# taz.de -- Persönlichkeiten der ganzen Welt: Wie sie wurden, wer sie sind
       
       > Manche Persönlichkeiten begleiten die taz seit 45 Jahren. Einige sind
       > ihren Idealen treu geblieben – andere nicht. Sechs Beispiele.
       
 (IMG) Bild: Dora María Téllez 1979 und 2016 in Managua
       
       Vor 45 Jahren wurde die taz in politisch bewegte Zeiten hinein geboren. Was
       ist aus einigen der Personen, die diese Zeiten geprägt haben, geworden?
       
       ## Dora María Téllez, von der Castro-Bekannten zur Staatsbegnadigten
       
       Sie war das junge Gesicht der sandinistischen Revolution in Nicaragua.
       Gabriel García Marquez, der kolumbianische Literaturnobelpreisträger,
       beschrieb sie damals als „eine schöne, schüchterne und schweigsame Frau, so
       begabt und intelligent, daß ihr alle Möglichkeiten im Leben offenstehen
       würden“.
       
       1978 besetzte sie mit Genoss*innen den Nationalpalast in Managua und
       presste so 60 gefangene Sandinist*innen frei. Damals war Dora María gerade
       22 Jahre alt und hatte ihr Medizinstudium abgebrochen. Sie gehörte dem
       gleichen Flügel der Sandinistischen Befreiungsfront an wie Daniel Ortega,
       der nach dem Sieg der Revolution im Juli 1979 Regierungschef wurde. Dora
       María Téllez übernahm 1985 das Amt der Gesundheitsministerin.
       
       1990 wurden die Sandinistas abgewählt. Viele Führungspersönlichkeiten,
       nicht zuletzt Daniel Ortega selbst, eigneten sich noch vor der offiziellen
       Amtsübergabe diverse Besitztümer an. Dora María Téllez distanzierte sich.
       Als Ortega die einstige Guerilla- und Regierungspartei immer mehr zu einer
       autoritären Organisation umbaute, verließ sie die Sandinistenpartei FSLN.
       
       Eine Zeit lang mag ihre Bekanntheit sie noch geschützt haben, aber als
       Ortega studentische Proteste 2018 zusammenschießen ließ, fielen die letzten
       Skrupel. Im Juni 2021 ließ der Diktator die frühere Comandante verhaften.
       Nach eineinhalb Jahren Einzelhaft wurde sie auf internationalen Druck
       entlassen und mit 67 Jahren ausgebürgert. Und ist diejenige Persönlichkeit
       der nicaraguanischen Revolution, die im Gegensatz zu vielen anderen bis
       heute Respekt einflößt. Bernd Pickert
       
       ## Jorge Bergoglio – aus der Provinz in den Vatikan
       
       Im Jahr 1979 war der 1936 in Buenos Aires geborene [1][Jorge Bergoglio]
       schon ein Mann im mittleren Alter. Bei seinem Orden, den Jesuiten, hatte
       der Priester einen beachtlichen Aufstieg hingelegt, hatte es zum
       Provinzial, sprich zum Chef, der Jesuiten in Argentinien gebracht, war
       zugleich aber Pfarrer in einer Gemeinde vor den Toren der Hauptstadt tätig.
       
       „Am anderen Ende der Welt“ hätten ihn seine Brüder aus dem
       Kardinalskollegium aufgespürt, erklärte Bergoglio 2013, unmittelbar nach
       seiner Wahl zum Papst. Noch nie war ein Südamerikaner Papst geworden und
       noch nie ein Jesuit. Schon in Buenos Aires – dessen Erzbischof er 1998
       werden sollte – hatte Bergoglio eine arme Kirche im Dienst der Armen
       gepredigt, hatte in einer bescheidenen Wohnung gelebt, nahm regelmäßig die
       U-Bahn statt eines Dienstwagens.
       
       An diesem Stil änderte er auch nichts, als er Papst wurde – und auch nicht
       an der Botschaft. Seine erste Dienstreise im neuen Amt führte ihn auf die
       Flüchtlingsinsel Lampedusa. Und kurz nach seiner Wahl zum Papst fragte er:
       „Wer bin ich denn, um über einen Gay zu urteilen?“ Auch die Homosexuellen
       seien Brüder im Herrn. Tatsächlich agiert er aber sehr vorsichtig –
       schließlich sehen viele Ortskirchen die Dinge anders als er. Michael Braun,
       Rom
       
       ## Sonia Ghandi: Hausfrau und Politikerin – in dieser Reihenfolge
       
       1979 dürfte Sonia Gandhi noch nicht geahnt haben, in welche Richtung sich
       ihr Leben entwickeln würde. Sie war zwar bereits verheiratet mit Rajiv
       Gandhi – Sohn von Indira Gandhi, die in den 1960er, 1970er und 1980er
       Jahren mehrfach Premierministerin Indiens war. Doch das Ehepaar Rajiv und
       Sonia hielt sich bewusst von politischer Aktivität fern – er arbeitete als
       Pilot, sie kümmerte sich um die Kinder.
       
       Doch dann kam Rajivs älterer Bruder, ein Parlamentsabgeordneter, 1980 bei
       einem Flugzeugabsturz ums Leben. Auf Betreiben seiner Mutter ging Rajiv in
       die Politik. Als diese dann ermordet wurde, änderte sich der Kurs der
       kleinen Familie. So wurde Sonia Gandhi, die aus einer katholischen Familie
       in Italien stammt, zur Gattin des jüngsten Premierministers Indiens. Nach
       der Ermordung ihres Mannes 1991 durch die tamilischen LTTE trat sie 1997
       schließlich in die Politik ein, wurde bald Vorsitzende der
       [2][Kongresspartei] – und blieb es für die nächsten 22 Jahre.
       
       Vor den bald beginnenden Parlamentswahlen warnte sie nun: „Heute ist die
       Demokratie in unserem Land in Gefahr“. Und spielt damit an auf die
       Ambitionen der extrem rechten regierenden BJP, gegen die Oppositionsführer
       Rahul Gandhi – Sonias Sohn – in den Wahlkampf zieht. Natalie Mayroth,
       Mumbai
       
       ## Natan Scharanski, der lavierende Freiheitskämpfer
       
       Was wurde [3][Natan Scharanski] nicht alles genannt: ein Held und
       Schaumschläger, ein Heiliger und Scharlatan, ein Menschenrechtler, der
       Menschenrechte verrate. Der heute 76-Jährige hat sich kaum je etwas sagen
       lassen. Selbst im sowjetischen Gulag nicht, in dem er neun Jahre ausharren
       musste. „Spionage“ hatten sie dem sowjetischen Juden vorgeworfen, denn er
       hatte als 24-Jähriger einen Ausreiseantrag gestellt – ein Schritt, der dem
       Staat zu verstehen gab, es mit einem „Illoyalen“ zu tun zu haben.
       
       Scharanski ist als Anatoli Schtscharanski in Stalino geboren. Donezk heißt
       die ukrainische Stadt heute, besetzt von russischen Truppen. Der
       grassierende Antisemitismus machte aus Scharanski – den Namen Natan gab er
       sich bei seiner Einwanderung in Israel – einen Bürgerrechtler. 1975 verlor
       er wegen „antisowjetischer Propaganda“ seinen Job an einem Moskauer
       Erdöl-Institut. 1978 wurde er zu Haft und Arbeitslager verurteilt. 1986
       wurde er gegen Amerikaner ausgetauscht und ging über die Glienicker Brücke
       in Berlin in die Freiheit.
       
       Sein Leben sah er fortan in Israel – und wurde Handelsminister,
       Innenminister, Wohnungsbauminister. „Pscharanski“ nannten sie ihn in
       Israel, nach „pschara“, Kompromiss. Seiner inneren Freiheitsdrang blieb er
       aber treu. Dem mittlerweile in Haft umgekommenen russischen
       Oppositionspolitiker Alexei Nawalny schrieb er in die Strafkolonie Briefe:
       „Indem Sie im Gefängnis eine freie Person bleiben, inspirieren Sie die
       Seelen von Millionen Menschen weltweit.“ Auch seine, Scharanskis. Inna
       Hartwich, Moskau
       
       ## Mahmud Abbas, keine Friedenstaube – aber auch nicht das Gegenteil
       
       Es ist ein vom Nahostkonflikt durchtränkter Lebensweg: Schon Safed, der
       [4][Geburtsort des 1935 geborenen palästinensischen Präsidenten], liegt im
       heutigen Israel, in Galiläa. Im Teenager-Alter machten die Kämpfe im Zuge
       der israelischen Staatsgründung Mahmud Abbas zum Flüchtling. Es folgten
       Stationen in Syrien, Ägypten, Katar und Russland.
       
       Mit Jassir Arafat zählte Abbas zu den Gründern der Guerillaorganisation
       Fatah, noch bevor diese sich 1965 offiziell als Widerstandsbewegung
       gründete und dem bewaffneten Kampf verschrieb.
       
       Obwohl Abu Masen, wie er noch heute nach seinem schon längst verstorbenen
       Sohn genannt wird, vielen später als Inbegriff der Mäßigung gelten sollte,
       war er noch nie eine Friedenstaube. In seiner Doktorarbeit verharmloste er
       den Holocaust heftig, auch wird ihm vorgeworfen, eine Rolle beim Münchner
       Olympia-Attentat 1972 gespielt zu haben. Seiner politischen Karriere,
       selbst seinem Ansehen im Ausland stand dies nicht im Weg. Er bekleidete
       hohe Ämter in der Fatah und dem palästinensischen Dachverband PLO. An
       Arafats Seite wurde er bekannt als eine der führenden Personen, die sich
       der Suche nach einer verhandelten Lösung des Nahostkonflikts verschrieben
       hatten. Am 13. September 1993 unterzeichnete Abbas im Namen der PLO das
       historische Abkommen mit Israel, auch bekannt als Oslo-I. In der
       Vereinbarung erkannte die PLO erstmals den Staat Israel an. Es folgten
       hoffnungsvolle Jahre, in denen eine Zweistaatenlösung anders als heute als
       tatsächlich machbar schien. Abbas' Traum des eigenen Staates wurde
       allerdings nie Wirklichkeit. Und die Person Abbas bleibt auf eine Weise
       tragisch, auch wenn seine politische Karriere weiterging: Seit Arafats Tod
       2004 ist Abbas PLO-Vorsitzender und seit der letzten Wahl im Jahr 2005
       Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Als solcher regiert
       er mit begrenzter Macht zumindest in Teilen des von Israel weiterhin
       besetzten Westjordanlands.
       
       Statt um Visionen geht es mittlerweile um Machterhalt: Obwohl seine
       Amtszeit 2009 endete, hält er sich an der Spitze der PA. Von vielen wird er
       als Handlanger der Besatzungsmacht gesehen. Wahlen gibt es keine und von
       einem progressiven Regierungsstil kann keine Rede sein.
       
       Die PA gilt als korrupter Haufen und [5][Human Rights Watch wirft ihr vor],
       sie habe einen „Repressionsapparat eingerichtet, um abweichende Meinungen
       zu unterdrücken. Kritiker und Gegner würden [6][systematisch misshandelt
       und gefoltert]. Seit dem Massaker vom 7. Oktober wirkt Abbas wie ein
       Getriebener der Hamas. Fest steht: Der 88-Jährige wird in seinem Restleben
       keinerlei Form von Vision mehr entwickeln, die eine Alternative aufzeigen
       könnte zur zerstörerischen Ideologie von Hamas und Konsorten, die die
       Massen mobilisieren und ein Anknüpfungspunkt für internationale
       Lösungsversuche sein könnte. Jannis Hagmann
       
       ## Brigitte Bardot – hässliche Tiraden der Ex-Schönheitsikone
       
       Vor einem halben Jahrhundert war sie eine Ikone des französischen Films,
       damals sah die männlich dominierte Medienwelt in ihr ein „Sexsymbol“. Bis
       heute ist deswegen Brigitte Bardot („BB“) wahrscheinlich die weltweit
       bekannteste Französin. Dabei hatte sie nach 1973 keine Rolle für das Kino
       mehr übernommen. Später sagte sie, sie sei sich bei den Dreharbeiten zu
       ihrem letzten Film („Colinot“) von Nina Companeez und Francis Huster beim
       Blick in den Spiegel so „blöde“ vorgekommen, dass sie beschloss, die
       Kinokarriere an den Nagel zu hängen.
       
       Ihre Laufbahn hatte begonnen, als sie in Paris, wo sie 1934 in einer
       bürgerlichen Familie auf die Welt gekommen war, nach Fotos für „Elle“ und
       ersten Schritten als Mannequin als 17-Jährige von Roger Vadim „entdeckt“
       wurde. Ihn heiratete sie dann gegen den Widerstand ihrer eher konservativ
       eingestellten Eltern mit 18. Vadim war der erste von ihren vier Ehemännern
       und ihren (nach ihrer eigenen Zählung) 17 meist prominenten Partnern
       (Jean-Louis Trintignant, Gilbert Bécaud, Gunter Sachs, Serge Gainsbourg und
       andere). Mit dem Film „Et Dieu… crea la femme“ (1956) erfand er das
       Klischee „BB“.
       
       Viel wichtiger, als sich von sensationsgierigen Paparazzi verfolgen zu
       lassen und weiterhin für die Leinwand die attraktive Blondine von Dienst zu
       spielen, erschienen ihr Ende der 1970er die Kampagne zum Schutz der
       Seehundbabys und andere Tierschutzaktionen. Die Tiere vor der Grausamkeit
       der Menschen zu zu schützen, wurde ihr Lebensinhalt. Sie nutzte ihren
       Filmruhm, um bei dem Papst oder dem Dalai Lama für die Rechte der Tiere zu
       plädieren und bei persönlichen Treffen mit Regierungspolitikern verschärfte
       Tierschutzregeln oder Verbote durchzusetzen.
       
       Ab 1986 nahm dies mit der Gründung ihrer eigenen Stiftung eine
       institutionelle Form an. Erneut wurde BB so zu einer Ikone: Im Kampf gegen
       Tierpelze in der Mode, den Import von Wildtieren für den Zirkus, grausame
       Verstümmelungen von Haustieren sowie religiöse Schlachtpraktiken.
       
       Spätestens ab 2012, als sie sich öffentlich für Marine Le Pen aussprach,
       unterstützt sie bei Wahlen jeweils Kandidierende aus dem Lager der extremen
       Rechten, die ihre xenophoben und vor allem antimuslimischen Ansichten, für
       die sie gerichtlich verurteilt wurde, teilen. Wenn sie sich über die
       genetische Vermischung durch die Migration beklagt oder die Bevölkerung der
       Insel La Réunion (wegen des Umgangs mit den Tieren) als „Degenerierte“
       beschimpft, tönen die Tiraden eines Ex-Schönheitsymbols nur noch hässlich
       und verbittert. Rudolf Balmer, Paris
       
       17 Apr 2024
       
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 (DIR) [5] https://www.hrw.org/report/2018/10/23/two-authorities-one-way-zero-dissent/arbitrary-arrest-and-torture-under
 (DIR) [6] https://www.hrw.org/news/2022/06/30/palestine-impunity-arbitrary-arrests-torture
       
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