# taz.de -- Gerichtspräsidentin über Volksinis: „Keine feindliche Grundhaltung“
       
       > Fast immer stoppt das Hamburger Verfassungsgericht Volksinitiativen – auf
       > Antrag des Senats. Gerichtspräsidentin Birgit Voßkühler erklärt, warum.
       
 (IMG) Bild: Hier war Schluss: Aktivisten der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen 2023 vor dem Hamburger Verfassungsgericht
       
       taz: Frau Voßkühler, stimmen Sie dieser Aussage zu: In Hamburg ist es
       nahezu unmöglich geworden, eine Volksinitiative zu starten, die nicht von
       Ihnen gestoppt wird? 
       
       Birgit Voßkühler: Der Aussage stimme ich nicht zu. Es kommt allein darauf
       an, ob die Volksinitiative mit höherrangigem Recht vereinbar ist.
       
       Aber der [1][letzte Volksentscheid] ist nun mehr als ein Jahrzehnt her,
       allein seit Ihrem Amtsantritt 2020 haben Sie alle fünf Ihnen vorgelegten
       Volksinitiativen gestoppt, drei weitere warten gerade auf Ihr Urteil. 
       
       Ja, das Verfassungsgericht hat die zuletzt vorgelegten Volksinitiativen für
       nicht rechtskonform gehalten. Die Initiativen hatten solche Mängel, dass
       wir zu diesem Ergebnis kommen mussten. Aber das hatte in den verschiedenen
       Verfahren ganz unterschiedliche Gründe, [2][jedes Urteil ist eine
       Einzelfallentscheidung.] Dahinter steht keine volksinitiativenfeindliche
       Grundhaltung.
       
       Ist es nicht eine unfaire Hürde, dass Volksinitiativen mit
       Gesetzesentwürfen etwas vorlegen sollen, was selbst den Behördenapparaten
       nicht immer gelingt? 
       
       Vorab, das Volksabstimmungsgesetz bietet zwei Wege an: Zum einen können
       Gesetzentwürfe vorgelegt und zur Abstimmung gestellt werden. Wird ein
       Gesetz durch Volksentscheid verabschiedet, tritt es mit der gleichen
       Wirkung in Kraft wie jedes durch die Parlamente beschlossene Gesetz. Es
       bindet dann Staatsorgane und Bürgerinnen und Bürger. In deren Interesse
       muss ein von einer Volksinitiative formuliertes Gesetz den gleichen
       Anforderungen genügen wie ein parlamentarisches Gesetz. Das hat mit
       „Fairness“ gegenüber Volksinitiativen nichts zu tun, sondern ist eine Frage
       der Rechtsstaatlichkeit. Die Gesetzentwürfe müssen für eine Volksinitiative
       in Hamburg geeignet sein, in die komplexe Rechtsordnung passen und den
       rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechend formuliert sein.
       
       Was meint das konkret? 
       
       Gesetzesvorhaben können nur dann von Volksinitiativen in Hamburg zur
       Abstimmung gestellt werden, wenn sie auf Landesebene beschlossen werden
       können. Man muss also zunächst herauszufinden, ob für die Umsetzung eines
       politischen Vorhabens nicht eine andere Ebene, etwa der Bund, zuständig
       ist. Und wenn ein Vorhaben auf Landesebene regelbar ist und die Grenzen der
       Landesverfassung für Volksinitiativen gewahrt sind, muss die Initiative ein
       Gesetz formulieren, das mit dem darüber stehenden Recht, insbesondere dem
       Recht auf Bundesebene, in Einklang steht. Ein politisches Anliegen in eine
       Initiative zu gießen, aus der politischen Idee also ein Gesetz zu machen,
       das in dieses Korsett passt, ist also nicht einfach.
       
       Und ist der andere Weg einfacher? 
       
       Neben Gesetzesvorhaben sind sogenannte „andere Vorlagen“ möglich. Sie
       zielen auf bestimmte, punktuelle Handlungen ab – anders als ein auf Dauer
       angelegtes abstraktes Gesetz. Hinter der Eröffnung dieser beiden Wege stand
       ursprünglich die Idee, dass es dem Volk in gleicher Weise möglich sein
       sollte, Entscheidungen zu treffen wie der Bürgerschaft. Auch Parlamente
       können zum einen Gesetze erlassen und zum anderen schlichte Beschlüsse
       fassen, mit denen sie die Regierung zum Handeln in einer konkreten
       Angelegenheit auffordern. Ein solcher schlichter Beschluss ist allerdings
       nicht bindend, er ist vielmehr ein Zeichen an die Regierung, dass das
       Parlament es für erforderlich hält, in dieser Sache aktiv zu werden. Mit
       dem Volksabstimmungsgesetz, so wie es im Jahr 1996 eingeführt wurde, gab es
       einen entsprechenden Appell auch bei Volksabstimmungen.
       
       Und das ist aber heute anders? 
       
       Ursprünglich waren die anderen Vorlagen in der Volksgesetzgebung ebenso
       unverbindlich wie Beschlüsse der Bürgerschaft. Wenn der Hamburger Senat bei
       schlichten Parlamentsbeschlüssen der Bürgerschaft sagt: „Will ich nicht“,
       oder: „Will ich anders“, dann geht er so vor, wie er es für richtig hält –
       die schlichten Beschlüsse der Bürgerschaft binden ihn nicht. 2008 aber
       wurde die Verfassung geändert und den anderen Vorlagen verbindliche Kraft
       beigemessen – Senat und Bürgerschaft sind seit dem Inkrafttreten der
       Verfassungsänderung an andere Vorlagen gebunden und zu ihrer Umsetzung
       verpflichtet.
       
       Dieser Weg ist also für Volksinitiativen der leichtere – und im Erfolgsfall
       auch noch bindend für die Regierenden? 
       
       Die verbindliche Wirkung anderer Vorlagen, die zugunsten von
       Volksentscheiden eingeführt worden ist, hat zur Folge, dass die
       Anforderungen höher geworden sind: Andere Vorlagen dürfen nun nur solche
       Verpflichtungen enthalten, die vom in die Pflicht genommenen Staatsorgan –
       im Regelfall vom Senat – in rechtlich zulässiger Weise umgesetzt werden
       können. Auch eine andere Vorlage darf also nur dann zur Abstimmung gestellt
       werden, wenn das, was gefordert wird, in die Rechtsordnung passt. Die
       rechtlichen Anforderungen sind damit bei anderen Vorlagen nicht niedriger.
       Es mag etwas weniger komplex sein, eine andere Vorlage auf den Weg zu
       bringen. Letztlich kommt es bei der Wahl des Weges für eine Volksinitiative
       aber darauf an, was sie erreichen will.
       
       Nun ist es ja immer der Hamburger Senat, der die Initiativen vor Ihr
       Gericht bringt – und sie damit stoppen will. „Der Senat klagt alles weg“
       ist ein Satz, den in Volksinitiativen Engagierte in den vergangenen Jahren
       häufig gesagt haben. Ist da wirklich gar nichts dran? 
       
       Es stimmt, dass der Senat in den vergangenen Jahren die von Ihnen
       angeführte Reihe von Volksbegehren vor das Verfassungsgericht gebracht hat.
       Hierbei muss man sehen, dass der Senat die Vorgabe aus dem
       Volksabstimmungsgesetz befolgen muss, dem Gericht Volksinitiativen immer
       dann zur Prüfung vorzulegen, wenn erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit
       mit höherrangigem Recht bestehen. Und man muss sehen, dass sich die Zweifel
       des Senats in den bislang entschiedenen Verfahren immer bestätigt haben. An
       der Aussage „Der Senat klagt alles weg“ stört mich, dass sie den Vorwurf an
       den Senat enthält, er verfolge das Ziel, die Volksgesetzgebung zu
       unterbinden. So ist es nicht. Eine vorherige Prüfung der Rechtmäßigkeit
       verhindert, dass das Volk ein Gesetz beschließt oder sich für eine Vorlage
       ausspricht, die sich anschließend als nicht rechtskonform herausstellt. Das
       würde zu sehr viel Frust führen.
       
       Sie sprachen gerade schon diese im Gesetz stehenden „erheblichen Zweifel“
       an, die Bedingung für eine Klage sind. Das klingt aber doch nach einem
       recht dehnbaren Begriff, den der Senat für sich ausnutzen kann. 
       
       Die „erheblichen Zweifel“ an der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht sind
       nicht Voraussetzung für einen Antrag des Senats an das Verfassungsgericht.
       Der Senat hat – ebenso wie die Bürgerschaft und ein Fünftel ihrer
       Abgeordneten – auch schon bei einfachen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit das
       Recht, ein Verfahren beim Verfassungsgericht zu führen. Die Idee hinter der
       Norm, die den Senat verpflichtet, dem Gericht bei erheblichen Zweifeln die
       Initiative zur Prüfung vorzulegen, ist, dass es nicht der Opportunität des
       Senats unterliegen soll, ob er gegen eine Volksinitiative vorgeht oder
       nicht. Er soll nicht die Initiativen, die ihm politisch passen, trotz
       erheblicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit durchlaufen lassen können.
       
       Sind es denn aus Ihrer juristischen Sicht häufig dieselben offensichtlichen
       Fehler, die Initiator:innen machen? 
       
       Ein häufiger Fehler ist der Start einer Initiative auf einem Gebiet, für
       das Hamburg als Bundesland kompetenzrechtlich nicht zuständig ist. Aber wir
       arbeiten bei jeder Überprüfung einer Volksinitiative einen Prüfkatalog ab
       und treffen in unseren Entscheidungen auch Aussagen zu Prüfungspunkten, auf
       die es im Ergebnis nicht ankommt.
       
       Warum? 
       
       Das machen wir, weil wir unsere Aufgabe auch darin sehen, Klarheit für
       [3][künftige Volksinitiativen] zu schaffen. Entscheidungen diskutieren wir
       im gesamten Gremium intensiv, jeder Satz einer Entscheidung wird durch die
       Mitglieder des Verfassungsgerichts bestätigt. Wir sind uns der Bedeutung
       unserer Entscheidungen sehr bewusst. Die [4][Volksgesetzgebung ist ein
       wirkmächtiges, aber eben auch sehr anspruchsvolles Instrument], das von
       den Volksinitiativen und vom Verfassungsgericht mit Respekt und Bedacht
       behandelt werden muss.
       
       26 Jun 2024
       
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