# taz.de -- Produktenttäuschung: Wo zu wenig Ahornsirup drin ist
       
       > Auch wer bewusst einkauft, muss feststellen: Es ist nicht immer drin, was
       > draufsteht. Oder nur zu einem kleinen Teil. Das regt auf.
       
 (IMG) Bild: Ein (Waffel)Herz für Ahornsirup – oder etwa doch Agavendicksaft?
       
       Die Ursprungssituation sei die, „dass es eine gesellschaftliche Institution
       gibt, die im Namen der Sachlichkeit gegründet ist. Das ist der
       Journalismus“, hat Diedrich Diederichsen im vergangenen Jahr i[1][n einem
       Aufsatzband zum literarischen Journalismus] geschrieben.
       
       Zu diesem Ursprung wurde ich kürzlich zurückgeführt, als ich mit dem
       Einkaufszettel in der Hand vor einem Regal [2][meiner Berliner
       LPG-Biomarkt-Filiale] stand und nach Ahornsirup Ausschau hielt. Nach
       einigem bewussten wie unbewussten Abwägen entschied ich mich für den
       „Ahornsirup“ der Firma agava.bio, Unterzeile auf der Vorderseite „mit Agave
       verfeinert“.
       
       Erst zu Hause beim Auspacken betrachtete ich mir auch die Rückseite des
       Produkts. Dort war unter dem Titel „Ahornsirup“ zu lesen: „Agavendicksaft
       verfeinert mit kanadischem Ahornsirup“ sowie „Zutaten: Agavendicksaft 80 %,
       Ahornsirup 20 %“. Also schrieb ich der Firma agava.bio und der LPG, bei der
       ich seit zwei Jahrzehnten Mitglied bin, eine Presseanfrage. Die LPG
       antwortete: „Wir geben Ihnen vollkommen recht, die Bezeichnung am Artikel
       ist irreführend. Da wir auch vom Hersteller keine befriedigende Antwort
       bekommen haben, nehmen wir den Artikel aus dem Sortiment.“ Der Hersteller
       hatte sowohl mir als auch der LPG unter anderem geantwortet: „In enger
       Abstimmung mit unseren Lieferanten haben wir die kanadische Verordnung für
       Ahornsirup ‚Maple Products Regulation‘ für die Namensfindung zugrunde
       gelegt. Unter Punkt 13.13.1 ‚Naming Table Syrup Containing some Maple
       Syrup‘ wird beschrieben, dass ein Gehalt von mind. 20 % Ahornsirup im
       Produkt enthalten sein muss, um es als Maple = Ahornsirup zu bezeichnen.“
       
       Und das kann man ja mal so stehen lassen, als bürokratisch-sorgsam
       ausformulierten und aus vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen nur zu
       vertrauten Unwillen, am eigenen offensichtlich ungehörigen Verhalten etwas
       zu ändern.
       
       So weit, so wie auch immer. Mehr als ein Produkt weniger auf der Palette
       interessieren mich meine Beweggründe, ausgerechnet in diesem Fall zu
       intervenieren – und schließlich müssen wir auch irgendwann zum Oberthema
       dieser Kolumne kommen.
       
       Was mich wohl an der Sache geärgert hat, ist, dass ein Moment, den ich sehr
       mag, der samstagvormittägliche Einkauf in meinem Markt, nur ich, mein
       Wägelchen und mein Einkaufszettel, mein Espresso und mein Schokocroissant,
       mein Kurzplausch mit der netten Bayer-Leverkusen-Kassiererin – ja, Sie
       lesen richtig, mein, mein, das klingt wie aus der Werbung, die den
       überlasteten Ichs beständig Me-Times und Du-Räume verspricht, in denen sie
       aber mal [3][so was von Schöffel-raus] sind aus dem Hamsterrad – dass die
       Irreführung also mich ausgerechnet kalt dort erwischte, wo ich mich vor dem
       Dauernepp endlich einmal bewahrt fühle. Anders gesagt: Die Sache traf mich
       in meinem Innersten, da wo ich am verwundbarsten bin, weil meine Identität
       daran hängt: Sie traf mich als Konsument in der Konsumgesellschaft, an der
       ich am innigsten als Lebensmittelkäufer teilnehme, ich habe sonst keine
       Hobbys.
       
       Es ist gut, wenn der Journalismus immer wieder daran erinnert wird, dass
       sein Feld die Sachlichkeit ist; aber genauso wichtig ist, daran zu
       erinnern, dass die Dimension Sachlichkeit unserem individuellen und
       gesellschaftlichen Leben nicht gerecht wird – oder sagen wir: höchstens zu
       80 %.
       
       18 Mar 2024
       
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