# taz.de -- Pressefreiheit in der Slowakei: Die Wunde ist nicht verheilt
       
       > Sechs Jahre nach dem Mord am Journalisten Ján Kuciak bleibt die
       > Pressefreiheit in der Slowakei prekär. Premier Fico sieht Journalisten
       > als Hindernis.
       
 (IMG) Bild: Gedenkveranstaltung für Ján Kuciak und Martina Kušnírová 2019 in Bratislava
       
       BRATISLAVA taz | Am Mittwoch erinnert die Slowakei an den Auftragsmord an
       Ján Kuciak, der an diesem Tag sechs Jahre zurückliegt. Kuciak wurde nur 27
       Jahre alt. Der Doppelmord an Kuciak und seiner Partnerin Martina Kušnírová
       folgte auf Kuciaks Arbeit als Investigativjournalist zu Korruption im
       Land.
       
       [1][Nach seinem Tod wurden Recherchen] zu Verbindungen von hohen
       Staatsbeamten zur italienischen Mafia und Veruntreuung von EU-Agrarhilfen
       veröffentlicht. Als die Zivilgesellschaft realisierte, wie korrupt das Land
       ist, folgten Protestwellen der Empörung. Auf den Straßen in Bratislava, in
       Košice, in Banská Bystrica, überall kamen Tausende zu Protesten zusammen –
       so viele wie seit der sogenannten [2][Samtenen Revolution] zur Beendigung
       des Kommunismus 1989 nicht mehr.
       
       2018 forderten sie Gerechtigkeit für Ján Kuciak und wollten sich nicht mehr
       gefallen lassen, dass schmutziges Geld in die Taschen der Regierung
       wanderte. Und ihre Wut zeigte Wirkung: [3][Robert Fico musste als
       Premierminister zurücktreten] und mit ihm Schlüsselpersonen in Staat und
       Polizei.
       
       ## Denkmal in Bratislava
       
       Auch der [4][Fall Kuciak landete vor Gericht], 2023 gestand der Ex-Soldat
       Miroslav Marček den Auftragsmord an Kuciak. Auch weiterhin gibt es
       Demonstrationen, die des ermordeten Journalisten gedenken. 2022 kam ein
       Denkmal aus kantigem Metall in Bratislava dazu. Es stellt die Wunde dar,
       die der Mord damals in die Gesellschaft gerissen hat.
       
       Doch heute, sechs Jahre später, sind die politischen Verhältnisse von
       damals beinahe wiederhergestellt. Denn [5][Fico wurde 2023 wiedergewählt].
       Und mit ihm eine homophobe, antieuropäische Regierung. Was bedeutet sein
       Wahlsieg für die Pressefreiheit im Land?
       
       Der prorussische Premierminister baut das Land seit seinem Amtseintritt vor
       vier Monaten nach seinen Vorstellungen um. Im Schnellverfahren hat Fico
       etwa eine Justizreform veranlasst, die Strafen für Korruption deutlich
       heruntersetzen könnte.
       
       „Fico hat verstanden, dass ihn damals auch die unabhängigen Medien zu Fall
       gebracht haben“, sagt Matúš Kostolný, Chefredakteur der slowakischen
       Investigativzeitung Denník N. Deshalb gehe der Premierminister heute härter
       als in seinen bisherigen Amtszeiten gegen Medien vor. Zu seinem
       Diffamierungsprogramm gehört unter anderem die Androhung, den
       öffentlich-rechtlichen Sender RTVS zu zerschlagen.
       
       ## Prorussische Ausrichtung
       
       Das kritisierte Mitte Januar bereits das EU-Parlament in einer Resolution.
       Seit Januar beantwortet er außerdem keine Fragen von wichtigen Medien mehr,
       darunter das Nachrichtenportal Aktuality, für das Kuciak arbeitete.
       
       „Als Fico zurücktrat, dachte ich, das wäre das Ende. Ich habe mich komplett
       verschätzt“, sagt Kostolný. Denn damals habe die Zivilgesellschaft eine
       gemeinsame Stärke bewiesen. Niemals habe der Chefredakteur so viel Zuspruch
       erlebt, wie nach Kuciaks Ermordung. Und die Abonnent*innen sind der
       Zeitung erhalten geblieben. Aber das Land sei eben so polarisiert, wie etwa
       in den USA. Es gebe einen Teil, der glaube, dass Fico und seine
       prorussische Ausrichtung und harte Hand die beste Lösung wäre, versucht
       Kostolný Ficos Wiederwahl zu erklären.
       
       Auch Presseanfragen von Denník N beantwortet der Premierminister seit
       Anfang des Jahres nicht mehr. „Zum Glück sind wir im Gegensatz zu vielen
       anderen Institutionen unabhängig von Oligarchen und der Regierung“, sagt
       Kostolný. Deshalb könne die Zeitung trotz Ficos Drohungen kritisch
       berichten.
       
       Neben der öffentlichen Diffamierung von etablierten Institutionen und
       Medien baut Fico seine Macht in selbsternannten alternativen Medien aus.
       „Das ist ein Riesenproblem“, sagt Dominika Hajdu, politische Leiterin des
       Zentrums für Demokratie und Resilienz Globsec. Fico wird für diejenigen
       präsenter, die sowieso auf solchen Plattformen unterwegs sind. Außerdem
       mache die Regierung verschwörungstheoretische Inhalte in einem größeren
       Teil der Gesellschaft salonfähig, sagt Hajdu.
       
       ## Anfällig für Desinformation
       
       Umfragen von Globsec zeigen, dass Slowak*innen im Vergleich zu anderen
       Ländern in Mittelosteuropa [6][besonders anfällig für Desinformationen]
       sind. Demnach glaubte 2019 mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent),
       dass das Weltgeschehen von geheimen Gruppen entschieden wird, die eine
       totalitäre Weltordnung errichten wollten. Laut Hajdu fehlt vielen aufgrund
       von schlechter Bildung die Fähigkeit des „kritischen Lesens“.
       
       Auch dass es häufig prorussische Propaganda ist, spielt eine Rolle. Um das
       zu verstehen, müsse man tief zurückgehen in die Geschichte der slowakischen
       Nationenbildung, sagt Kostolný. „Manche haben immer noch diese dumme
       Hoffnung, dass Russland uns als eine slawische Nation helfen wird, ein
       eigenständiges Land zu sein“, sagt Kostolný von Denník N. „Obwohl wir über
       zwanzig Jahre von Russland besetzt waren.“ Auch Premierminister Fico
       spricht diejenigen an, die nostalgisch an den Kommunismus denken.
       
       Heute ist das Land aber Mitglied der EU und der Nato. Die aktuellen
       Einschnitte in der Pressefreiheit und Demokratie im Land bleiben deshalb in
       diesen Institutionen nicht unbeachtet. Am vergangenen Freitag war bekannt
       geworden, dass die Europäische Kommission droht, EU-Gelder einzufrieren,
       sollte die Justizreform so umgesetzt werden. „Es ist sehr wichtig, dass wir
       als EU-Institution Werkzeuge an die Hand geben, um Journalist*innen zu
       schützen“, sagt Vladimír Bilčík, Mitglied des EU-Parlaments (EVP).
       Hilfreich sei dafür etwa der auf den Weg gebrachte [7][European Media
       Freedom Act] sowie die volle Transparenz über Eigentumsverhältnisse von
       Medien in der Slowakei, um das Vertrauen wieder zu stärken.
       
       Im April sind Präsidentschaftswahlen in der Slowakei. Die liberale
       Präsidentin Zuzana Čaputová hat bereits verkündet, dass sie nicht wieder
       antreten wird. Damit an ihre Stelle nicht einer von Ficos Gefolgsleuten
       gelangt, muss die demokratische Opposition auch einen Teil der
       Fico-Wähler*innen überzeugen. Auch bei der Europawahl dieses Jahr wird die
       Positionierung des Landes bedeutend sein.
       
       Die unabhängigen Medien im Land versuchen weiterhin, gegen die
       Polarisierung anzuarbeiten. „Wir werden von der Regierung gehasst“, sagt
       Kostolný. Das sei ein gutes Zeichen. Noch sei die mediale Situation nicht
       so schlimm wie etwa in Ungarn, und vielleicht könne sich, wie in Polen,
       alles zum Besseren wenden.
       
       21 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nach-dem-Mord-an-Kuciak-in-der-Slowakei/!5708317
 (DIR) [2] /Samtene-Revolution-in-Prag/!5638706
 (DIR) [3] /Regierungskrise-in-der-Slowakei/!5489117
 (DIR) [4] /Nach-Mord-an-slowakischem-Journalisten/!5933200
 (DIR) [5] /Wahlen-in-der-Slowakei/!5964209
 (DIR) [6] /Parlamentswahl-in-der-Slowakei/!5962963
 (DIR) [7] https://www.europarl.europa.eu/committees/en/european-media-freedom-act/product-details/20230908CAN70988
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ann-Kathrin Leclere
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Slowakei
 (DIR) Robert Fico
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Pressefreiheit in Europa
 (DIR) Investigativer Journalismus
 (DIR) Journalismus
 (DIR) Auftragsmord
 (DIR) Desinformation
 (DIR) Ján Kuciak
 (DIR) Slowakei
 (DIR) Attentat
 (DIR) Slowakei
 (DIR) künstliche Intelligenz
 (DIR) Slowakei
 (DIR) Slowakei
 (DIR) Slowakei
 (DIR) Ján Kuciak
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Medienreform in der Slowakei: Parlament stimmt für Rundfunkumbau
       
       Für ihre umstrittene Medienreform erhielt Regierung in Bratislava eine
       Parlamentsmehrheit. Die Opposition boykottiert die Sitzung.
       
 (DIR) Angriff auf slowakischen Premier: Ficos Zustand „weiterhin ernst“
       
       Slowakische Medien berichten, der Premier habe nach der OP wieder das
       Bewusstsein erlangt. Es gibt Hinweise auf ein politisches Motiv des
       Attentats.
       
 (DIR) Neuer slowakischer Präsident Pellegrini: Prorussisch und regierungstreu
       
       Peter Pellegrini gewinnt die Präsidentschaftsstichwahl in der Slowakei.
       Auch russische Desinformationskampagnen bremsten Gegenkandidat Korčok aus.
       
 (DIR) KI zum Klonen von Stimmen: Künstliche Stimmen, ganz natürlich
       
       Ein Tool zum Klonen von gesprochener Sprache sorgt für Diskussionen. Der
       Hersteller betont die Potenziale – und schreckt vor einer Freigabe zurück.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in der Slowakei: Europa liegt überraschend vorn
       
       Ex-Diplomat und Proeuropäer Korčok landete deutlich vor dem Favoriten
       Pellegrini. Bei der Stichwahl am 6. April steht der Kurs zur Ukraine auf
       dem Spiel.
       
 (DIR) Umstrittene Justizreform in der Slowakei: Lockerung bei Korruptionsstrafen
       
       Die Opposition nannte die Pläne ein „Pro-Mafia-Paket“ und boykottierte die
       Parlamentsabstimmung. Zuvor hatte es wochenlange Proteste gegeben.
       
 (DIR) Parlamentswahl in der Slowakei: Gewinnt ein linker Orbán?
       
       In den Umfragen führt die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Robert
       Fico. Seine Kampagne knüpft an prorussische Desinformation an.
       
 (DIR) Nach Mord an slowakischem Journalisten: Wieder Freispruch
       
       Der Journalist Kuciak und seine Verlobte Kušnírová wurden 2018 ermordet.
       Ein Gericht sprach den mutmaßlichen Auftraggeber erneut frei.