# taz.de -- Die Wahrheit: Schinderhannes der Lüfte
       
       > Seit 25 Jahren macht der irische Billigflieger Ryanair in Deutschland den
       > Urlaubshimmel unsicher. Ein Erfahrungsbericht über und unter den Wolken.
       
 (IMG) Bild: Es gibt ihn, es muss ihn irgendwo geben – den einen guten und angenehmen Ryanair-Flug
       
       Wir strecken die Beine aus und genießen den Blick auf den Hunsrück. Die
       Tragflügel der Boeing klappern nicht besorgniserregend wie sonst immer, und
       die Triebwerke schnurren ruhig wie vollgefressene Kater. Wir können immer
       noch nicht glauben, dass die Legenden und Gerüchte, die wir in den zugigen
       Warteräumen gottverlassener Provinzflughäfen von Weeze (NRN) bis Memmingen
       (FMM) aufgeschnappt haben, wirklich wahr sind.
       
       „Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen, vielleicht einen Tomatensaft?“,
       reißt uns der Steward aus unseren Gedanken. Der Mann sieht keineswegs
       übernächtigt aus und wirkt, als ob er Spaß ein einem angemessen bezahlten
       Beruf hat.
       
       Wir kneifen uns ins Bein und schließen die Augen. Als wir sie wieder
       öffnen, sitzen wir noch immer in einem Flugzeug des irischen
       Holzklassefliegers Ryanair. Unter der Wolkendecke verschwindet der
       Flughafen von Lautzenhausen mit dem irreführenden Namen Frankfurt/Hahn
       (HHN). Hier im Hunsrück hat die Fluggesellschaft vor 25 Jahren begonnen,
       deutsche Reisende auszuplündern, wie es in der unzugänglichen Bergregion
       schon seit den Tagen des berühmten Räubers Schinderhannes Brauch ist.
       
       Doch heute pressen uns keine Wegelagerer der Luftfahrt aus, vielmehr
       schreiten die Flugbegleiter plaudernd durch die Passagierreihen. Die
       Kollegin steckt in einer bequemen Uniform, die ihr Bewegungsfreiheit lässt
       und nicht aus 100 Prozent Polyester besteht, das mit dem Schweiß einer
       anstrengenden Zwölfstundenschicht in einer überfüllten Sardinendose als
       Stinkbombe explodiert.
       
       ## Keine Fangesänge
       
       Auch die Passagiere riechen gut, niemand ist betrunken. Keine Fangesänge
       werden angestimmt, sogar der Junggeselle wird von seinen Buddies in
       Kabinenlautstärke verabschiedet. „Wir wollen bitte keine Lose für die
       Charity-Lotterie kaufen müssen“, entschuldigen sich die Fluggäste bei der
       Stewardess, aber auf diesem Ryanair-Flug wird kein Jahrmarkt abgehalten,
       bei dem Lose, Parfüms und Aale verhökert werden. Stattdessen wird ein
       Arthouse-Film gezeigt.
       
       Es gibt ihn also doch, den mythischen „total angenehmen Flug für 19.99
       Euro“. Ein wettergegerbter Traveller in der gefürchteten
       Kettenraucherkabine des Flughafens Krakau (KRK) hatte uns von dieser „avian
       legend“ erzählt. Ein türkischer Vielflieger wollte den Flieger der Seligen
       auf einer verlassenen Landebahn im rumänischen Cluj (CLJ) gesichtet haben.
       
       Doch jahrelange Recherchen blieben ergebnislos. Wir opferten Gepäckstücke,
       Nerven und Bordkarten auf der Jagd nach dem „Black Swan“, wie ein
       mögliches, aber absolut unwahrscheinliches und unerwartetes Ereignis in der
       Wirtschaft genannt wird. Zwar verspricht die irische
       Massenverschickungsgesellschaft ihren Kunden genau diesen Ritt auf dem
       Schwarzen Schwan, doch stattdessen schickt sie ihre Opfer verlässlich in
       die Luftverkehrshölle.
       
       Was als anderthalbstündiger Flug in die Euro-Nachbarschaft annonciert wird,
       entpuppt sich durch Um- und Überbuchungen als Odyssee durch Vorderasien und
       Hinterindien. Der kostenpflichtig zugebuchte Koffer verstößt stets gegen
       das arkane Ryanair-Regelwerk. Andere Gepäckstücke werden in ein Flugzeug
       nach Übersee verladen oder auf der Reiseflughöhe von 6.000 Fuß aus dem
       Flieger gekickt. Der Sitznachbar ist stets eine physisch wie kommunikativ
       höchst ausladende Person, die sich zudem als Studienobjekt auf dem Weg zu
       einem Medizinerkongress über Mundgeruch befindet.
       
       Wahlweise sitzt man neben einer fünfköpfig kreischenden „Hen Party“ aus
       Nordengland, die sich einen einzigen Sitz teilt, weil die anderen Damen
       vollauf beschäftigt sind, die Toiletten zu blockieren oder in den Gang zu
       reihern. Auf den zunächst lächerlich niedrigen Flugpreis werden noch
       Flughafen- und Luftsteuer, Park- und Landegebühren, Parteispenden, Schutz-
       und Schmiergelder sowie einige Batzen Bakschisch für die Heiligen der
       Luftfahrt aufgeschlagen, sodass man sich fast ein Bahnticket hätte leisten
       können.
       
       Einst hatte der irische Republikaner Tony Ryan seine Airline nur gegründet,
       um so viele Briten wie möglich so unbequem wie möglich aus Irland
       abzutransportieren, CEO Michael O’Leary öffnete die Airline für den
       europäischen Markt, wobei er sich streng an gültige Sicherheits- und
       Komfortstandards hielt – für Viehtransporte. Sobald es Ryanair gelingt, die
       Kosteneffizienz des transatlantischen Sklavenhandels zu erreichen, sollen
       auch Ziele in den USA angeflogen werden.
       
       Und doch machen immer wieder Geschichten von märchenhaft billigen und
       angenehmen Ryanair-Flügen die Runde. Auch wenn nie eine konkrete Strecke
       benannt werden konnte, kennt irgendwer immer irgendjemanden, der angeblich
       für 19,99 Euro geflogen und „total zufrieden“ gewesen ist.
       
       ## Kein irischer Whisky
       
       „Haben Sie auch was Stärkeres, vielleicht einen irischen Whisky?“, fragen
       wir den freundlichen Flugbegleiter, doch plötzlich verzieht sich sein
       Gesicht zu einer höhnischen Fratze. „Was glauben Sie, wo Sie hier sind? Ich
       mache jetzt dicht“, herrscht der uns an. Plötzlich sitzen wir wieder in der
       nächtlichen Abfertigungshalle des Hahner Flughafens, ein einsame
       Servicekraft steht hinter dem Tresen, auf den unser Kopf gesunken war. Das
       Boarding unseres Fluges ist vom Bildschirm verschwunden, eine Mail
       informiert uns, dass der Flug zu unbestimmtem Zeitpunkt an einem
       alternativen Flughafen durchgeführt wird. Wir sollen uns bundesweit zur
       Verfügung halten.
       
       Der Ryanair-Stand ist verwaist und der letzte Bus zurück in die
       Halbzivilisation der rheinland-pfälzischen Provinz längst abgefahren. Wir
       irren durch das verwaiste Gebäude, bis uns ein autonom fahrendes
       Reinigungsfahrzeug aus dem Terminal scheucht.
       
       Es bleibt uns nichts anderes übrig, als in einer der verfallenen
       Armeebaracken auf dem ehemaligen US-Militär-Flughafen Unterschlupf zu
       suchen. Dort treffen wir auf einen verwilderten Schrat mit glosenden Augen.
       „Sind Sie nicht der Verrückte aus der Kettenraucherkabine?“, fragen wir,
       aber der Fremde schüttelt den Kopf.
       
       „Mr. Tony Ryan?“, glauben wir nun den verstorbenen Gründer der Fluglinie zu
       erkennen, doch der Mann unterbricht seine Litanei nicht: „BZR, CTA, AYT,
       DTM, FDH, KTW, CGN“, wispert er. Es sind die Kürzel von Flughäfen, die
       allesamt von Ryanair bedient werden. Wir schreiben mit. Die Hatz auf den
       einen, den guten, günstigen Flug mit Ryanair, ist noch nicht vorbei. Sie
       ist niemals vorbei.
       
       29 Apr 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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