# taz.de -- Diskriminierung durch Behörden: Die Frage nach der Herkunft
       
       > Erstmals wurde ein Polizist in Berlin wegen Diskriminierung verurteilt.
       > Er wollte nicht einsehen, dass ein nicht weißer Mensch aus Bochum stammen
       > kann.
       
 (IMG) Bild: Syed N. kämpft dafür, dass Kontrollen wie die eines Wolt-Kuriers im Juli 2021 nicht mehr zu Diskriminierungen führen
       
       BERLIN taz | Nicht weiße Menschen kennen die Situation: Wenn sie auf die
       Frage „Woher kommst du?“ antworten, „Berlin“ oder „Gießen“, also eine
       deutsche Herkunft für sich reklamieren, hören sie oft Widerspruch: „Nein,
       ich meine eigentlich!“ Nun hat erstmals ein Gericht festgestellt, dass die
       Frage „Wo kommst du wirklich her?“ diskriminierend ist. Wegen Verstoßes
       gegen das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) wurde am vergangenen
       Montag erstmals das Land Berlin, vertreten durch die Polizei verurteilt.
       Das Amtsgericht Mitte sprach dem Kläger Syed N. 750 Euro Entschädigung zu.
       
       Dieser zeigte sich gegenüber der taz zwar froh über das Urteil, zugleich
       aber enttäuscht über die Reaktion der Polizei im Verlauf des Verfahrens:
       „Es ist deutlich geworden, dass trotz einer Dienstaufsichtsbeschwerde die
       Polizei die Diskriminierung als solche – Stand heute – nicht wahrnimmt.
       Hier sollte besser sensibilisiert werden.“
       
       Der Vorfall ereignete sich kurz nach Inkrafttreten des LADG im Juli 2020:
       Herr N. war mit dem Fahrrad unterwegs und wurde von der Polizei angehalten,
       weil er angeblich sein Mobiltelefon während des Fahrens benutzt hatte. Es
       kam zu einer Identitätskontrolle, bei der sich zwei Polizeibeamte laut
       Aussage von N., einer ihn begleitenden Freundin und eines Passanten laut
       und aggressiv verhielten und gegen N. ein Ordnungsgeld von 50 Euro
       verhängten. Herr N. wies sich mit einer Krankenkassenkarte aus, worauf ihn
       ein Beamter nach seinem Geburtsort fragte. Auf seine Antwort – „Bochum“ –
       fragte der Polizist nach, wo N. „wirklich“ herkomme.
       
       N. sah darin eine Diskriminierung aufgrund seiner ethnischen Herkunft und
       einer rassistischen Zuschreibung – nach dem Motto: Nichtweiße können ja gar
       keine Deutschen sein. Er wandte sich an die Ombudsstelle, die mit dem LADG
       eingerichtet wurde, um Bürgern zu helfen, ihr Recht durchzusetzen. Das
       Gesetz verbietet Diskriminierungen durch Beschäftigte von Landesbehörden
       und landeseigenen Betrieben; seit Inkrafttreten im Juni 2020 gingen mehrere
       tausend Beschwerden ein, [1][vor allem gegen Bezirksämter, Schulen, BVG –
       und die Polizei].
       
       ## Nur eine halbe Entschuldigung
       
       Im Fall von N. befand die Ombudsstelle nach umfassender Prüfung inklusive
       Akteneinsicht, es liege tatsächlich eine Diskriminierung vor. Die Leiterin
       der Ombudsstelle sprach gegenüber der Polizei eine formelle Beanstandung
       aus. Sie empfahl eine schriftliche Entschuldigung und die Rücknahme des
       Bußgeldes.
       
       Dem kam die Polizei zwar nach, allerdings hieß es im
       Entschuldigungsschreiben nur, man bedauere, dass N. sich „diskriminiert
       gefühlt“ habe – dass die Handlungsweise der Beamten tatsächlich
       diskriminierend war, wurde also nicht zugegeben. Dies empfand N. als zu
       wenig, ebenso die angebotenen 100 Euro Entschädigung – und reichte Ende
       2021 Klage ein. Im März dieses Jahres kam es zur mündlichen Verhandlung,
       vorige Woche fiel das Urteil. Bei der Verkündung habe die Richterin
       erklärt, die Formulierung im Entschuldigungsschreiben der Polizei sei
       tatsächlich nicht ausreichend, erklärte das Antidiskriminierungsnetzwerk
       Berlin (ADNB), das N. bei der Klage unterstützte.
       
       Charlotte Heyer, Projektleiterin des ADNB, sagte weiter, Syed N.s Erfahrung
       sei kein Einzelfall. „Als Beratungsstelle hören wir alltäglich von Fällen
       rassistischer Diskriminierung und Gewalt durch die Polizei. Eine
       Verantwortungsübernahme durch die Behörde können wir leider fast nie
       beobachten.“
       
       Auch der zuständige Staatssekretär für Integration, Antidiskriminierung und
       Vielfalt, Max Landero (SPD), kritisierte auf taz-Anfrage, die Polizei habe
       im Laufe dieses Verfahrens mehrere Gelegenheiten einer gütlichen Einigung
       verstreichen lassen. „Es wäre bereits frühzeitig möglich gewesen,
       institutionelle Verantwortung zu übernehmen und die Diskriminierung des
       Klägers anzuerkennen.“ Die lange Dauer des Verfahrens zeige zudem, was es
       für eine „enorme Kraftanstrengung für diskriminierte Personen“ bedeute,
       ihre Rechte durchzusetzen. Landero: „Hiermit ist sicherlich auch die Frage
       nach einer gelebten Fehlerkultur verbunden.“
       
       ## Polizei sieht Sachverhalt anders
       
       Tatsächlich zeigt die Antwort der Polizei, dass die Behörde im Zuge des
       Verfahrens sogar wieder davon abgerückt ist, in dem Fall einen Fehler
       zuzugestehen. Eine Sprecherin erklärte auf taz-Anfrage, man habe im Rahmen
       des Beschwerde- und Klageverfahrens „mehrfach Entschädigungsangebote
       unterbreitet“ – was implizit ein Schuldeingeständnis ist. Aber: Beim
       Verfahren vor dem Amtsgericht sei man „nach erneuter Prüfung der Sach- und
       Rechtslage durch die Polizei Berlin letztlich einem Vergleichsvorschlag
       nicht mehr nachgekommen, da nach Bewertung der Polizei Berlin der
       Sachverhalt ein anderer war als dort vom Kläger vorgetragen“. Ansonsten
       könne man sich nicht zum Urteil äußern, da der Polizei die schriftliche
       Begründung noch nicht vorliege.
       
       Über mangelnde „Fehlerkultur“ hatte sich erst kürzlich auch der neue
       Polizei- und Bürgerbeauftragte Alexander Oerke [2][bei der Vorstellung
       seines ersten Jahresberichts beklagt]. Auch an ihn können sich Menschen
       wenden, die sich von der Polizei diskriminiert fühlen. Die Arbeit mit der
       Polizei gestaltet sich laut Oerke „deutlich schwieriger und langwieriger“
       als mit anderen Behörden und Einrichtungen, Fehler würden oft nicht
       zugegeben, „unglaubhafte Aussagen von Dienstkräften nicht hinterfragt“.
       
       Für den Türkischen Bund Berlin-Brandenburg zeigt das Urteil, wie notwendig
       es ist, „rassismuskritische und diskriminierungssensible Ansätze und Themen
       in der Ausbildung der Polizei zu verankern“. Nur so könne „institutionellem
       Rassismus effektiv entgegengewirkt werden“, sagte Vorstand Zülfukar Cetin.
       
       Kläger Syed N. sagte der taz, ohne Unterstützung der Ombudsstelle und des
       ADNB hätte er diesen Kampf nicht durchhalten können: „Recht haben und Recht
       bekommen war und ist ein sehr schwieriger und kostenintensiver Weg.“
       
       21 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Adventskalender-4/!5977141
 (DIR) [2] /Bericht-des-Polizeibeauftragten/!6003928
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
 (DIR) LADG
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Diskriminierung
 (DIR) IG
 (DIR) Hamburg
 (DIR) LADG
 (DIR) Landesantidiskriminierungsgesetz
 (DIR) Einwanderung
 (DIR) Diskriminierung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Vorwürfe gegen Hamburger Justiz: Amtlicher Rassismus hinter Gittern
       
       Ein Insasse der Hamburger Untersuchungshaftanstalt meldet die rassistische
       Behandlung eines Zellennachbarn. Der Senat scheint das zu ignorieren.
       
 (DIR) Diskriminierung bei der BVG: Bei Einstieg droht Rassismus
       
       Die BVG will rassistische Äußerungen eines U-Bahn-Fahrers prüfen. Dabei
       geht es auch um die Debatte über Kriminalität und Migration.
       
 (DIR) Plansche-Prozess: Freie Nippel für alle
       
       Eine Frau hat das Land Berlin verklagt, weil sie wegen nackten Oberkörpers
       aus der Plansche geworfen wurde. In zweiter Instanz war sie damit
       erfolgreich.
       
 (DIR) Antidiskriminierung bei Behörden: Diversity ist hier ein Fremdwort
       
       Das Berliner Landeseinwanderungsamt ist bald für Einbürgerungen zuständig.
       Mehr Sensibilität für Antidiskriminierung wäre essenziell – doch die fehlt.
       
 (DIR) Antidiskriminierung an Universitäten: Erfolg für TIN-Studis
       
       An der Humboldt Universitäten können trans, inter und nicht-binäre
       Studierende nun ihren Vornamen frei wählen. Klage gegen Diskriminierung
       läuft noch.