# taz.de -- Vor Indonesiens Präsidentschaftswahl: Ein Denkmal für Jokowi
       
       > Neue Hauptstadt, neuer Palast, Indonesiens Präsident Joko Widodo plant
       > gern groß. Bei der anstehenden Wahl darf er nicht noch mal antreten.
       
 (IMG) Bild: Computergenerierte Simulation des künftigen Präsidentenpalastes
       
       JAKARTA taz | Die Seitenflügel des neuen Präsidentenpalastes symbolisieren
       die mächtigen Schwingen des Garuda, des adlerartigen mythischen
       Wappenvogels Indonesiens. Das extravagante Gebäude mit einer Fassade aus
       Metall und Glas entsteht derzeit in der Provinz Ost-Kalimantan auf der
       Insel Borneo, 1.350 Kilometer und eine Stunde Zeitverschiebung nordöstlich
       der bisherigen Hauptstadt Jakarta. Der scheidende Präsident Joko Widodo,
       den alle Jokowi nennen, taufte die neue Hauptstadt Nusantara („Archipel“).
       Sie wird sein Denkmal.
       
       Das bisher von Plantagen und Dschungel geprägte Gebiet dominieren nun
       Bagger, Kräne und Rohbauten. 100.000 Arbeiter stampfen Straßen und Gebäude
       aus dem Boden. Schon zum Unabhängigkeitstag am 17. August will Joko Widodo
       den auf einem Hügel gelegenen Palast und einen Teil von Nusantaras Kernzone
       einweihen. Dann sollen auch die ersten 1.800 Beamten aus Jakarta herziehen,
       anvisiert ist, dass zum Jahresende schon 60.000 Menschen in Nusantara
       leben.
       
       Fertiggestellt soll die vom Präsidenten als „green and smart global city“
       gepriesene Stadt 2045 zu Indonesiens 100-Jahrfeier sein. Nusantara könnte
       mit 2.562 Quadratkilometern viermal so groß wie Jakarta werden, die
       Metropole hat derzeit 10 Millionen Einwohner, mit Umgebung 30 Millionen. In
       Nusantara sollen 2 Millionen Menschen leben, in einer zu 100 Prozent
       klimaneutralen Stadt, in der ausschließlich Elektrofahrzeuge unterwegs
       sind. 75 Prozent des Gebiets sollen Wald, Naturschutzgebiete und
       landwirtschaftliche Flächen sein. So weit der Plan, den Joko Widodo
       vorangetrieben hat.
       
       Am kommenden Mittwoch wird in Indonesien sein Nachfolger gewählt, im Juni
       gibt es vielleicht noch eine Stichwahl. Die Verfassung verbietet dem
       62-jährigen Präsidenten eine dritte Amtszeit. Widodos Verlangen danach
       irritierte viele und scheiterte auch an dessen eigener Partei.
       
       ## Ausgeprägtes Machtstreben
       
       Das Machtstreben des 2014 als unkonventioneller Reformer angetretenen
       Präsidenten, der aus einfachen Verhältnissen stammend zunächst
       Möbelfabrikant wurde, dann Bürgermeister der Provinzstadt Surakarta und
       später Gouverneur Jakartas, wurde in seiner zweiten Amtszeit immer
       ausgeprägter. Joko Widodo hat damit viele aus der ihn einst unterstützenden
       Demokratiebewegung verprellt. Trotzdem liegen seine Beliebtheitswerte fast
       zehn Jahre nach Amtsantritt immer noch bei 70 Prozent.
       
       Die Idee, die Hauptstadt von der stark dominierenden Insel Java zu
       verlagern, geht auf Indonesiens Gründungspräsidenten Sukarno zurück. Neben
       einer gerechteren Verteilung von wirtschaftlicher Macht, politischem
       Einfluss und angesichts des Bevölkerungswachstums spricht inzwischen auch
       Jakartas Absinken dafür. Der Wasserbedarf der Metropole lässt den
       Grundwasserspiegel sinken und damit auch die auf Schwemmland gebaute Stadt
       je nach Lage zwischen 1 und 24 Zentimeter pro Jahr. Zugleich steigt der
       Meeresspiegel infolge des Klimawandels.
       
       Jetzt entscheidet die Präsidentschaftswahl am 14. Februar mit darüber, wie
       es mit der neuen Hauptstadt weitergeht, wenn Joko Widodo als deren
       treibende Kraft im Oktober abtritt. In der drittgrößten Demokratie der Welt
       treten drei Kandidaten an: Der von Jokowi favorisierte
       Verteidigungsminister Prabowo Subianto und Ganjar Pranowo, Zentraljavas
       Ex-Gouverneur, sind für Nusantaras Bau und den Hauptstadtumzug, Ex-Minister
       und Jakartas früherer Gouverneur Anies Baswedan hat große Bedenken.
       
       Anies Baswedan verwies in einer TV-Debatte darauf, dass eine Firma Prabowos
       bei Nusantara Lizenzen für mehrere hunderttausend Hektar Land besitze.
       Kalimantan bräuchte anderes als eine Hauptstadt: „Dort müssen viele Schulen
       erneuert werden, es fehlen Eisenbahnstrecken und Schnellstraßen zwischen
       den Städten, den Bauern fehlt Dünger … Und da bauen wir einen Palast für
       den Präsidenten?“, kritisierte er.
       
       ## Das Lieblingsprojekt des Präsidenten
       
       Um die Abkehr von seinem Lieblingsprojekt zu erschweren, und Investoren
       Sicherheit zu geben, ließ der Präsident Nusantara vom Parlament gesetzlich
       verankern. Von neun Parteien stimmten acht dafür, nur die Islamisten
       dagegen. Sie unterstützen jetzt Anies Baswedan. Joko Widodo versprach, dass
       der Staat mit umgerechnet 35 Milliarden Dollar nur für ein Fünftel der
       Kosten Nusantaras aufkommen werde. Der Rest solle von privaten Investoren
       kommen.
       
       Einige indonesische Konglomerate und Staatskonzerne sind auch dabei.
       Derweil fürchten lokale indigene Gemeinschaften, die oft keine Landtitel
       haben, Vertreibungen und Umweltschützer Abholzungen und Naturzerstörung.
       Doch Nusantara fehlen Investoren aus dem Ausland. Laut dem Wirtschaftsblatt
       [1][Nikkei Asia ] hätten sich japanische Konzerne zwar in Kalimantan
       umgeschaut, aber keine Verträge geschlossen. Und Nippons Softbank, mit
       ihrem weltgrößten Technologiefonds, zog sich schnell wieder zurück.
       
       Offenbar spekulieren potenzielle Investoren auf mehr Vorleistungen des
       Staates. Vor allem warten sie die Wahlen ab. Dabei hatte Joko Widodo bisher
       Investitionserfolge. „Sein positives Erbe sind große Infrastrukturprojekte.
       Seine Regierung hat viele Autobahnen, Brücken, Airports, Häfen und
       Bahnlinien bauen lassen“, sagt Andreas Harsono, Indonesien-Experte von
       Human Rights Watch. Die neue Infrastruktur würde sich trotz gestiegener
       Verschuldung meist rechnen, so Harsono. Ein Problem sei aber die von China
       gebaute, 7,8 Milliarden Dollar teure Schnellzugstrecke Jakarta–Bandung. Als
       die Kosten eskalierten, forderte Peking von Jakarta Garantien. Jetzt macht
       das Projekt hohe Defizite auf Staatskosten.
       
       Ähnliches fürchten Kritiker bei Nusantara. Das Mammutprojekt könnte wohl
       kaum noch abgebrochen werden, aber vielleicht zur Provinzhauptstadt
       schrumpfen. „Ich halte von Nusantara überhaupt nichts. Das wird Indonesien
       noch teuer zu stehen kommen“, sagt Franz Magnis-Suseno. Der 87-jährige
       Theologe und Sozialphilosoph lebt seit 1961 in Indonesien, ist dort längst
       Staatsbürger und bekannter Kommentator. Er hat alle Präsidenten des Landes
       persönlich erlebt.
       
       ## Familiendynastie: Der Sohn im Spiel
       
       „Sukarno war sehr eingebildet, während Suharto um seine Schwächen wusste.
       Jokowi ist ein gerissener javanischer Machtpolitiker“, meint Franz
       Magnis-Suseno. „Der haut nicht mit der Faust auf den Tisch, sondern hört
       zu, wickelt seine Gegner ein und hat plötzlich alle in der Tasche, ohne sie
       zu erniedrigen.“ Die Beliebtheit, die der Präsident nun zur Beeinflussung
       der Wahl nutzt, erklärt er damit, dass jener trotz Finten Indonesien
       „friedlich und ohne Krisen regiert hat. Er ist ruhig und man kann sich
       unter ihm wohlfühlen.“
       
       Mithilfe seines Schwagers, der dem Verfassungsgericht vorsaß, [2][machte
       Joko Widodo im Oktober seinen ältesten Sohn plötzlich zum
       Vizepräsidentschaftskandidaten Prabowos.] Dem Ex-General werden schwere
       Menschenrechtsverletzungen unter Suharto vorgeworfen. Prabowo verlor zwei
       Wahlen gegen Joko Widodo.
       
       Doch der band ihn als Verteidigungsminister in seine Regierung ein, nachdem
       Prabowos Anhänger nach dessen Wahlniederlage gewaltsame Proteste
       angezettelt hatten. Nun könnte Prabowo durch Jokowis Sohn von der
       Beliebtheit des noch amtierenden Präsidenten profitieren und vielleicht im
       ersten Wahlgang gewinnen.
       
       Diesen Schachzug von Joko Widodo sehen viele als Beginn einer
       Familiendynastie. Das in der Reformphase („Reformasi“) nach Suhartos
       Diktatur geschaffene Verfassungsgericht blieb beschädigt zurück. Es teilt
       damit das Schicksal anderer inzwischen wieder geschwächter Institutionen
       aus der Reformasi-Zeit zur Verteidigung demokratischer Rechte, wie der
       Antikorruptions- oder der Wahlbehörde.
       
       „Wir waren geschockt“, sagt die Aktivistin Natalia Soebagjo von der
       Wahlbeobachtungsorganisation [3][Jaga Pemilu]. „Und jetzt werden unter
       Jokowi auch noch staatliche Mittel für den Wahlkampf missbraucht. Wir
       fordern alle dazu auf, Verstöße unbedingt zu melden.“
       
       ## Demokratie und Menschenrechte
       
       Harsono von Human Rights Watch sagt: „Jokowi ging es letztlich nie um
       Demokratie und Menschenrechte.“ In seiner zweiten Amtszeit hätten neue
       Gesetze die Meinungsfreiheit, Arbeitnehmer- und Frauenrechte, indigene
       Landrechte und den Umweltschutz wieder eingeschränkt.
       
       Für Joko Widodo habe nur die Stabilisierung seiner Herrschaft gezählt und
       jetzt der fortgesetzte Einfluss. „Dafür dient ihm die Umarmung Prabowos,
       die er jetzt mit der neuen Hauptstadt verknüpft.“ Kein Wunder, dass Jokowi
       den Präsidentenpalast in Nusantara noch unbedingt selbst einweihen will.
       
       12 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://asia.nikkei.com/Spotlight/The-Big-Story/Indonesia-s-new-capital-hinges-on-election-as-Jokowi-set-to-exit
 (DIR) [2] /Indonesien-vor-der-Wahl/!5978775
 (DIR) [3] https://jagapemilu.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
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