# taz.de -- Gewalt gegen israelische Geiseln: Eine bessere Welt muss möglich sein
       
       > Die Israelin Amit Soussana hat Zeugnis abgelegt über ihre Geiselhaft in
       > Gaza. Sie musste sexuellen Missbrauch, Folter und Demütigungen erleben.
       
 (IMG) Bild: Amit Soussana, am 7. Oktober von der Hamas entführt, spricht vor ihrem zerstörten Haus im Kibbuz Kfar Aza am 29. Januar 2024
       
       Um diese Kolumne drücke ich mich. Nicht aus Faulheit oder Langeweile,
       sondern weil sie mir Schmerzen verursacht. Ich will sie ausblenden, sie
       verdrängen. Also hänge ich Wäsche ab, koche mir Kaffee, einen nach dem
       anderen, gehe spazieren. Ich denke: Warum habe eigentlich ich Schmerzen?
       Nehme ich mich nicht viel zu wichtig? Mein Körper will wegrennen, aber
       meine Gedanken kreisen weiter um das, was ich gelesen habe und nicht
       vergessen kann.
       
       Seit bald einem halben Jahr ist extreme Gewalt so präsent in meinem Alltag,
       dass ich manchmal vergesse, wie es vor dieser Zäsur war. Gewalt ist mit dem
       7. Oktober Gegenstand meiner Arbeit geworden; ist da, mal weniger und mehr
       subtil, im öffentlichen Raum, weil Antisemitismus so alltäglich und zum
       Teil [1][lebensbedrohlich werden kann]; die Gewalt ist in Bildern präsent,
       die mein Unbewusstes in meinen Träumen abruft, nur erträumte Bilder sind es
       nicht, sondern reale, von Hamas-Terroristen produzierte, die einmal das
       Internet geflutet haben.
       
       Ich lese diese Woche, was die Israelin Amit Soussana der [2][New York Times
       geschildert hat]. In ihrer Geiselhaft in Gaza musste sie [3][sexuellen
       Missbrauch, Folter und Demütigungen] erleben. Amit Soussana ist die erste
       Frau, die nach dem 7. Oktober öffentlich über sexuelle Gewalt durch die
       Terroristen der Hamas spricht.
       
       In einem Privathaus, also dem Zuhause von Zivilisten in Gaza, hielten die
       Terroristen sie angekettet, erzählt sie. Ihr Wachmann zwang sie mit
       vorgehaltener Waffe, einen sexuellen Akt an ihm vorzunehmen, so formuliert
       die New York Times Soussanas Aussage. An einem anderen Versteck wird sie an
       Händen und Füßen gefesselt, Mund und Nase werden ihr zugeklebt, und sie
       wird geschlagen, immer und immer wieder, von mehreren Männern.
       
       ## Die einzige Waffe
       
       Am 7. Oktober kämpfte Amit Soussana gegen ihre Entführer. Ein Video, das
       diesen Überlebenskampf zeigt, sah ich vor Wochen, es kursierte im
       Internet. Ich starrte damals erschüttert auf meinen Bildschirm, verstand
       nicht, woher diese Frau die Kraft und den Mut aufbrachte, sich mit ihrem
       Körper, der einzigen Waffe, die ihr in diesem Moment blieb, gegen sieben
       Männer zu stellen. Sieben Männer, so viele brauchte es, um Amit Soussana
       schlussendlich zu überwältigen. Sie schlugen sie so heftig, dass ihre
       Augenhöhle, die Wangenknochen, ihr Knie und ihre Nase brachen.
       
       Von einer Sekunde auf die andere wurde Amit Soussana am 7. Oktober von
       einer gewöhnlichen Frau zu einer Geisel der Hamas, zu einer ehemaligen
       Geisel, zu einem Opfer sexuellen Missbrauchs, zu einer mutigen Frau.
       Menschen schreiben jetzt, wie mutig Amit sei. Und sie haben recht: Amit
       Soussana ist eine mutige Frau. Und doch befremdet mich diese Aussage. Nicht
       die Zuschreibung, dieses Adjektiv, sondern seine schiere Notwendigkeit.
       
       Amit Soussana sagt, sie wolle mit ihrer Darstellung auf das Leid jener über
       130 Geiseln aufmerksam machen, die noch in der Gewalt der Hamas sind. In
       einer besseren Welt würde sie diesen Mut nicht aufbringen müssen, denn es
       gäbe keine Geiseln. In einer besseren Welt könnte sie sich als israelische
       Frau [4][der Solidarität aller Frauenrechtsorganisationen sicher sein,] die
       ihr „Wir glauben dir“ entgegenbringen würden und kein „Aber“.
       
       ## Eine bessere Welt verdient
       
       Bis heute schreiben mir Menschen: Beweisen Sie, dass die sexuelle Gewalt
       stattgefunden hat! Oder: Wenn es wahr ist, warum sprechen die Opfer nicht?
       So als ob die Öffentlichkeit ein Recht auf die Zeugnisse der Überlebenden
       hätte. Als ob sie uns etwas schuldig wären.
       
       Wenn ich solche Nachrichten lese, will ich wieder wegrennen. Meistens laufe
       ich dann ein paar Mal draußen im Kreis, räume zu Hause Dinge hin und her,
       und entscheide mich später doch zu bleiben, zu antworten, zu lesen. Weil
       ich gar nicht wüsste, wohin ich rennen soll. Und weil Amit Soussana eine
       bessere Welt verdient hat.
       
       29 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Antisemitischer-Ueberfall-auf-FU-Student/!5987284
 (DIR) [2] https://www.nytimes.com/2024/03/26/world/middleeast/hamas-hostage-sexual-assault.html
 (DIR) [3] /Sexualisierte-Gewalt-der-Hamas/!5987483
 (DIR) [4] /Israelische-Politikerin-zu-Hamas/!5993867
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erica Zingher
       
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