# taz.de -- Kommunalwahlen in Großbritannien: Oh dear, es wird gewählt
       
       > In Englands wichtigsten Städten finden Lokalwahlen statt. Wie hoch ist
       > der Zulauf für Labour wirklich, wie tief ist die Krise der Tories?
       
 (IMG) Bild: Heraus zum 1. Mai: Ein Labour-Wahlkämpfer in London
       
       LONDON taz | Sowohl die regierenden Konservativen als auch die
       Labour-Opposition bemühen sich, in Großbritannien für politischen Wirbel zu
       sorgen. Dazu gehörte auf Seiten der Regierung das [1][Durchpeitschen des
       Ruanda-Abschiebegesetzes], die Ankündigung kräftig erhöhter Militärausgaben
       und ein Gesetzentwurf zum besseren Mieterschutz. Labour konterte mit der
       Ankündigung einer Verstaatlichung der meisten britischen Eisenbahndienste,
       sollten sie die nächsten Parlamentswahlen gewinnen.
       
       Hintergrund solcher Schlagzeilen ist die Tatsache, dass [2][am Donnerstag
       in 107 englischen Kreisen und zehn Großstadtgebieten Kommunalwahlen]
       abgehalten werden, insgesamt etwa ein Drittel des Landes. Zusätzlich werden
       neue Polizeikommissare gewählt und im südlichen Teil der Küstenstadt
       Blackpool gibt es außerdem eine parlamentarische Nachwahl, weil der
       bisherige konservative Abgeordnete Scott Benton zurückgetreten ist. Es
       scheint unwahrscheinlich, dass die Tories den Sitz halten können.
       
       Außerdem geht es um die Bürgermeisterämter in London, im Großraum
       Manchester, Liverpool und York aber auch für Großregionen wie East
       Midlands, West Midlands und jeweils für den Süden, Norden und Westen von
       Yorkshire.
       
       Ein besonders schlechtes Ergebnis für die Tories könnte eine reale Gefahr
       für Premierminister Rishi Sunak darstellen und den Startschuss für ein
       neues innerparteiliches Ringen um die konservative Parteispitze abgeben.
       
       ## Im Fokus: Sadiq Khan, Labour-Bürgermeister von London
       
       Das größte Amt, das am Donnerstag zur Wahl steht, ist der Posten des
       Bürgermeisters von London; auch Londons Stadtparlament wird neu gewählt.
       Hier geht es um Verkehrspolitik, Wohnungspolitik, die Aufsicht über die
       umstrittene Polizei und andere gesamtstädtische Belange.
       
       Als Amtsinhaber [3][Sadiq Khan] [4][2016 für Labour] von den neun Millionen
       Londoner:innen gewählt wurde, war er der erste muslimische
       Bürgermeister einer Großstadt in der westlichen Welt. Als solcher verfügt
       er über einen jährlichen Etat von umgerechnet 25,5 Milliarden Euro.
       [5][2021 wurde er wiedergewählt], nun will er es ein drittes Mal versuchen.
       
       Da anders als bei den vorherigen Wahlen keine Zweit- und Drittoption auf
       den Stimmzetteln angegeben werden kann, die dann umverteilt wird, sondern
       einfach der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt, ist Khans Wiederwahl
       weniger sicher, als es scheinen könnte angesichts des seit Monaten
       andauernden Umfragehochs von Labour landesweit.
       
       Zwar gilt Khan mit 13 Prozent Vorsprung vor der konservativen Kandidatin
       [6][Sue Hall] als klarer Favorit, aber Labour-Genossen verteilten in den
       letzten Tagen eifrig Wahlinfo, auf der nicht mal mehr der Name von Khan
       steht. Stattdessen steht da: „Die Wahl wird eng werden, riskiere keine
       Tory-Bürgermeisterin.“
       
       Ein Labour-Unterstützer reckte am Mittwoch morgen sogar ein großes „Vote
       Labour“-Plakat an einer zentralen Straßenkreuzung der Londoner Innenstadt
       in die Höhe. Derartiges Benehmen im Namen von Labour ist ungewohnt.
       
       Khan verwies bei zwei Wahlveranstaltungen auf 28.000 im Bau befindliche
       Wohnungen – das größte Sozialwohnbauprogramm seit den 1970er Jahren, wie er
       sagte. Wird er ein drittes Mal Bürgermeister, sollen bis 2030 weitere
       40.000 Wohnungen entstehen. Laut seines eigenen Amtes ist das aber immer
       noch zu wenig, denn London bräuchte pro Jahr über 60.000.
       
       Auf der Wahlpost, die dieser Tage in Londoner Briefschlitze gestopft wird,
       stehen als zu bewahrende Errungenschaften auch das Niedrighalten der Tarife
       im öffentlichen Verkehr und die Ausweitung kostenloser Schulmahlzeiten für
       alle Grundschulkinder Londons.
       
       Außerdem rühmt Khan seine Verkehrsmaßnahmen, etwa Tempo 20 (in Meilen) auf
       vielen Londoner Hauptstraßen und die Erweiterung der Umweltzone auf alle
       Außenstadtbezirke. Das sei, anders als von den Konservativen behauptet,
       eine Maßnahme der Gerechtigkeit, da es Menschen [7][vor Luftverschmutzung
       schone].
       
       Sollte er jetzt wiedergewählt werden und Labour später die Regierung in
       Großbritannien übernehmen, könne er noch viel mehr erreichen, behauptet
       Khan, denn bisher gab es immer Zoff zwischen der konservativen Regierung in
       Westminster und dem Bürgermeisteramt ein paar Kilometer entfernt.
       
       Die Konservative Sue Hall hingegen will die Umweltzonenerweiterung und
       Geschwindigkeitsdrosselungen wieder rückgängig machen. Aus ihrer Sicht ist
       die Umweltzone sozial ungerecht – wer 12,50 Pfund (14,50 Euro) am Tag
       zahlt, kann weiter mit älteren Fahrzeugen mit hohem Schadstoffausstoß
       herumfahren.
       
       Die Politisierung der Umweltzonenerweiterung vermasselte vergangenes Jahr
       spektakulär den erwarteten Labour-Erfolg bei der [8][Nachwahl in Boris
       Johnsons ehemaligem Wahlkreis Uxbridge and South Ruislip].
       
       Doch das Thema scheint insgesamt nicht genug Londoner:innen
       aufzuregen. Andere Probleme – etwa Fahrradwege, die an Bushaltestellen zur
       Gefährdung von Behinderten führen – interessieren wiederum die großen
       Parteien nicht. Zu einer Veranstaltung des Behindertenverbandes Inclusion
       London darüber bemühte sich von allen Kandidaten einzig die grüne
       Bürgermeisterkandidatin [9][Zoë Garbett], zur Verärgerung aller Anwesenden.
       
       Als Hauptthema nannten in einer Umfrage 52 Prozent der Londoner:innen
       die Sicherheit. Londons Polizei taumelt von einem Skandal zu nächsten,
       insbesondere seit der Entführung, Vergewaltigung und [10][Ermordung von
       Sarah Everard] durch einen einschlägig bekannten, aber im Dienst belassenen
       Polizeibeamten 2021 sowie rassistischen Vorfällen und [11][darauffolgenden
       Untersuchungsberichten]. Nach schwerer Kritik durch Khan [12][trat
       Polizeichefin Cressida Dick 2022 zurück.]
       
       Der neue Polizeichef Mark Rowley versprach Reformen, die Khan, sollte er
       nochmals Bürgermeister werden, als seine zentrale Aufgabe versteht. Er will
       1.300 neue Polizeibeamte einstellen – Sue Hall bietet sogar 1.500. Sie
       sollen auch, anders als bisher, verschärft gegen Ladendiebstähle und
       Messerstechereien vorgehen. Dabei glaubt Khan, dass derartige Probleme
       nicht nur Aufgabe der Polizei sind, sondern auch eine Frage der von der
       Regierung radikal gekürzten Sozialdienste für Jugendliche.
       
       Ein Labour-Hauptargument ist ein Zitat aus dem Guardian ausgerechnet vom 7.
       Oktober 2023, wonach die meisten Londoner:innen die Konservative Hall
       für eine Rassistin halten. In Wahrheit griff Hall Khan zwar immer wieder
       politisch an, verteidigte jedoch seine Person als Muslim.
       
       In sozialen Medien fanden einige jedoch Likes von ihr hinter rechten Posts,
       darunter einer, der Khan als Bürgermeister von „Londonistan“ beschreibt.
       Außerdem behauptet sie, jüdische Londoner seien durch Khan verängstigt.
       
       ## Tories in Birmingham und Teeside zuversichtlich
       
       Und außerhalb Londons? In Manchester dürfte Labours [13][Andy Burnham]
       ebenfalls zum dritten Mal Bürgermeister werden, er genießt breites Ansehen,
       weil er während der Coronapandemie von der konservativen Regierung
       zusätzliche Ressourcen für den Umgang mit den Lockdowns in Manchester
       errang.
       
       In den West Midlands, dazu gehört auch Großbritanniens zweitgrößte Stadt
       Birmingham, will Labours Kandidat [14][Richard Parker] den konservativen
       Bürgermeister [15][Andy Street] ablösen. Während Parker Wahlhilfe durch
       Labour-Chef Keir Starmer erhielt, ließ Rishi Sunak Street im Regen stehen.
       
       Der Grund mag Streets Unterstützung von Liz Truss beim Kampf um Boris
       Johnsons Nachfolge 2022 sein. Dennoch liegt Street derzeit leicht vorne:
       Seine Wiederwahl wäre für die Konservativen landesweit ein wichtiger
       Erfolg.
       
       In Teeside an der Nordsee im Nordosten Englands dürfte der konservative
       Bürgermeister [16][Ben Houchen] noch bessere Aussichten auf eine Wiederwahl
       haben. Die Konservativen machten Teeside zur Vorzeigeregion von Johnsons
       Aufbauprogramm „Levelling Up“ für abgehängte ehemalige Industriegebiete.
       
       Teeside protzt heute mit Freihafen, Flughafen und Großinvestitionen in
       Offshore-Windenergie. Sollten die Tories hier verlieren, würden die Geier
       über Rishi Sunak herziehen, so beschrieb es der Chef des Meinungsinstitutes
       Savanta, Chris Hopkins.
       
       ## Populistische Konkurrenz von links
       
       Street und Parker haben in Birmingham einen interessanten Konkurrenten: den
       Lamborghini-fahrenden Rechtsanwalt [17][Akhmed Yakoob]. Der parteilose
       Kandidat, dessen Kampagne vor allem in sozialen Medien läuft, behauptet
       ähnlich wie der Linkspopulist George Galloway, dass eine Stimme für ihn
       eine Stimme für Palästina sei, und hofft auf Zustimmung unter der
       muslimischen Bevölkerung und Studierenden „für eine Revolution“.
       
       Galloway hatte auf diese Weise im Februar bei einer Nachwahl den
       Parlamentssitz Rochdale geholt, Nachahmer wie Yakoob gibt es jetzt auf
       kommunaler Ebene einige.
       
       Im nordenglischen Bradford, dessen Bevölkerung zu 30 Prozent muslimisch
       ist, hat sich eine ganze Gruppe von 14 unabhängigen Kandidat:innen
       zusammengeschlossen, mit Gaza als gemeinsamem Nenner.
       
       Unter ihnen ist der von den Liberaldemokraten wegen Antisemitismus
       aus der Fraktion geworfene Unterhausabgeordnete David Ward, der sich auf
       Facebook mit „From the River to the Sea“-Plakat zeigt. Nick Peterken, ein
       ehemaliger konservativer Kandidat, der wegen Betrugs nicht mehr als Anwalt
       arbeiten darf, gehört ebenfalls zu den vierzehn. Auf Flugblättern wirbt er
       mal für „weiße Gegenden“ und gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, auf
       anderen appelliert er an Muslime, für seine „saubere Seele“ zu stimmen.
       
       „Ich hoffe, dass dieser Galloway-artige Opportunismus scheitert“, erklärt
       eine Wählerin.
       
       2 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Britischer-Asyl-Deal/!6003455
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 (DIR) [17] https://twitter.com/Akhmedyakoob1
       
       ## AUTOREN
       
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