe missbraucht, um Israels
       Existenzrecht abzusprechen und die Bevölkerung auszurotten.
       
       Unabhängige sowie UN-interne Ermittlungen sollen jetzt die Anschuldigungen
       untersuchen. Bis dahin wollen zehn Länder, darunter Deutschland und die
       USA, ihre Zahlungen an das Hilfswerk einfrieren. „Bis zum Ende der
       Aufklärung wird Deutschland in Abstimmung mit anderen Geberländern temporär
       keine neuen Mittel für UNRWA in Gaza bewilligen“, schrieben das Auswärtige
       Amt und das Bundesentwicklungsministerium [2][am Samstagabend in einer
       gemeinsamen Erklärung auf X, ehemals Twitter].
       
       Derzeit stünden ohnehin stünden keine neuen Zusagen für weitere
       Finanzierungen an. Deutschland gilt als zweitgrößter Geldgeber des UNRWA
       nach den USA. Etwa 83 Millionen Euro sind 2023 vom Auswärtigen Amt an das
       UNRWA im Gazastreifen geflossen. Damit seien meistens Nahrungsmittel
       importiert und verteilt worden, so das Ministerium. Mehr als 200 Millionen
       Euro sind durch die Bundesregierung insgesamt an das UN-Hilfswerk gegangen.
       
       ## Hilfswerk nicht zum ersten Mal in der Kritik
       
       Das UNRWA versorgt über zwei Drittel der 2,3 Millionen Menschen in Gaza und
       ist für knapp 6 Millionen palästinensische Geflüchtete in drei Ländern und
       den palästinensischen Gebieten verantwortlich. Fast 287.000 Kinder lernten
       vor dem Krieg an seinen 183 Schulen im Gazastreifen. Die Rolle des
       Hilfswerks für die Grundversorgung der palästinensischen Bevölkerung
       bezeichnet das Auswärtige Amt als „lebenswichtig“.UNRWA-Chef Philippe
       Lazzarini sagte am Samstag, die Entscheidung der zehn Länder würde die
       humanitäre Arbeit des Hilfswerks in der Region bedrohen.
       „Palästinenser*innen in Gaza brauchten diese weitere Art von
       Kollektivbestrafung nicht“, [3][schrieb er auf X] und forderte die Länder
       auf, ihre Entscheidung zu überdenken.
       
       Am Freitag hatte das Hilfswerk mitgeteilt, die betroffenen Mitarbeitenden
       gekündigt und Ermittlungen gestartet zu haben. UN-Generalsekretär António
       Guterres sagte, Involvierte würden dann ebenfalls strafrechtlich verfolgt.
       Etwa 13.000 Menschen arbeiten beim UNRWA in Gaza. Es ist unklar, wie vielen
       Mitarbeitenden eine Verwicklung in den Hamas-Angriff vorgeworfen wird. In
       einigen Medienberichten war anfangs von zwölf die Rede.
       
       Das Hilfswerk der Vereinten Nationen steht nicht zum ersten Mal in der
       Kritik. Die israelische Menschenrechtsorganisation IMPACT-se wirft in einer
       Analyse [4][von Schulbüchern, die von UNRWA-Schulen verwendet werden], dem
       Hilfswerk vor, dass das Schulmaterial zu Antisemitismus, Märtyrertod und
       Gewalt ansporne und Israel das Existenzrecht abspreche. Diese
       „Indoktrination“ habe den Angriff vom 7. Oktober ermöglicht, sagt der
       leitende Geschäftsführer der NGO, Arik Agassi. Die jüngsten Vorwürfe kämen
       daher nicht überraschend. „Es ist nicht neu, die Kollaboration zwischen dem
       UNRWA und Hamas“, sagt er. Manche UNRWA-Mitarbeitenden seien bereits in der
       Vergangenheit gleichzeitig Mitglieder des militärischen Flügels der Hamas
       gewesen.
       
       Unabhängig überprüfen lassen sich die Vorwürfe im Augenblick nicht. Eine
       Anfrage an das UNRWA nach einer Stellungnahme blieb bislang unbeantwortet.
       In der Vergangenheit hatte das Hilfswerk jedoch die Berichte über Kritik an
       seinem Schulmaterial als ungenau und irreführend bezeichnet. Die
       Schulbücher stammten zudem aus dem jeweiligen Gastland. UNRWA-Chef
       Lazzarini schrieb am Samstag, das Hilfswerk leite die Liste aller seiner
       Beschäftigten an die jeweiligen Gastländer weiter, inklusive Israel. Die
       Agentur hätte nie von irgendwelchen Bedenken gegenüber Mitarbeitenden
       erfahren.
       
       ## Warnung vor schlimmen humanitären Folgen
       
       Kelsey Norman, Forscherin an der US-Rice University, hat die Lage der
       Geflüchteten in Nahost untersucht. Sie betrachtet die Entscheidung der zehn
       Länder – USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweiz, Finnland,
       Holland, Kanada, Australien und Italien – sehr kritisch. „Die humanitäre
       Lage [in Gaza] war noch nie alarmierender, und künftige
       UNRWA-Finanzierungen zu kürzen, wird zu diesem Zeitpunkt schlimme Folgen
       für seinen bereits überlasteten und unterfinanzierten Betrieb haben.“
       Obwohl es als UN-Organisation anscheinend unpolitisch sei, sei das
       Hilfswerk in der Vergangenheit politisiert worden, sowohl von den
       Palästinensern als auch von Israel und Geberländern, findet Norman. Seine
       Arbeit finanziell zu erschweren sei jedoch nicht die Lösung, da die Leitung
       Gegenmaßnahmen bereits eingeleitet habe.
       
       Das Hilfswerk spielt im Augenblick vor allem eine zentrale Rolle für die
       humanitäre Versorgung im Gazastreifen. Laut UNRWA-Chef Lazzarini wäre es
       „immens unverantwortlich, eine Agentur und eine gesamte Gemeinschaft zu
       bestrafen aufgrund von Anschuldigungen gegen einige Menschen, vor allem in
       Zeiten von Krieg, Vertreibung und politischen Krisen in der Region“.
       
       28 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Angriff-auf-Israel/!5963370
 (DIR) [2] https://twitter.com/AuswaertigesAmt/status/1751344520531263647
 (DIR) [3] https://twitter.com/UNLazzarini/status/1751345422918959147
 (DIR) [4] /Studie-zu-palaestinensischen-Schulbuechern/!5425381
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Serena Bilanceri
       
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