# taz.de -- Garnisonkirche Potsdam: Geschönte Geschichte
       
       > Die Potsdamer Garnisonkirche ist wieder aufgebaut. Obwohl vieles gegen
       > das revisionistische Geschichtsbild der Stiftung spricht, die das
       > beförderte.
       
 (IMG) Bild: Die Garnisonkirche in Potsdam im März 2024. Noch ist offen, welche symbolische Bedeutung dem Projekt am Ende zukommt
       
       Am Ostermontag wurde die Kapelle im wiederaufgebauten Turm der
       Garnisonkirche Potsdam mit einem Gottesdienst eingeweiht. Als in den 1990er
       Jahren zum ersten Mal der Vorschlag aufkam, das Gebäude, in dem im März
       1933 die alten deutschen Eliten von Militär, Adel und Kirche dem
       nationalsozialistischen Terrorregime symbolisch die Macht übergeben hatten,
       originalgetreu zu rekonstruieren, erschien der Gedanke vielen als gänzlich
       absurd. Doch 2017 war Baubeginn, und nun steht es fertig da.
       
       Die Idee dazu hatte [1][ein rechtsextremer Bundeswehroffizier, der
       Fallschirmjäger Max Klaar], der 1984 anfing, zunächst das Glockenspiel der
       1945 schwer beschädigten, 1968 dann abgerissenen preußischen Militärkirche
       in seiner Kaserne in Iserlohn mit Spendengeldern nachzubauen. Sein Wunsch
       dabei war, am Ende die ganze Kirche zu rekonstruieren. Als dann im November
       1989 doch recht unerwartet die Mauer fiel, konnten er und seine Mitstreiter
       von der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel richtig ans Werk
       gehen.
       
       Das Glockenspiel schenkten sie der Stadt Potsdam und stellten es unweit des
       historischen Kirchenstandortes auf. Eingegossene Widmungen für die
       deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze ließ der Potsdamer
       Oberbürgermeister von den Glocken vorab entfernen, aber die Widmungen für
       zahlreiche Wehrmachtstruppen und -offiziere blieben erhalten.
       
       Schrittweise gewannen die Initiatoren Politiker aller Parteien und
       wichtiger Medien wie die damals von Alexander Gauland herausgegebene
       Tageszeitung Märkische Allgemeine für sich. Nun galt es noch, die
       Institution Kirche selbst für den Kirchenbau zu gewinnen. Im Sommer 2000
       traf sich Max Klaar mit Bischof Wolfgang Huber und unterbreitete ihm seine
       Vision: Der Turm der Garnisonkirche solle von außen originalgetreu
       nachgebaut werden.
       
       Darin solle eine Kapelle als Ort der Verkündung in Verantwortung der
       evangelischen Kirche entstehen, die oberen Etagen sollten dagegen eine
       Ausstellung über den 20. Juli 1944, den Tag des versuchten Attentats auf
       Hitler, beherbergen – soweit er vom Potsdamer Infanterieregiment 9 ausging,
       dem großteils ehemalige Adlige angehörten. Als Träger solle eine Stiftung
       gegründet werden.
       
       Huber griff den Vorschlag auf und setzte durch, dass der Kirchenkreis
       Potsdam, der sich zuvor gegen das Projekt gewandt hatte, sich ihm öffnete.
       Es folgten lange Debatten, Kritik und Rechtfertigungen, Veränderungen und
       deren Rücknahmen, Zerwürfnisse und neue Allianzen. Doch bei all dem erwies
       sich die von Max Klaar im Juni 2000 formulierte Konzeption als beständig.
       
       ## Täter-Opfer-Umkehr
       
       Es ist genau das, was im Zentrum von Potsdam in den letzten Jahren
       realisiert wurde. Die einzige relevante Änderung war, [2][dass der 50
       Millionen Euro teure Bau nun nicht aus Spenden, sondern mit Mitteln des
       Kulturstaatsministeriums als „national bedeutsame“ Kulturinvestition
       finanziert wird.] Es ist ein trauriges und extremes Beispiel dafür, wie
       rechtsextreme Ideen anschlussfähig werden für die gesellschaftliche Mitte
       und diese infiltrieren.
       
       Maßgeblich dafür war die Täter-Opfer-Umkehr in der Argumentation. Die
       Potsdamer Garnisonkirche ist ein symbolträchtiger Ort, der spätestens mit
       Niederschlagung der Revolution von 1848 und der deutschen Reichsgründung
       von Demokratieverachtung, völkischem Denken, Kriegsverherrlichung und
       Rassismus geprägt war und an dem schwerste Kriegsverbrechen und Völkermorde
       ideologisch legitimiert, gesegnet und zelebriert wurden.
       
       Nun stilisierte man sich zum Opfer von NS-Regime, Bombenkrieg und
       DDR-Diktatur: Der Tag von Potsdam 1933, als der erste Reichstag nach
       Machtübernahme der Nationalsozialisten in der Garnisonkirche stattfand –
       eine Dreiviertelstunde Missbrauch einer moralisch integren Institution. Die
       Bombardierung Potsdams – ein sinnloser und kulturloser Racheakt der
       Alliierten. Der Abriss der Kirche – ein Verbrechen gottloser Kommunisten.
       
       Dieser rechtslastige Geschichtsrevisionismus ist in die Satzung der
       kirchlichen Stiftung eingeschrieben, die Bauherrin und Betreiberin des
       Projektes ist. Das geht leicht durch, weil sehr viele Menschen hierzulande
       glauben, Christentum sei per se etwas Gutes.
       
       Und so beruft man sich bei der Garnisonkirche darauf, dass ihr Bauherr, der
       preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm, ein frommer, friedliebender, ja
       vorbildlicher Christ gewesen sei und „keinen einzigen Angriffskrieg“
       geführt habe. In der Kirche sei durch die Vereinigung von Lutheranern und
       Reformierten „Toleranz ganz selbstverständlich geübt“ worden, und damit
       habe die Kirche einen „Beitrag zur Versöhnung zwischen Menschen
       unterschiedlicher Herkunft und Glaubensüberzeugungen“ geleistet.
       
       Im NS-Regime sei sie gar die „Keimzelle des Widerstands gegen die braunen
       Verbrecher“ gewesen. Damals wie heute gelte: „Eine Kirche und eine
       kirchliche Nutzung ist die beste Grundlage, sich abzuschotten gegen
       ideologischen und auch politischen Missbrauch.“
       
       ## Toxische Verbindung von Kirche und Monarchie
       
       Doch diese Behauptungen verschleiern, [3][welcher Glaube in der
       Garnisonkirche seit der Reichsgründung 1871 gepredigt und praktiziert
       wurde.] Dies war der deutsche Nationalprotestantismus, jener engen und
       toxischen Verbindung zwischen Kirche und Monarchie, welche mehr und mehr
       eine völkisch-rassistische Ideologie entfaltete. Sie war die Grundlage für
       die christliche Variante eines Gotteskriegertums, wie wir es heute vor
       allem in islamistischer Prägung kennen, aber auch etwa aus Putins Liaison
       mit der russisch-orthodoxen Kirche. Entlarvend sind dafür die Texte, welche
       die Pfarrer der Garnisonkirche verfasst und gepredigt haben, vor allem in
       der Zeit vom Beginn der Kolonialkriege bis zum Ende der NS-Diktatur.
       
       Beim Aufbruch der Potsdamer Truppen zum Kolonialkrieg in China rief etwa
       Pfarrer Kessler den in der Garnisonkirche versammelten Soldaten zu: „Ihr
       seid aber auch die Streiter Gottes, die nicht ruhen dürfen, bis sein
       heiliges Wort für alle Völker gilt! Nicht Friede darf werden auf Erden, bis
       das heilige Evangelium der Glaube aller Völker ist. Ihr seid die Pioniere
       des gekreuzigten Heilands! Darum Hand an das Schwert!“
       
       Am Vorabend des Ersten Weltkriegs im November 1913 rief Hof- und
       Garnisonprediger Richter den Rekruten bei ihrer Vereidigung zu: „Es muss
       der Herr unserem Heere voranziehen im Leben und im Sterben. Wie es am
       Grimmaischen Tor bei Leipzig war: Hingemäht die Reihen der Treuen und die
       nächste Reihe stürmt schon hinein – hinan – hindurch. Was kümmern uns die
       Hügel unserer Leichen – das ist der ‚Herrengeist‘ […]. Zurück, zurück mein
       Volk in diesen Opfergeist, wenn du vorwärts willst – und du stehst nicht am
       Ende, sondern am Anfang deiner Weltensaat.“
       
       1935 leitete der Militärpfarrer der Garnisonkirche Werner Schütz die
       Vereidigung von 4.000 Rekruten auf Adolf Hitler an dem im Lustgarten
       aufgestellten Feldaltar mit den Worten ein: „Wer als Christ glauben und
       beten kann, der wird auch seinen Fahneneid halten, wird freudig sein zu
       jeder harten und schweren Pflicht, auch freudig zum Bluten und Sterben.“
       
       „Wir wollen uns unsere Geschichte nicht nehmen lassen“, hieß es
       selbstbewusst und unkritisch im „Ruf aus Potsdam“, der dem Wiederaufbau
       zugrunde liegt. Das vom Bauherren lange als „Nationales Tafelsilber“
       bezeichnete Bauwerk ist originalgetreu wiederaufgebaut worden, in der
       Kapelle wird der alte Altartisch von 1800 wieder verwendet, die Kirche
       führt wieder den alten Namen, den die einstige Gemeinde 1949 bewusst
       abgelegt hatte. Und im Kuratorium wird mit Vertretern aus Politik, Kirche
       und Militär das ehemals prägende Dreigespann der historischen
       Garnisonkirche wiederbelebt.
       
       ## Um den Symbolgehalt wird weiter gestritten
       
       Stolz verweist die Kirche auf die neu hinzugefügte Inschrift am
       Sandsteinsockel „Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“ und legt die
       Eröffnung auf Ostern. Doch dies ändert wenig. Adolf Hitler sprach am 21.
       März 1933 in der Garnisonkirche davon, das wir Deutschen aufrichtige
       Freunde des Friedens sein wollen; auch heute sprechen Diktatoren wie Putin
       von Frieden. Diese wohlfeilen, recht abstrakten Worte sind kein Gegengift
       für die originalgetreue Wiederherstellung eines kaum nutzbaren Symbolbaus,
       der sich früher wie heute bei Rechtsradikalen großer Beliebtheit erfreut.
       
       Noch ist aber offen, welche Symbolbedeutung das Projekt am Ende verkörpert.
       Zum einen fehlt der Kirche für die Herstellung des militaristischen und
       absolutistischen Bauschmucks noch Geld. Zum anderen steht auf dem Baufeld
       des Kirchenschiffs seit 1970 [4][das Rechenzentrum, welches heute als
       Kunst- und Kreativhaus genutzt wird.] Während sich viele Akteure für dessen
       Erhalt einsetzen, wird das Kirchenprojekt in der Öffentlichkeit zunehmend
       kritisch gesehen.
       
       2 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Architektur-und-Erinnerungspolitik/!5687916
 (DIR) [2] /Umstrittene-Potsdamer-Garnisonkirche/!5756054
 (DIR) [3] /Pfarrer-mit-Kriegserfahrung/!5778107
 (DIR) [4] /Rechenzentrum-in-Potsdam/!5789879
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Oswalt
       
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