# taz.de -- Umstrittene Justizreform in der Slowakei: Lockerung bei Korruptionsstrafen
       
       > Die Opposition nannte die Pläne ein „Pro-Mafia-Paket“ und boykottierte
       > die Parlamentsabstimmung. Zuvor hatte es wochenlange Proteste gegeben.
       
 (IMG) Bild: Mit dem Slogan:„Wir haben genug von Fico“, protestieren Demonstrierende gegen die Strafrechtsreform in Bratislava
       
       BRATISLAVA taz | „Genug mit Fico“ und „Hamba, Hamba“ – „Schande“ riefen
       Tausende Demoteilnehmer*innen am vergangenen Mittwochabend vor dem
       slowakischen Parlament in Bratislava. Seit Monaten protestieren
       Anhänger*innen der oppositionellen Parteien, Student*innen,
       Journalist*innen und Polizist*innen einmal wöchentlich gemeinsam
       gegen die slowakische Regierung und ihren Ministerpräsidenten Robert Fico.
       
       Auslöser dafür ist eine umstrittene Justizreform, [1][Ficos größtes
       Wahlversprechen bei seiner Wiederwahl im November 2023]. Trotz erheblicher
       Bedenken wurde in einem Schnellverfahren am vergangenen Donnerstag im
       Parlament dieser Reform zugestimmt. Von insgesamt 150 Abgeordneten stimmten
       78 Parlamentarier*innen der linksnationalen Regierung aus den
       Parteien Smer, Hlas und SME dafür. Die Opposition boykottierte die
       Abstimmung.
       
       Die Reform sieht unter anderem eine Lockerung für Korruptionsstrafen sowie
       einen verringerten Schutz für Whistleblower vor. Außerdem will Fico eine
       Sonderstaatsanwaltschaft abschaffen, die sich mit organisiertem Verbrechen
       beschäftigt. Gerade diese geplante Änderung erscheint
       Regierungsbeobachter*innen zynisch. Schließlich hatten 2018
       [2][nach der Ermordung des Journalisten Ján Kuciak] eben solche
       Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung zu deren Rücktritt geführt.
       
       Damals im Amt des Ministerpräsidenten: Robert Fico. Auch deshalb
       bezeichneten Redner*innen der Oppositionsparteien auf den
       Demonstrationen der letzten Wochen die Pläne der Regierung als
       „Pro-Mafia-Paket“, mit dem Fico seine Gegner aus dem Weg räumen wolle.
       
       Sobald das Gesetz in Kraft trete, könnten auch Personen, deren Fälle gerade
       verhandelt werden, mit Bewährungsstrafen davonkommen, sagt Matúš Zdút,
       Reporter der investigativen Tageszeitung Denník N. Die Zeitung berichtete
       in diesem Zusammenhang etwa [3][von dem Oligarchen Norbert Bödör]. Obwohl
       er in einen der größten Korruptionsfälle, den „Cattleman-Fall“ verwickelt
       ist, könnte er mit der neuen Reform eine Bewährungsstrafe bekommen, und
       nicht mehr zwölf Jahre Gefängnis, wie nach aktuellem Recht.
       
       ## Abgeordnete profitieren selbst von ihrem Gesetz
       
       [4][Die liberale Präsidentin der Slowakei Zuzana Čaputová] machte am
       Donnerstag in einer öffentlichen Rede darauf aufmerksam, dass an der
       Gesetz-Umschreibung und an der Abstimmung selbst Abgeordnete beteiligt
       waren, die von einer geringeren Strafe für Korruption profitieren würden,
       darunter Petr Žiga (Hlas) und Tibor Gašpar (Smer). Sie bezeichnete die
       Verabschiedung des Gesetzes als „schlechte Nachricht für die Slowakei und
       all ihre Bürger“.
       
       Nun hat Čaputová genau 15 Tage Zeit, um ein Veto einzulegen. Allerdings
       kann ihre Stimme mit einer einfachen Mehrheit vom Parlament überstimmt
       werden. Sie kündigte an, dass sie alle Rechtsmittel prüfen werde, um die
       Justizreform zu stoppen. Auch wird das Verfassungsgericht in der Slowakei
       prüfen, inwiefern die Novelle verfassungswidrig ist. Diese Überprüfung kann
       allerdings sich allerdings hinziehen. Das Gesetz – da es in einem
       Schnellverfahren geändert wurde – tritt hingegen schon bald in Kraft. Die
       ersten Änderungen sind bereits auf Mitte März datiert.
       
       Die Abstimmung im Parlament wurde durch die Meldung überschattet, die erst
       am Mittwoch öffentlich wurde: Die in der Gesetzesänderung vorgesehene
       Verjährungsfrist von Straftaten gilt auch bei Verjährungen bei
       Vergewaltigungen. Aktuell liegt sie bei zwanzig Jahren und sie soll auf
       zehn heruntergesetzt werden. Die Regierung begründete diese Änderung damit,
       dass sie Frauen ermutigen wolle, sexualisierte Gewalt schnell anzuzeigen.
       
       Auch die Opposition reichte hierzu Änderungsvorschläge im Parlament ein,
       kein einziger Vorschlag wurde angenommen.
       
       ## Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei ernsthaft gefährdet
       
       Die Europäische Staatsanwaltschaft (EuSta) bezeichnete die Reformpläne in
       dem EU-Mitgliedsland als „ein ernsthaftes Risiko der Verletzung der
       Rechtsstaatlichkeit“. Auch die Europäische Kommission zeigte sich besorgt
       über die aktuellen Entwicklungen in der Slowakei und drohte am vergangenen
       Freitag erneut mit der Aussetzung europäischer Gelder an den
       Mitgliedsstaat. [5][Die Europäische Union hatte in der Vergangenheit schon
       Polen und Ungarn mit Kürzungen bestraft]. Mitte Januar verurteilte das
       Europaparlament in einer Resolution die Reformpläne.
       
       Entscheidend wird nun sein, wie die Europäische Kommission alle
       Änderungsanträge bewertet, um über mögliche Kürzungen zu entscheiden.
       
       Auf den Demos wehten in den vergangenen Wochen viele Europaflaggen. Auch
       [6][Banner mit den Namen des ermordeten Journalisten Ján Kuciak und seiner
       Verlobten Martina Kušnírová] waren zu sehen. Die Massen auf den Straßen
       erinnern an den öffentlichen Aufruf für Demokratie nach deren Tod vor sechs
       Jahren.
       
       „Die Proteste zeigen, dass Menschen, die die Korruption und die Versuche
       der Regierung, den Staat zu übernehmen, als beunruhigend empfinden, immer
       noch eine Chance für die Slowakei sehen“, schrieb die Onlinezeitung Slovak
       Spectator Mitte Januar. Weitere Proteste sind angekündigt.
       
       10 Feb 2024
       
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