# taz.de -- EU-Flüchtlingsabkommen mit Libanon: Die Verzweiflung dürfte bleiben
       
       > Der Flüchtlingsdeal mit Libanon wirft viele Fragen auf. Die EU setzt auf
       > ein dysfunktionales und autokratisch regiertes Land.
       
 (IMG) Bild: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während einer Pressekonferenz in Beirut, Libanon, 02. 05.2024
       
       Der [1][EU-Flüchtlingsdeal mit dem Libanon, den EU-Kommissionspräsidentin
       Ursula von der Leyen in Beirut verkündet hat], wirft Fragen auf. Wie kann
       man die versprochene 1 Milliarde Euro ausgeben, in einem völlig
       dysfunktionalen Staat, der sich seit Jahren im freien ökonomischen Fall
       befindet? Und wie kann man das Minenfeld umschiffen, nämlich dass die
       militant-schiitische Hisbollah seit Jahren in Beirut an der Regierung
       sitzt?
       
       Alle drei EU-Flüchtlingsabkommen, die die EU am südlichen und östlichen
       Mittelmeer geschlossen hat – [2][vergangenes Jahr mit Tunesien, vor sechs
       Wochen mit Ägypten] und jetzt mit dem Libanon –, müssen sich auch eine
       andere Kritik gefallen lassen: Egal ob den arabischen Autokraten in Ägypten
       oder Tunesien oder den libanesischen Polit-Clans – sollte die EU überhaupt
       an Orten Geld ausgeben, in denen die Menschenrechtslage mehr als
       zweifelhaft ist? Die EU-Vertreter haben hier stets das gleiche Bekenntnis
       auf den Lippen: Man befinde sich in dieser Frage mit den jeweiligen Seiten
       im Dialog. Der Rest ist Realpolitik.
       
       Doch die Zweifel zur Seite geschoben: Lassen sich die Erfolge oder
       Misserfolge der EU-Migrationsdeals überhaupt messen? Nehmen wir den Fall
       des 7,4 Milliarden Euro schweren Migrationsabkommens mit Ägypten, dessen
       größter Teil Wirtschaftshilfen umfasst und wo „nur“ 200 Millionen Euro für
       direkte Maßnahmen bestimmt sind, die Migration zu stoppen. Was würde
       passieren, wenn ein Ägypten mit über 100 Millionen Einwohnern, mit einem
       Friedensvertrag mit Israel und mit dem Suezkanal als einer der wichtigsten
       Handelstrassen der Welt, wirtschaftlich kollabieren würde?
       
       ## Höchste Flüchtlingsrate der Welt
       
       Die Folgen wären unabsehbar für die EU. Der Fall des Libanons ist ungleich
       kleiner und doch dramatisch. Mit 5 Millionen Einwohnern und 1,5 Millionen
       syrischen Flüchtlingen hat das Land die größte Pro-Kopf-Flüchtlingsrate der
       Welt. Will man die Sonntagsreden von der „Hilfe vor Ort“ zur Verhinderung
       von Flucht und Migration ernst nehmen, kommt die EU nicht am Libanon
       vorbei.
       
       Es bleibt kompliziert, und es gibt keine einfachen Antworten auf die
       offenen Fragen und Klagen. Bleibt zu hoffen, dass auch im Libanon nicht der
       größte Teil der versprochenen 1 Milliarde Euro bei der libanesischen
       Küstenwache landet. Denn das wäre zu kurz gegriffen und würde das
       Hauptproblem ignorieren: den Grad der Verzweiflung. Als ich vor zwei Jahren
       selbst am Kai von Tripoli stand, dort, wo die Fischerboote mit den
       Flüchtlingen nach Zypern ablegen, fasst einer von ihnen seine Optionen mit
       einem Satz zusammen. „Vor mir“, sagte er, „liegt das Meer und hinter mir
       die Armut.“
       
       3 May 2024
       
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 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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