# taz.de -- Staatliches Fernsehen in Argentinien: Schließung mitten in der Nacht
       
       > Argentiniens Präsident Javier Milei schließt die staatliche
       > Nachrichtenagentur Télam. Noch regt sich Widerstand im Land.
       
 (IMG) Bild: Erprobt im Widerstand: Arbeiter*innen von Telám protestieren gegen die Schließung der Nachrichtenagentur
       
       BUENOS AIRES taz | Es ist ein beängstigender Vorgang. Nur 48 Stunden
       nachdem der libertäre argentinische Präsident Javier Milei Anfang März in
       seiner [1][ersten Rede vor dem Kongress] die Schließung der staatlichen
       Nachrichtenagentur Télam angekündigt hatte, wurden sämtliche Beschäftigten
       freigestellt. „Es wird darauf hingewiesen, dass das gesamte Télam-Personal
       ab Sonntag, dem 3. März dieses Jahres, um 23.59 Uhr, für einen Zeitraum von
       sieben Tagen unter Fortzahlung des Gehalts von der Arbeit freigestellt
       ist“, heißt es in der knappen Mitteilung.
       
       Und während sich die Freistellungstelegramme noch in den digitalen
       Briefkästen der 755 Betroffenen eintrafen, wurden die Eingänge zu den
       beiden Gebäuden der Nachrichtenagentur in Buenos Aires in der Nacht auf
       Montag von Polizeieinheiten mit Gitterzäunen abgeriegelt und Wachen
       aufgestellt. Seitdem ist [2][die Website der Agentur] mit dem Hinweis auf
       Umbauarbeiten gesperrt.
       
       Die in einem der Gebäude überraschten Journalist*innen verbreiteten die
       Nachricht selbst, alarmierten ihre Kollegen*innen und filmten die
       Abriegelung. „Sie haben das staatliche Medienunternehmen Télam mitten in
       der Nacht geschlossen. Die Regierung führt einen der schlimmsten Angriffe
       auf die Meinungsfreiheit in den 40 Jahren der Demokratie durch“, erklärten
       sie auf der digitalen Plattform X. Wer am Montagmorgen versuchte, zu seinem
       Arbeitsplatz zu gelangen, scheiterte an der Absperrung.
       
       „Das hat absolut nichts mit Informations- oder Medienpluralismus oder mit
       Fragen der Meinungsfreiheit zu tun, sondern es geht einfach darum, das zu
       erfüllen, was der Präsident im Wahlkampf versprochen hat. Jetzt hat der
       Präsident die Anweisung gegeben, es umzusetzen“, erklärte
       Präsidentensprecher Manuel Adorni. Télam habe mittlerweile 24 Millionen
       Dollar an Verlusten angehäuft, fügte er hinzu.
       
       ## Geschichten aus dem entlegensten Winkel
       
       Die Nachrichtenagentur blickt auf eine lange Geschichte zurück. Sie wurde
       1945 vom damaligen Präsidenten Juan Domingo Perón unter dem Namen
       ‚Télenoticiosa Americana‘ (später abgekürzt als Télam) gegründet und sollte
       einen Gegenpol zu den damals dominierenden US-Agenturen wie United Press
       International (UPI) und Associated Press (AP) bilden. 78 Jahre später
       umfasst sie ein Netz von 27 meist kleinen Korrespondentenbüros im ganzen
       Land, die aus den entlegensten Winkeln des Landes berichten und damit eine
       einzigartige Funktion erfüllen, die eine private Agentur nicht erfüllen
       könnte.
       
       Hauptnutznießer sind kleine Medien, die solche lokalen Berichte in ihren
       Printausgaben, Internetportalen oder Radio- und Fernsehsendungen verwenden.
       Nach Angaben Télams werden mehr als 800 überwiegend private Kunden mit rund
       20.000 Artikeln, Nachrichtentexten, Audios und Fotos pro Monat beliefert.
       
       „Können Sie sich vorstellen, das Télam-Gebäude offen zu lassen, damit sie
       es übernehmen können?“, konterte Präsident Milei, als er gefragt wurde, ob
       das alles nicht übertrieben sei. „Mit der Sicherheitsministerin haben wir
       beschlossen, dass wir Zäune aufstellen und niemand das Gebäude betreten
       darf.“ Die Journalisten hätten sicher keinen Tumult veranstaltet, erklärte
       Milei. „Aber bei Télam gibt es 100 barrabravas (Hooligans)“, schimpfte er.
       
       Milei hatte schon vor seinem Amtsantritt am 10. Dezember die Privatisierung
       staatlicher Medieneinrichtungen angekündigt, allen voran von TV Pública,
       Radio Nacional und der Nachrichtenagentur Télam. „Das öffentliche Fernsehen
       ist zu einem Propagandamechanismus geworden. Ich halte nichts davon, ein
       verdecktes Propagandaministerium zu haben: Es muss privatisiert werden. Das
       Gleiche gilt für Radio Nacional und die Nachrichtenagentur Télam. Alles,
       was in den Händen des privaten Sektors sein kann, wird in den Händen des
       privaten Sektors sein“, erklärte der 53-Jährige im Einklang mit seiner
       marktradikalen Ideologie. Von einer Schließung war jedoch da noch nicht die
       Rede.
       
       ## Fernsehen als Propagandamedium
       
       Das staatliches Medienunternehmen Radio y Televisión Argentina (RTA) mit
       seinen rund 2.400 Beschäftigten wurde 2009 unter der damaligen Präsidentin
       Cristina Kirchner gegründet. Es ist für den Betrieb des staatlichen
       Fernsehens (TV Pública), des nationalen Radios (Radio Nacional) und des
       argentinischen Radios im Ausland (Radiodifusión Argentina al Exterior)
       zuständig.
       
       Formalrechtlich ist RTA eine private Aktiengesellschaft, deren Aktien sich
       im Besitz des Staates befinden. Der Staat ist auch Eigentümer des
       renommierten Dokumentarsenders Encuentro und des [3][Kinderkanals Paka
       Paka].
       
       Alle Kanäle und Sender sind gebührenfrei über Antenne zu empfangen, zwei
       immens wichtige Faktoren in dem riesigen Flächenland, in dem 60 Prozent der
       46 Millionen Argentinier*innen unterhalb der Armutsgrenze leben und wo
       Kabelgebühren nicht zur Basisversorgung gehören.
       
       Es wäre jedoch nicht ganz richtig, die staatlichen Medien mit dem
       öffentlich-rechtlichen System in Deutschland gleichzusetzen, auch wenn das
       spanische Wort „pública“ mit „öffentlich“ übersetzt wird. Der Vorwurf, die
       RTA sei ein Propagandamedium, ist nicht ganz unberechtigt. Keine der
       Regierungen hat bisher der Versuchung widerstehen können, die RTA und Télam
       mit mehr oder weniger regierungstreuen Inhalten, Meinungen und Personen zu
       füllen.
       
       Ein Satz aus Mileis Kongressrede löste bei nicht wenigen seiner
       Zuhörer*innen zustimmendes Nicken aus: „Wir werden die Agentur Télam
       schließen, die in den letzten Jahrzehnten als Propagandaagentur der
       Kirchneristen benutzt wurde“, sagte der Präsident.
       
       ## Erste Opfer der Schließung
       
       Bereits Anfang Februar hatte er Radio y Televisión Argentina und Télam zwei
       Zwangsverwaltern unterstellt, die wiederum seinem Kabinettschef Nicolás
       Posse unterstehen. Ihre Aufgabe ist es, „einen Reform-, Anpassungs- und
       Aktionsplan für die Unternehmen zu erstellen“, sprich Anstalten und Agentur
       für den Verkauf fit zu machen. Von einer Schließung war auch damals nicht
       die Rede.
       
       Eines der ersten inhaltlichen Opfer bei TV Pública war die Sendung der
       Menschenrechtsorganisation Mütter der Plaza de Mayo. Die vom staatlichen
       Fernsehen bezahlte Produktion sollte die Erinnerung an die
       Menschenrechtsverbrechen der letzten Militärdiktatur (1976–1983) wachhalten
       und wurde seit dem 5. Januar 2008 jeden Samstag ausgestrahlt.
       
       „Wir bedauern die grobe Fehleinschätzung von Milei: Wenn er glaubt, dass
       unser Kampf mit der Absetzung der Sendung enden wird, irrt er sich
       gewaltig. Wir werden auf der Plaza de Mayo weitermachen und seiner
       verdammten Regierung ein Ende bereiten“, kommentierten die Madres. Die
       Regierung wusch sich derweil die Hände in Unschuld. Der im Dezember 2023
       auslaufende Produktions- und Sendevertrag mit der
       Menschenrechtsorganisation sei schlicht nicht verlängert worden, ließ sie
       verlauten.
       
       Ähnlich wurde mit den befristeten Verträgen vieler Beschäftigter verfahren.
       Allein bei Radio Nacional wurden 500 auslaufende Verträge nicht verlängert.
       Anfang März wurden weitere 100 Verträge nicht verlängert. Auch hier die
       bekannte Begründung: „Es gibt keine Entlassungen“, sagte der neue
       Radiodirektor Héctor Cavallero. „Es handelt sich um auslaufende Verträge,
       meist von Direktoren, die von früheren Regierungen ernannt wurden, und von
       einzelnen Mitarbeitern inmitten überfüllter Radiosender.“
       
       ## Erfahrung in Sachen Widerstand
       
       Die ausgesperrten Télam-Beschäftigten haben gegenüber dem vergitterten
       Eingang ein kleines Protestcamp aufgebaut. Der Konflikt soll nicht nur für
       die Öffentlichkeit sichtbar bleiben. Er wird auch von ihnen als Testlauf
       der Regierung interpretiert, der bei Erfolg einschneidende Kürzungen bei
       den anderen staatlichen Medien nach sich ziehen wird.
       
       Allerdings gibt es Erfahrungen in Sachen Widerstand. Der frühere
       konservative Präsident Mauricio Macri (2015–2019) versuchte ebenfalls,
       Beschäftigte der Nachrichtenagentur in großem Stil zu entlassen. Rund 360
       von ihnen erhielten 2018 ein Telegramm. Die Maßnahme wurde schließlich von
       den Arbeitsgerichten rückgängig gemacht. Rund zwei Drittel der Entlassenen
       kehrten an ihren Arbeitsplatz zurück.
       
       17 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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